Hamburg. Wiebke Apitzsch lebt auf dem Vierländer Hippie-Hof – und berät Firmen über den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Wie das zusammenpasst.

Wiebke Apitzsch führt ein Doppelleben: Sie verdient ihr Geld als Unternehmensberaterin. Im schicken Business-Outfit arbeitet sie mit den Teams großer und kleiner Firmen, hält außerdem Vorträge auf Konferenzen und Veranstaltungen über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Mit dem Thema beschäftigt sie sich bereits seit 15 Jahren. Doch nach Feierabend tauscht die 41-Jährige ihr Kostüm gegen ein Blumenkleid oder lässige Jeans, verwandelt sie sich in einen Hippie. Sie lebt nämlich auf dem sogenannten Vierländer Hippie-Hof am Kirchwerder Hausdeich 180 in einer Wohngemeinschaft. Dort kümmert sich Wiebke Apitzsch um die beiden Naturgärten, die sie an dem 1880 erbauten, großen Reetdachhaus angelegt hat.

Im Hippie-Hof lebt Wiebke Apitzsch zusammen mit ihrem Sohn Paul (6), den sie im Wechsel mit dessen Vater betreut, und Schäferhund „Jaro“ (4) sowie sechs weiteren Erwachsenen und zwei weiteren Kindern. In ihren Naturgärten wachsen heimische Wildblumen, „die sonst nur in Naturschutzgebieten zu finden und in Hamburg vom Aussterben bedroht sind“. Der Hof mit seinen Gärten und Hühnern biete ihr „Ausgleich und Ruhe“, bewahre sie vor einem Burn-out, betont Wiebke Apitzsch.

41-Jährige Mutter ist tagsüber Unternehmensberaterin und nach Feierabend Hippie

In den Hippie-Hof war Wiebke Apitzsch eingezogen, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Als sie im März 2022 in der Wohnküche saß, eine Tasse voll dampfendem schwarzen Tee, und durch das Fenster hinausblickte in den Nieselregen, da habe sich bei ihr ein wohliges Gefühl eingestellt: „Ich war endlich wieder in Norddeutschland, endlich wieder zu Hause“, erinnert sich die 41-Jährige, die lange in München gelebt und beruflich die weite Welt bereist hatte.

Das Haus mit einer Wohnfläche von rund 400 Quadratmetern gehört der Familie Janßen, die den benachbarten Vierländer Rosenhof betreibt. Dort leben ganz unterschiedliche Charaktere, darunter ein Künstler, der dort seit mehr als 20 Jahren beheimatet ist. Er hat in seiner langen Zeit in der Wohngemeinschaft mehr als 50 Mitbewohner verschiedener Generationen kommen und gehen sehen. Die erste Wohngemeinschaft wurde dort vor rund 30 Jahren gegründet.

Gemeinsam mit den Mitbewohnern gründlich aufgeräumt und renoviert

Wiebke Apitzsch hat seit ihrem Einzug einiges angestoßen, damit das historische Haus noch wohnlicher wird. Gemeinsam mit ihren Mitbewohnern räumte sie gründlich auf, renovierten die „Hippies“ die Küche und andere Räume. Sie öffnen das Haus inzwischen verstärkt für Außenstehende, empfangen Übernachtungsgäste über die Plattform Airbnb.

Eigentlich kommt die 41-Jährige aus einer ganz anderen „Ecke“: Sie hat BWL studiert, acht Jahre lang für The Boston Consulting Group, dem zweitgrößten Strategieberater weltweit, gearbeitet. Die Norddeutsche hatte ihr Büro damals in München, doch für das US-Unternehmen war die Analystin vor allem unterwegs – und zwar in der ganzen Welt. Sie arbeitete an Projekten unter anderem in Botswana, Indien, Südafrika, Nordamerika, Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) und London (England). Damals wie heute ging es um die optimale Nutzung von Daten: Wiebke Apitzsch erklärt den Kunden, wie sie effektiv mit deren Datenbanken arbeiten und so Wert aus den Daten generieren können.

Ihre Kunden müssen genau wissen, was sie mit ihren Daten vorhaben

Seit Juli arbeitet die Beraterin bei der Hamburger Firma AI. Impact, als eine von drei geschäftsführenden Gesellschaftern. Das erst im November 2023 gegründete Unternehmen beschäftigt zwei weitere festangestellte Mitarbeiter und viele Freiberufler, könne schnell Dutzende Software-Experten und weitere Partner für Projekte engagieren, betont die 41-Jährige.

„Ich spreche mit den Kunden, mache ihnen klar, dass sie genau wissen müssen, was sie mit ihren Daten machen wollen“, sagt die Expertin. „Sie müssen wissen, ob es sich für sie lohnt, in neue Technologien zu investieren – und das hängt davon ab, welche Daten sie wofür benötigen. Ich bringe Klarheit rein. Die ist enorm wichtig.“ Die Beraterin hilft bei der Berechnung der Wirtschaftlichkeit, „Business-Case“ heißt das Verfahren im Fachjargon. Die Firmen müssten zunächst klären, ob sie mit Hilfe Künstlicher Intelligenz Kosten sparen oder neue Umsätze generieren können, ob sich der Einsatz von KI auszahlt. Falls das so ist, leitet Wiebke Apitzsch auch den Transformationsprozess in die Wege. Der Support reiche bis hin zur Erstellung eines neuen Produktes oder der Gründung einer Tochterfirma.

Künstliche Intelligenz müsse einen „positiven Sinn ergeben“, betont die Analystin

Wiebke Apitzsch
Wiebke Apitzsch aus Kirchwerder bei der Arbeit. Sie berät große Unternehmen über Möglichkeiten der Nutzung von KI. Auf dem vor wenigen Tagen aufgenommenen Bild spricht sie vor Zuhörern in Berlin. © Wiebke Apitzsch | BIG BANG KI Festival/Offenblende/Andrej

Um die Bereitstellung der Technik, die Programmierung der Software und die Optimierung der Datenbanken kümmern sich, wenn es von den Kunden gewünscht wird, Kollegen der Unternehmensberaterin. Sie richten beispielsweise Computerprogramme ein, die E-Mails beantworten und schreiben können.

Dass der Einsatz von hochentwickelter Computertechnik zu Rationalisierungen und Personalabbau führen kann, weiß auch Wiebke Apitzsch. „Genau deshalb möchte unser Unternehmen mitmischen, um das zu vermeiden. Wir wollen nicht Beraterfirmen den Markt überlassen, denen solche Fragen egal sind.“ Der Firmenname AI.IMPACT stehe für Veränderungen und Auswirkungen durch Artificial Intelligence  (AI, im Deutschen: Künstliche Intelligenz) im positiven Sinne. „KI muss einen positiven Sinn ergeben und gut für die gesamte Gesellschaft sein.“

Durch Künstliche Intelligenz erwarte die Abläufe in den Behörden eine Revolution

Sie wolle, dass die Menschen mithilfe Künstlicher Intelligenz kreativer arbeiten können, dass ihnen stupide, ungeliebte Arbeiten abgenommen werden, betont Wiebke Apitzsch. „Diese Technik kann keinen erfahrenen Mitarbeiter vollständig ersetzen.“ Er könne sich aber dank der technischen Verstärkung um andere Aufgaben kümmern, während Computerprogramme beispielsweise Listen pflegen oder die Standard-Beantwortung immer gleicher Fragen übernehmen.

Künstliche Intelligenz sei auch angesichts des akuten Fachkräftemangels hochinteressant, betont die Wahl-Vierländerin: „Der Mangel an Fachkräften wird auch perspektivisch ein riesiges Problem sein.“ Unumgänglich sei es, alle Mitarbeiter bei der Umstellung der Abläufe von vornherein mitzunehmen, die Veränderungen gemeinsam mit dem gesamten Team voranzubringen: „Sind sie nicht mit vollem Einsatz dabei, bringt die beste Software nichts.“

Einen Workshop gestaltet, in dem die Teilnehmer sich in fünf Sprachen unterhielten

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Der Fortschritt durch den technischen Support sei nicht mehr aufzuhalten, sagt die Expertin: „Die Rollen werden sich ändern. Es wird immer mehr einfache Tätigkeiten geben, die nicht mehr von Menschen gemacht werden müssen. Sie werden künftig immer kreativer arbeiten können.“ Es gehe darum, sich genau zu überlegen, wie Mitarbeiter wertvoll genutzt werden können. „Die KI kann wertvolle Zeit ermöglichen.“ Eine Revolution erwarte die Abläufe in den Behörden, betont die Expertin: „Die Bürger werden auf Standardfragen schneller Antworten – von der KI – erhalten und auch – von den Mitarbeitern – intensiver zu komplexeren Themen beraten werden.“

Wenn Wiebke Apitzsch im gesamten deutschsprachigen Raum oder zu Hause am Bildschirm vor Mitarbeitern einer Firma referiert, egal ob es ein Dutzend oder 200 sind, spricht sie meist Englisch. „Ich arbeite auch am Computer und am Telefon meist in englischer Sprache, spreche aber auch fließend Spanisch.“ Sie habe mal einen Workshop erlebt, bei dem sie und ihre Kollegen auf Englisch, Spanisch und Deutsch referierten und Antworten von den Teilnehmern auch auf Italienisch und Französisch erhielten – „Sprachen, die ich immerhin verstehen kann“.

Integrationsfähig, weil die Vier- und Marschlande ihrer Heimat ähneln

Millionärin sei sie aufgrund ihres Jobs nicht, sagt die 41-Jährige, „aber ich verdiene gut“. Boni habe sie schon für gemeinnützige Organisationen gespendet, gönne sich aber auch gern guten Wein. „Mir ist wichtig, dass ich nicht weniger verdiene, weil ich eine Frau bin.“

Wiebke Apitzsch lebt seit fast drei Jahren auf dem Hippie-Hof. Zuvor wohnte sie zwei Jahre am Süderquerweg in Kirchwerder, davor 14 Jahre in München. Geboren wurde sie in Wilhelmshaven, aufgewachsen ist sie im friesischen Jever und in Beja (Portugal). „2019 bin ich in den Norden zurückgekehrt. Die Vier- und Marschlande ähneln Friesland. Vermutlich bin ich deshalb integrationsfähig“, sagt sie mit einem schelmischen Lächeln. Weitere Infos zu Wiebke Apitzschs Firma finden sich unter ai-impact.com.