Lohbrügge. Den Skandalen der Vergangenheit vor der Haustür auf der Spur: Unterwegs mit Michael Schütze und dem Kultur- & Geschichtskontor.

Eigentlich kann es einen historischen Rundgang durch Lohbrügges Ortskern gar nicht geben. Denn hier haben Bergedorfs Stadtplaner seit den 60er-Jahren ganze Arbeit geleistet und ihren Visionen von der autogerechten Einkaufsstadt der Zukunft rücksichtslos freien Lauf gelassen. Wenn Michael Schütze es am Sonntag, 8. September, trotzdem versucht, muss er genau schauen, was dem Abrissbagger bis heute wirklich entkommen ist.

Vom Treffpunkt am Lohbrügger Ausgang des Bergedorfer Bahnhofs aus macht sich der Historiker und Vorsitzende des Stadtteilvereins um 14 Uhr mit seinen Gästen auf den Weg. Die etwa zweistündige Führung gehört als letzte der Saison zum Programm des Kultur- & Geschichtskontors. Sie führt durch die heutige Einkaufsstraße und über den dank erheblicher Proteste immerhin erhalten gebliebenen Marktplatz bis zum alten Lohbrügger Dorfkern am Binnenfeldredder. Wie immer kostet die Teilnahme 9 Euro, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Als Lohbrügges Einkaufsstraße noch eine verruchte Partymeile war

Michael Schütze erinnert an die wilden 100 Jahre Lohbrügges, als seine Hauptstraße zur verruchten Partymeile wurde. Denn dort, wo heute Marktkauf-Center, Kino und Ärztezentrum stehen, waren damals Kneipen und Tanzlokale. Gern vergnügte sich hier auch Bergedorfs bürgerliche Jugend, selbst wenn Schlägereien mit dem Nachwuchs der Lohbrügger nicht selten waren. Hier lebten viele Arbeiterfamilien, die in den großen Fabriken des kleinen Ortes beschäftigt waren, allen voran im Eisenwerk.

Schütze erzählt die Geschichte vom „Schwarze Walfisch“ und dem „Holsteinischen Hof“, aber auch namhaften Geschäften wie der Buchhandlung Nordmann, Eisenwaren Zieske oder Betten Demin, bevor er mit seinen Gästen weiter zum Lohbrügger Markt geht. Dort ist deutlich mehr erhalten, etwa das alte Ärztehaus, heute Kinderkulturhaus Kiku, die Polizeiwache, heute Sitz der Lola, und natürlich die Gemeindeschule, von der immerhin noch die Turnhalle steht.

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Zum Finale steuert der Rundgang dann den alten Kern des Dorfs Lohbrügge an: An der Ecke Leuschnerstraße/Binnenfeldredder standen einst sechs stattliche Hufnerhäuser. Auch hier braucht es viel Fantasie: Das letzte fiel 2006 der Spitzhacke zum Opfer.

Dass vom alten Lohbrügge fast nichts übrig blieb, liegt an der Planungswut im Bergedorfer Rathaus: Hier konnten sich die Stadtentwickler hemmungslos austoben. Sie schufen ein völlig neues Straßennetz und träumten von einem Zentrum voller großer Kaufhäuser von C&A über Kaufhof bis Dykhoff und Horten. Nur leider kam nach dem Abriss des alten Ortskerns niemand von ihnen. Bis in die 80er-Jahre dominierten hier Brachflächen und verfallende Gebäude. Eine Vergangenheit, die dem Ruf Lohbrügges bis heute anhängt.