Hamburg. Zweite Hauptverhandlung nach Veto des Bundesgerichtshofs: Bergedorfer (42) soll im Alkoholrausch Bekannten (43) erstochen haben.
Es ist nicht leicht für Mathilda S. (Namen aller Tatbeteiligter geändert). Immer wenn ihr damaliger Lebensgefährte Nick B. Alkohol getrunken hat, wird er nicht nur redseliger, sondern auch unberechenbarer, labiler, aggressiver. So sei es in ihrer Beziehung immer wieder vorgekommen, dass S. von ihrem Partner geschlagen wurde: mit der Hantel, einem Becher und sogar einer Katzenstatue auf den Kopf. Darüber geredet wurde lieber nicht, auch hatte die Frau keine Anzeige wegen häuslicher Gewalt bei der Polizei gestellt.
Doch ihr größter persönlicher „Albtraum“, wie es die 43-Jährige bei ihrer Aussage am Donnerstag, 15. August, vor dem Hamburger Landgericht zugibt, war das, was sich am 23. März 2022 vor ihren Augen abspielte: B. soll stark alkoholisiert in seiner Wohnung am Röpraredder in Bergedorf mit einem Jagdmesser den bei einem Trinkgelage eingeschlafenen Bekannten August D. (43) erstochen haben. Das Opfer starb noch am Tatort, die Tatwaffe ist bis zum heutigen Tag verschwunden.
Mordprozess vom Röpraredder: Ex-Freundin erzählt nun, wie es gewesen sein soll
Wegen des Tatvorwurfs des heimtückischen Mordes muss sich Nick B. nun zum zweiten Mal verantworten. Landgerichtssprecher David Heldmann erklärt die Rücknahme des Urteils vom 27. März 2023: „Auf die gegen den Freispruch wegen des Mordvorwurfs von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof wegen Fehlern in der Beweiswürdigung das erstinstanzliche Urteil insoweit aufgehoben und die Sache an eine andere Schwurgerichtskammer zurückverwiesen.“ Im damaligen Urteil war B. wegen anderer Delikte zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt worden.
Hautnah bei der Bluttat vor über zwei Jahren dabei war Mathilda S., die damalige Freundin von B. Sie hatte in der ersten Verhandlung noch von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, zwischenzeitlich am 19. April 2023 aber ihre erste Aussage bei der Polizei korrigiert. Unmittelbar nach der Bluttat hatte S. den Ermittlern von einem weiteren „Mann mit Cap“ erzählt, der auf D. eingestochen hatte und danach geflüchtet war – den gab es aber nie. Sie sagt jetzt: „Ich habe gelogen, um ihn zu decken. Das war nicht gut von mir.“
Ab 7 Uhr morgens wurde getrunken – und verhängnisvoll geflirtet
Klar wird bei ihrer Aussage, dass ihre damalige Lebenswelt schwierig war. Alkohol spielt eine große Rolle, Sex und Gewalt ebenfalls. An jenem 23. März 2022 soll, so stellt es Mathilda S. dar, August D. schon um 7 Uhr das Pärchen aus dem Bett geklingelt haben. Offenbar war der unangekündigte Besucher schon zu diesem Zeitpunkt angetrunken. Gemeinsam mit dem Wohnungsmieter werden erste Biere geöffnet, der Fernseher eingeschaltet, Musik läuft. S. wird aufgefordert, im Rewe-Center am Binnenfeldredder einzukaufen. Sie kann sich noch genau erinnern, was sie holen sollte: eine Flasche Wodka, Baguette- und Toastbrot.
Was nach ihrer Rückkehr in der Wohnung des gebürtigen Kasachen geschah, bleibt nicht nur für die Vorsitzende Richterin Jessica Koerner in entscheidenden Teilen schwer nachvollziehbar. Während die Männer in der Einzimmerwohnung getrunken und geredet hätten, habe die Hausfrau Suppe für das Mittagessen zubereitet. Gegen Mittag sei dann die Freundin von D. dazugestoßen. Sie sei „sauer“ über das vormittägliche Trinkgelage ihres Freundes gewesen, habe dann aber letztlich auch mitgetrunken – bis das Gast-Pärchen auf dem Sofa einschlummerte.
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Weshalb ihr Ex-Partner im Anschluss gewalttätig gegenüber dem fast noch schlafenden Gast wurde, kann sich Mathilda S. bis heute nicht erklären. Richterin Koerner möchte mehr zu den Verhältnissen untereinander wissen – und erwischt bei der Zeugin einen empfindlichen Punkt. Die damals Anwesenden in der Wohnung sollen so etwas wie eine Vierecksbeziehung gepflegt haben. Ihr Ex-Freund B. habe definitiv Geschlechtsverkehr mit der Freundin des Mordopfers gehabt, behauptet Mathilda S., teilweise sogar in ihrem Beisein, mal bei offener WC-Tür oder in der Küche. Andererseits habe auch August D. mehr als ein Auge auf Mathilda S. geworfen – auch an seinem Todestag: „Er hat mich an der Schulter angefasst.“ Doch sie habe darauf nicht reagiert. Höchstens mal so: „Guck mal lieber weiter auf den Fernseher.“
Auch über zwei Jahre nach dem Mord: Wo ist die Tatwaffe?
Sind es diese Annäherungsversuche, die August D. zum Verhängnis werden? Nick B. sei „ein eifersüchtiger Typ“, so S. über den 42 Jahre alten Ex-Freund, der damals schon mal ihr Handy kontrollierte, sogar auch mal die SIM-Karte zerstört haben soll. Ob er die Grabbeleien an seiner Partnerin am 23. März 2022 mitbekam, ist unklar. Doch plötzlich hätte B. aus dem Flur ein Jagdmesser geholt und auf den gerade aufgestandenen D. eingestochen.
Das Opfer der Attacke sackte zu Boden und verblutete. Die Anklage ging bisher davon aus, dass D. im Schlaf erstochen wurde. Das jedoch revidierte Mathilda S. nun. Sie will es auch gewesen sein, die Bs Tatwaffe einen Tag später in einem See nahe der Wohnung entsorgt habe – gefunden wurde das Stichwerkzeug bis heute nicht.
Der Angeklagte selbst wird vor Gericht nicht aussagen. Der Prozess wird bereits am Freitag, 16. August, fortgesetzt, ein Urteil für den 19. September erwartet. Nick B. ist nach Absitzen seiner einjährigen Haftstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Waffenbesitzes seit Anfang Juli 2024 in der Asklepios Klinik Nord Psychiatrie Ochsenzoll untergebracht. Seine ehemalige Partnerin ist mittlerweile Mutter eines einjährigen Sohnes und mit Bs Bruder (41) zusammen.