Hamburg. Nicht nur Nutria vermehren sich im Bezirk, sondern auch Waschbär und Wollhandkrabbe. Die Neulinge richten teils schwere Schäden an.

An den Nutria kommt in Bergedorf keiner vorbei. Die aus Südamerika importierten Nager schwimmen in den Gewässern des Bezirks, huschen durch Grünanlagen und über Ackerflächen und sind immer wieder heißes Diskussionsthema in der Bezirksversammlung. Doch die Sumpfbiber sind keinesfalls die einzigen Neuankömmlinge in Bergedorf. Auch Waschbär, Wollhandkrabbe oder Nilgans werden mehr oder weniger häufig zwischen Boberg und Börnsen gesichtet.

Auf der Website neobiota-nord.de, im Sommer 2022 ins Leben gerufen von der Hamburger Umweltbehörde und vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, können Bürger Meldungen abgeben, wenn sie eingewanderte Tierarten vor der Haustür oder beim Spaziergang bemerken. Durch das Konzept „Citizen Science“ sollen die Menschen vor Ort als Augen und Ohren der Forschungscommunity dienen. Die Funde werden auf Karten eingetragen und ermöglichen so einen ersten Einblick in die Verbreitung der invasiven Arten.

Invasive Arten breiten sich im Bezirk Bergedorf aus

So treiben sich offenbar gleich zwei Arten von pelzigen, maskierten Raubtieren im Bezirk herum: Sowohl Waschbären als auch Marderhunde wurden bereits gesichtet. Während die amerikanischen Waschbären auch schon in Lohbrügge und Nettelnburg beobachtet wurden, sind die asiatischen Marderhunde vor allem in den Vier- und Marschlanden heimisch. Bereits 2013 und 2014 verzeichnete die Umweltbehörde aber auch schon zwei Sichtungen von Marderhunden in der Bergedorfer Innenstadt.

Die Nilgans bevölkert ebenfalls bevorzugt das Landgebiet, kann aber auch im Bergedorfer Schlosspark beobachtet werden. Die Bisam breitet sich bereits seit 100 Jahren in Deutschland aus. Entsprechend sind die nordamerikanischen Nagetiere, die gern mit den etwas größeren Nutria verwechselt werden, in ganz Bergedorf und in den Vier- und Marschlanden anzutreffen.

Chinesische Wollhandkrabben haben sich in der Dove-Elbe ausgebreitet.
Chinesische Wollhandkrabben haben sich in der Dove-Elbe ausgebreitet. © picture alliance / WILDLIFE | WILDLIFE/D.Harms

Insekten oder Fische fallen naturgemäß weniger stark ins Auge als Vögel und Säugetiere. Trotzdem meldeten Bergedorfer zum Beispiel schon Begegnungen mit der Gemeinen Sichelschrecke in der Boberger Niederung, Schwarzmundgrundeln – eine Fischart – und Wollhandkrabben tummeln sich in der Dove-Elbe. Die Asiatische Hornisse, die bereits häufiger in Hamm, Horn und Billstedt beobachtet wurde, ist im Bezirk Bergedorf noch selten. Lediglich an der Dove-Elbe in Tatenberg wurden die Tiere zweimal gesehen.

Umweltbehörde stellt Meldeportal für Bürger bereit

Mit dem Meldeportal versucht die Umweltbehörde, die Verbreitung invasiver Arten in Hamburg im Auge zu behalten. Schließlich können Spezies, die neu in ein bestehendes Ökosystem eindringen, erhebliche Schäden anrichten. Die Asiatische Hornisse ist beispielsweise unter Imkern gefürchtet, weil sie gern Honigbienen erbeutet und so ganze Bienenvölker vernichten kann. Wollhandkrabben stehen im Verdacht, Fischernetze zu zerstören.

Die Asiatische Hornisse bedroht Honigbienen.
Die Asiatische Hornisse bedroht Honigbienen. © dpa | Axel Heimken

Christian Gerbich, Naturschutzreferent des Nabu Hamburg, betont im Gespräch mit der Bergedorfer Zeitung allerdings, dass das Thema differenziert betrachtet werden müsse. „Wir müssen zunächst unterscheiden, ob die Arten Schäden am Ökosystem anrichten, oder mit den Interessen der Menschen in Konflikt geraten“, so der Naturschützer. Ein drastisches Beispiel sei die Hamburg noch nicht heimische Asiatische Tigermücke. Die tagaktiven Tiere gelten als aggressiv und stechlustig, können außerdem theoretisch gefährliche Krankheiten übertragen. „Es dürfte aber keine dramatischen Auswirkungen auf die restliche Natur haben, wenn die Tigermücke in Hamburg ankommt“, so Gerbich.

EU-Richtlinie: Neue Arten sollen sich nicht etablieren

Im Fall der Asiatischen Hornisse habe sich gezeigt, dass die Hautflügler vor allem Bienenvölker attackieren, die sowieso von der Varroamilbe, einem gefährlichen Parasiten, befallen wurden. Der Asiatische Marienkäfer schien zunächst die einheimischen Arten zu verdrängen, nun scheine sich aber ein Gleichgewicht eingestellt haben. Wirklich problematisch seien dagegen ausgerechnet die flauschigen Waschbären und Marderhunde. Gerbich: „Diese Arten bedrohen brütende Wiesenvögel.“

Weil die Schäden durch invasive Arten oft nicht direkt abzusehen seien, sollte zunächst unbedingt verhindert werden, dass die Neuankömmlinge sich vor Ort etablieren. Das ist jedoch meist leichter gesagt als getan, vor allem im Hamburg. „Wegen des Hafens sind wir ein Hotspot für Neobiota“, betont der Nabu-Experte.

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Sind die neuen Tierarten erst einmal angekommen, wird man sie nur schwer wieder los – wie sich an der Debatte um den Umgang mit den Nutria zeigt. Allein die Population richtig einzuschätzen ist nicht einfach. Bei Säugetieren gibt ein Blick auf die von Jägern erlegten Tiere einen ersten Einblick. Die Streckenzahlen des Deutschen Jagdverbandes zeigen zum Beispiel: Während noch 2015/2016 ein einziger Waschbär in der Hansestadt erlegt wurde, waren es 2022/2023 bereits 58 Exemplare. Zum Vergleich: In Hessen erwischten die Jäger in der vergangene Jagdsaison mehr als 30.000 Tiere.

Ob die Intensivierung der Jagd zu einer Reduzierung der Stückzahl führt, ist umstritten. Tierschützer, wie der Bergedorfer Verein Looki, kritisieren die Jagd ohne Schonzeit als grausam und wenig zielführend. In Hamburg dürfen Jäger das ganze Jahr auf Waschbären und Marderhunde anlegen. Christian Gerbich vom Nabu plädiert dafür, die lokalen Ökosysteme zu stärken und die heimischen Arten so widerstandsfähiger gegen den Druck durch Neuankömmlinge zu machen.