Hamburg. Dr. Matthias Soyka übt scharfe Kritik an Gesundheitsreform von Karl Lauterbach: Minister macht unser ambulantes System kaputt.
Kein Termin beim Kinderarzt, beim Gynäkologen oder Hautarzt? In Bergedorf fehlen Ärzte, das ist seit Jahren bekannt. „Das kann doch nicht gesund sein“, meint Dr. Matthias Soyka. Der Lohbrügger Orthopäde und Unfallchirurg hat zwar seine Praxis verkauft, arbeitet aber weiter, „noch so etwa 20 Jahre lang, aber ohne den Bürokratiestress“, so der 66-Jährige.
Inzwischen nimmt er nur noch Privatpatienten an. Warum? „Weil es der Gesellschaft nützt. Der langjährige Mannschaftsarzt des FC Bayern München, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, praktiziert doch auch noch mit seinen 81 Jahren. Und wir sind beide ohne Karrierepläne und ohne Wut.“
Hamburger Orthopäde übt scharfe Kritik an Gesundheitsreform
Letzteres glaubt man ihm nicht so leicht, schließlich wettert er arg über Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD): „Der macht das ganze ambulante System kaputt und will alle Fachärzte nur noch an große Kliniken anbinden. Dann haben die Leute in Lauenburg oder Trittau ziemlich lange Wege“, meint Soyka und gibt zu bedenken: „Wenn ein Arzt an einer Klinik angestellt ist, gibt es wohl kaum noch eine objektive Auskunft darüber, ob eine OP überhaupt nötig ist.“
Tatsächlich sorgt sich Minister Lauterbach um das Überleben der Kliniken und möchte die Häuser stärker spezialisieren, zugleich aber weniger Betten belegen: „Wenn künftig mehr ambulant gemacht wird, wird es weniger unnötige Krankenhausaufenthalte und Eingriffe geben.“ Die Krankenhausreform samt Abschaffung der Fallpauschale sei nötiger denn je: „Viele Krankenhäuser, die wir dringend benötigen, sind in wirtschaftliche Not geraten. Das betrifft oft kleinere Kliniken auf dem Land.“
Stiftung Patientenschutz kritisiert „Reform am Reißbrett“
Zudem benennt er ein zweites Problem: „Wir sehen große Qualitätsdefizite in Krankenhäusern, weil zu wenig Spezialisierung stattfindet. Macht man spezielle Eingriffe nicht regelmäßig, kommt es zu vermeidbaren, schweren Komplikationen“, erklärt der Bundesminister für Gesundheit. Mit seiner Reform stößt er indes auf große Kritik in der Länderkammer. Ebenso wirft die Stiftung Patientenschutz dem 61-jährigen Mediziner eine Praxisferne vor – es sei eine „Reform am Reißbrett und mit dem Rechenschieber“.
Im „Nebel seiner chaotischen Amtsführung“ wolle der Minister Gesetzesinitiativen durch die Hintertür durchdrücken, meint Matthias Soyka: „Vermutlich haben selbst der Finanzminister und der Verteidigungsminister keinen blassen Schimmer davon, was ihr chaotischer Kabinettskollege eigentlich plant“, schreibt er in seiner Kolumne beim Ärztenachrichtendienst.
Soyka will Buch über Gesundheitspolitik schreiben
Über den „Wahnsinn Wartezeiten“ hat Soyka bereits 2017 ein Buch veröffentlicht, 2019 folgte „Dein Rückenretter bist du selbst“. Als Nächstes wollte er eigentlich über Schulterschmerzen schreiben, „aber das Buch habe ich zurückgestellt, wichtiger ist jetzt ein Blick auf die Gesundheitspolitik, denn Karl Lauterbach muss merken, dass die Ärzte besser bezahlt werden müssen. Sonst finden sich keine Nachfolger mehr in den Praxen. Selbst für Privatpatienten ist die Gebührenordnung seit 1996 nicht mehr erhöht worden.“
Er nennt Zahlen: Im Jahr 2000 habe er in seinem besten Quartal noch 75 Euro pro Patient abgerechnet: „Normal sind 50 bis 52 Euro, und ich rede nicht von Gewinn. Aber heute gibt es gerade mal 42 Euro pro Kassenpatient. Wie soll das funktionieren? Da wäre ein Dreifaches nötig, damit ein Orthopäde die vielen Kassenpatienten in Mümmelmannsberg behandelt.“
Besonderes Mitleid habe er mit den Hausärzten: „Die brechen fast zusammen und machen sogar Hausbesuche für 26,30 Euro. Wobei der Taxifahrer, der sie zum Patienten bringt, wohl je nach Entfernung mehr verdient.“ Da fehle auch für junge, niedergelassene Ärzte die wirtschaftliche Perspektive, wobei die sich „mit 80 Stunden die Seele aus dem Leib arbeiten“. Und abgesehen davon: Angestellte Ärzte an Kliniken dürften aus arbeitsrechtlichen Gründen nur 40 Wochenstunden arbeiten.
Minister Lauterbach schwärmt von Tele-Medizin
Doch nicht allein das Geld und der damit einhergehende Versorgungsmangel treibt den Orthopäden um: Auch die Tele-Medizin beäugt er sehr skeptisch. Lauterbach indes schwärmt von der Digitalisierung, von ChatGPT, die Befunde so erklären könne, dass man schon auf dem Niveau eines Hausarztes ist. Und von Künstlicher Intelligenz, die zum Beispiel vorhersagen werde, ob ein Schlaganfallrisiko besteht.
„In einer Nussschale ist es so, dass wir somit das eigentliche Arzt-Patient-Erlebnis ganz neu aufbauen, indem ich einfach hier einen Begleitarzt habe, der mich vorbereitet auf einen Arzttermin, der mir hilft, Dinge zu verstehen“, sagte Karl Lauterbach bei seiner Aufklärungskampagne zur elektronischen Patientenakte.
Dr. Soyka: „Schwatz-KI ersetzt keinen Arzt“
Digitaler Begleitarzt? Nussschale? Jetzt schüttelt Doktor Soyka nur noch den Kopf: „Wenn der Vorgänger Jens Spahn schon ein EDV-Hobby hatte, dann ist Lauterbach im Vergleich total irre. Das klingt ja wie 1984, ist verrückter als das Raumschiff Enterprise. Der Mann hat Visionen, die dermaßen an der Realität vorbeigehen, dass es wehtut.“ Und das bezieht er allein schon auf das Arztgeheimnis: „Wenn ich Ärger mit meinem Chef habe, ein Suchtproblem oder Sorgen in der Ehe, erzähle ich das doch nicht einem Computer, wenn es weltweit keinen sicheren Server gibt.“
Seine Arzthelferinnen seien jetzt schon mehr mit IT-Serviceleuten im Gespräch als mit Patienten. „Denn das elektronische Rezept oder die Patientenkarte ruckeln ständig. Und ich habe gerade 30.000 Euro in eine neue EDV investiert.“ Zum Glück aber werde es immer dabei bleiben, dass die Tele-Medizin keine Behandlung ersetzt: „Der Mensch ist ja keine Maschine, und ein Arzt kann nicht durch eine Schwatz-KI ersetzt werden“, so der 66-Jährige, der sich gegen den „Firlefanz mit Lausch-Software“ wehrt.
Jetzt soll die Reform der Pflegereform kommen
Unterdessen reformiert Karl Lauterbach munter weiter, gerade kündigte er eine Reform der Pflegereform an. Zudem soll im Januar 2025 ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung in Kraft treten. Darüber diskutiert der Verband der Ersatzkassen am 5. September beim „12. Hamburger Gesundheitstreffen“. Ebenso angekündigt ist für 2025 ein „Herz-Gesetz“: Es soll eine verbesserte Vorsorge bringen, Prävention bei Herzinfarkten und Schlaganfällen verbessern.
Auch liegt seit Mitte Juni der Entwurf für die Reform der Apothekenstruktur vor: Demnach dürfen Filialapotheken künftig auch ohne anwesenden Apotheker betrieben werden, sofern eine telepharmazeutische Beratung verfügbar ist. Laut Gesundheitsministerium können dann pharmazeutisch-technische Assistenten die Versorgung übernehmen. Das wird natürlich Thema sein beim Deutschen Apothekertag am 9. Oktober in München.
Dr. Soyka über Lauterbach: „Der Mann ist mir unheimlich“
In der Hansestadt Hamburg gibt es insgesamt 363 öffentliche Apotheken. Auf Anfrage der CDU lässt der Senat wissen, dass es im vergangenen Jahr elf Schließungen gab, in diesem Jahr bislang sieben – dem stehen bis Mitte Juni 23 erteilte Betriebserlaubnisse für neue Apotheken gegenüber.
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Doch alle diese „vielen Reförmchen“ sind Dr. Soyka nicht geheuer: „Es ist mir unheimlich, dass so ein Mann das Gesundheitswesen bestimmt“, meint der Orthopäde. Wobei er zu Corona-Zeiten noch Mitleid mit ihm hatte: „Da wurde er persönlich angegriffen, das war nicht fair. Da habe ich Minister Lauterbach auch mal eine Solidaritätsmail geschickt.“
Dennoch wolle er weiterhin kritisieren und kommentieren, vor allem wenn sich Lauterbach „.am Vorabend einer Revolution in der Medizin“ sieht. Das dürfe man für übertrieben halten. So bleiben also reichlich Themen für seinen Podcast oder auch den eigenen Youtube-Kanal des Dr. Soyka: „Da befasse ich mich mit Hilfe zur Selbsthilfe. Könnte ich auch dem Gesundheitsminister mal empfehlen.“