Hamburg. Laut Koalitionsvertrag sollen schnell alle Hürden fallen. Kommen jetzt über 200 Meter hohe Anlagen ins Hamburger Landgebiet?

Die Erde erwärmt sich, die Gletscher und das Eis an Nord- und Südpol schmelzen, der Meeresspiegel steigt, und an den Küsten kommt es immer häufiger zu Überschwemmungen. Der Klimawandel schreitet weiter voran. Um dem entgegenzuwirken, will die neue Bundesregierung die von den Bundesbürgern verursachten Emissionen von Treibhausgasen in die Atmosphäre verringern und „mehr Fortschritt wagen“.

So steht es im 177-seitigen Koalitionsvertrag in dem Kapitel zu den erneuerbaren Energien. Die Geschäftsführer der Bergedorfer NET-Gruppe, Jens Heidorn (59) und Klaus Soltau (58), freuen sich über diese Absichtserklärung. Ihr Unternehmen betreibt Windkraft- und Fotovoltaikanlagen. Doch der Ausbau der Windenergie ist vor fünf Jahren in ganz Deutschland zum Erliegen gekommen, sagt Jens Heidorn.

Erneuerbare Energien: Windenergie ist in Deutschland zum Erliegen gekommen

Damals novellierte die (alte) Regierung maßgeblich das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das eigentlich zum Jahrtausendwechsel geschaffen worden war, um die regenerativen Energien auszubauen. „Durch die Novellierung gab es für Windstrom keine Festpreise mehr, sondern Ausschreibungen. Das hat die Branche lahmgelegt“, sagt Heidorn, der sich auch im Vorstand des Hamburger Landesverbandes des Bundesverbandes Windenergie engagiert. 40.000 Arbeitsplätze seien seitdem weggebrochen.

„Das hat man in Kauf genommen, während die Arbeitsplätze im Kohleabbau mit Milliarden unterstützt werden.“ Die im EEG festgelegten Ausschreibungsmengen, also die erforderlichen Windenergieleistungen, hätten so nicht erreicht werden können, betont der Experte, „dabei waren die mit Blick auf die Klimaziele der Regierung eh schon zu niedrig angesetzt“.

Erneuerbare Energien sind nun im öffentlichen Interesse

Nun verspricht die Regierung unter Scholz also einen Neuanfang. Die Aussagen im Koalitionsvertrag sind nach Heidorns Ansicht vernünftig und längst überfällig: Bis 2030 soll der Marktanteil von grünem Strom 80 Prozent beantragen. „Bei dieser Rechnung ist nun auch der Strom enthalten, der etwa für Elektromobilität benötigt wird. Bisher war der zusätzliche Strombedarf durch die Energiewende viel zu niedrig angesetzt.“

„Es gibt jetzt einen klaren politischen Auftrag“, freut sich Jens Heidorn, Geschäftsführer der NET-Gruppe aus Bergedorf.
„Es gibt jetzt einen klaren politischen Auftrag“, freut sich Jens Heidorn, Geschäftsführer der NET-Gruppe aus Bergedorf. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Erneuerbare Energien seien laut neuer Regierung „im öffentlichen Interesse“. Heidorn: „Das wurde bisher noch nie so klar formuliert.“ Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windräder sollen „erheblich beschleunigt“ werden, für den Ausbau seien „alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen“, die Bundesregierung wolle den dezentralen Ausbau erneuerbarer Energien stärken. Die Politik sei nun gefordert, müsse sich an den Absichtserklärungen der Koalition messen lassen, meint Heidorn. Er erwarte, dass der neue Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Robert Habeck (Grüne), nun die notwendigen Rahmenbedingungen liefert. „Die Umsetzung müssen die Bundesländer leisten – dezentral.“

Hamburg müsse im Rahmen seiner Möglichkeiten aktiv werden

Der Windenergie-Verband in Hamburg hat schnell auf die Aussagen im Koalitionsvertrag reagiert und sich bereits an Politik und Verwaltung (Umweltbehörde) gewandt. „Windenergiepotenzial in Hamburg“ lautet der Titel einer Übersicht, die Heidorn und seine Mitstreiter aufwendig verfasst haben. „Sie ist auch aus Gesprächen mit der Politik entstanden.“

Laut Koalitionsvertrag sollen auch in Hamburg „zwei Prozent der Landesflächen“ für Windenergie ausgewiesen werden. Heidorn: „Bisher war das für unsere Stadt nicht geregelt. Zwei Prozent sind allerdings illusorisch, weil wir hier, in einem Stadtstaat, zu wenig Platz haben.“ Trotzdem dürfe sich Hamburg „nicht wegducken“, müsse die Stadt „im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv werden“, fordert Heidorn. „Das ist eine zähe Nummer und wird dauern, aber nun gibt es den klaren politischen Auftrag.“

Geeignete Flächen nur in den Bezirken Bergedorf und Harburg

Und was ist in Hamburg möglich? Geeignete Flächen (Außenbereiche) gibt es laut Heidorn nur in Bergedorf (Altengamme, Neuengamme, Ochsenwerder, Curslack) und in Harburg. „Dort sind bereits Flächen ausgewiesen, stehen die meisten Windenergieanlagen.“ Einen Sonderstatus hat der Hafen mit weiterem Potenzial. In Altengamme könne nach Heidorns Ansicht zwar weiteres Repowering – alte Windräder werden durch neue ersetzt – innerhalb des bestehenden Gebietes betrieben werden. Aber: „Es lohnt sich wirtschaftlich nicht: wegen der bestehenden Höhenbegrenzung. Eine Anlage darf dort eine Gesamthöhe von maximal 150 Metern haben.“

Deshalb habe die NET-Gruppe seit 2016 keine neuen Genehmigungen beantragt. „Die Altanlagen wurden gebaut, als es noch andere Vergütungssätze gab. Damals war das in Ordnung, doch nach der Novellierung des EEG nicht mehr. Jetzt müssten wir höher bauen, um bei Ausschreibungen eine Chance auf einen Zuschlag zu haben.“ Schließlich stehe das Unternehmen in direkter Konkurrenz zu allen anderen Betreibern mit leistungsfähigeren Anlagen. Dazu steht im Koalitionsvertrag: „Wo bereits Windparks stehen, muss es ohne großen Genehmigungsaufwand möglich sein, alte Windenergieanlagen durch neue zu ersetzen.“

Höhenbegrenzungen sollten im Einzelfall geklärt werden

Deshalb müsse der Hamburger Flächennutzungsplan mit seinen sieben verzeichneten Eignungsgebieten nach Heidorns Ansicht in Bezug auf Windenergie angepasst werden: „Eine pauschale Höhenbegrenzung macht keinen Sinn. Das sollte im Einzelfall geklärt werden.“ In Altengamme seien moderne Anlagen mit einer Gesamthöhe (bis zur Flügelspitze) von mindestens 200 Metern erforderlich.

Es sei laut Heidorn auch wichtig zu prüfen, wo zusätzliche Eignungsgebiete ausgewiesen werden können. „Konkrete Vorschläge liegen nun in der Umweltbehörde auf dem Tisch.“ Natürlich müsse bei einer Überarbeitung des Flächennutzungsplans auch auf die Vier- und Marschlande geschaut werden, sagt Heidorn. Er wisse, „dass die Stadt intensiv mit dem Thema beschäftigt ist“.

Auch die CDU befürworte die Ausschöpfung der Potenziale von Windenergie

Das geht auch kaum anders: Schließlich steht im Koalitionsvertrag, dass die neue Regierung „noch im ersten Halbjahr 2022 gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen alle notwendigen Maßnahmen anstoßen“ werde, um die für den Ausbau der erneuerbaren Energien „notwendigen Flächen zu organisieren“.

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Rückenwind bekommen die Anlagenbetreiber neuerdings auch von der Hamburger CDU: Die Abgeordneten Sandro Kappe und Stephan Gamm stellten bereits im Juli eine Kleine Anfrage zum Thema Windenergie an den Senat: Die Christdemokraten, nicht als Vorkämpfer für Windenergie bekannt, betonen in der Einleitung, dass ihre Partei „die Ausschöpfung der Potenziale von Windenergiekraftanlagen auf Hamburger Staatsgebiet“ befürwortet.

Stephan Jersch (Die Linke) stellte Ende November ebenfalls eine Kleine Anfrage zum Ausbau der Windenergie in Hamburg. Der Politiker aus Bergedorf wollte unter anderem wissen, was der Senat unternehme, um das Potenzial an Windenergie zu steigern. Die Antwort des Senats liegt vor: Die Umweltbehörde stelle „Überlegungen zur Erschließung eines weiteren Windenergiepotenzials in Hamburg an“.