Hamburg. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts fordern Bergedorfs Windrad-Pioniere die Politik zum Handeln auf. Ihre Beweggründe.
Der Bau neuer Windenergieanlagen ist in Deutschland in den vergangenen drei, vier Jahren quasi zum Erliegen gekommen, berichten Klaus Soltau und Jens Heidorn (beide 58), Mitgesellschafter und Geschäftsführer der Bergedorfer NET-Gruppe. Zwei Anlagen, die sie 2018 in Ochsenwerder aufstellten, seien die letzten neuen in ganz Hamburg gewesen. Sie würden gern weitere Windräder errichten und einen Beitrag zum Erreichen der deutschen Klimaziele beitragen, doch ihnen seien die Hände gebunden. Deshalb fordern sie die Politik zum Handeln auf
Verursacht werde der Stillstand durch eine Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Denn seit 2017 müssen sich die Betreiber von Windenergieanlagen in Ausschreibungsverfahren der Bundesnetzagentur um einen Zuschlag bei bundesweiten Auktionen bewerben. Dabei ist der Strompreis auf maximal sechs Cent pro Kilowattstunde gedeckelt.“ Dies schrecke Anlagenbetreiber ab.
Hamburger Betreiber wollen weitere Windkrafträder aufstellen
Denn bevor sich Anlagenbetreiber bewerben können, muss der Bau ihrer Anlage genehmigt worden sein. „Das Verfahren kann bis zu fünf Jahre dauern und kostet bereits eine sechsstellige Summe“, sagt Soltau. Erst wenn anschließend in einer Ausschreibung ein Zuschlag erteilt worden ist, weiß der Anlagenbetreiber, was er für den von ihm gelieferten Strom bekommt – „und das ist ein großes finanzielles Risiko“, betont Heidorn.
In Hamburg sind auf ausgewiesenen Außenflächen Anlagen mit einer Gesamthöhe von maximal 150 Metern erlaubt. Doch der Bau solcher Anlagen sei aufgrund der neuen Preisbildung kaum noch wirtschaftlich. „Die Hansestadt liegt in einem sogenannten Schwachwindbereich“, sagt Soltau. Von den 67 Windrädern, die sich in Hamburg drehen, seien nur die in Curslack (180 Meter) und die im Hafen mit bis zu 200 Metern größer.
In Hamburg sind die Flächen für Windkrafträder sehr begrenzt
„Doch jeder Meter mehr Höhe bringt knapp ein Prozent mehr Ertrag“, sagt Soltau. „180 bis 200 Meter sind heute eine Standardgröße. Kleinere werden kaum noch angeboten.“ Und da in anderen Bundesländern höhere Anlagen genehmigt werden, habe man bei der Konkurrenz um den Strompreis mit kleineren Anlagen kaum eine Chance auf einen Zuschlag.
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Doch es kommt nicht nur auf die Höhe an: Im Stadtstaat Hamburg sind die Flächen, auf denen Windräder stehen dürfen, besonders begrenzt und die bereits ausgewiesenen Eignungsgebiete fast alle bebaut. In Bergedorf könnten lediglich vier alte Windräder in Altengamme und zwei in Ochsenwerder durch insgesamt drei leistungsstärkere, neue ersetzt werden (Repowering). „Die Politik ist nun gefordert, den vorhandenen Flächennutzungsplan zu überarbeiten“, sagt Soltau. „Dies ist zuletzt zwischen 2008 und 2013 geschehen.“
Bundesregierung soll das Klimaschutzgesetz nachbessern
Die Windkraft-Pioniere aus Bergedorf verdienen einerseits ihr Geld mit emissionsfreier Energieerzeugung, sind aber andererseits auch Überzeugungstäter, die zur Reduzierung des Klimawandels durch weniger Kohlendioxidausstoß beitragen wollen. Durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Ende April bekommen sie Rückenwind: Die Bundesregierung muss das Klimaschutzgesetz nachbessern, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen zu schützen. Bisher sind Maßnahmen zur Emissionsverringerung nur bis 2030 vorgesehen.
Dadurch würde die Umsetzung der Klimaschutzziele verschoben und nachfolgenden Generationen aufgebürdet. Doch gehandelt werden muss jetzt. „Die Zielsetzung ist längst klar. Nun muss die Politik endlich entsprechend handeln und die einzelnen Schritte vollziehbar machen“, sagt Heidorn.
Bis die beiden Männer wieder den Bau neuer Anlagen planen können, werden sie sich verstärkt um den korrekten Betrieb der Bestandsanlagen, die Vermarktung des Stroms, der bereits erzeugt wird, und neue Anforderungen der Politik wie etwa die bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung kümmern. Und um die rund 20 Solaranlagen, die das Unternehmen betreibt.
- 31 Windräder in den Vier- und Marschlanden
Seit 1991 die erste Windenergieanlage im Landgebiet in Betrieb genommen worden ist, wurde jetzt die magische Grenze von einer Milliarde Kilowattstunden (kWh) Strom aus Windenergie in Bergedorf überschritten. „Das entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von etwa 400.000 Haushalten“, sagt Jens Heidorn von der NET-Gruppe in Bergedorf. Die Umwelt sei dadurch um rund 500.000 Tonnen Kohlendioxid entlastet worden – „bei durchschnittlichen CO2-Emissionen von 500 Gramm pro Kilowattstunde“. Inzwischen drehen sich in den Vier- und Marschlanden 31 Windräder. Sie produzieren laut Heidorn jedes Jahr durchschnittlich weitere 135 Millionen kWh. „Damit wird der gesamte Stromverbrauch sämtlicher Haushalte im Bezirk Bergedorf emissionsfrei erzeugt.“Die NET-Gruppe betreibt zwölf Windkraftanlagen in Bergedorf sowie zahlreiche Solaranlagen.