Bergedorf. Mit der Eisenbahn kamen die Touristen und erlebten ungekannte exotische Vielfalt. Eine Zeitreise durch Bergedorf-Süd der 1840er-Jahre.

Italienische Restaurants und Ausflugslokale auf dem Frascatiplatz. Dazu ein direkter Eisenbahnanschluss vom Hamburger Hauptbahnhof. Gästeführer und Kutschen, die Touren ins Bergedorfer Gehölz, das Villengebiet oder sogar den Sachsenwald anbieten. Was angesichts des heutigen Großparkplatzes am Neuen Weg wie ein schöner Traum klingt, war schon einmal Wirklichkeit: Der Frascatiplatz, Endpunkt der ersten Eisenbahn Norddeutschlands, stand für Bergedorfs italienische Momente.

Davon erzählt Dietrich Becker am Sonnabend, 15. Juni, beim nächsten Rundgang des Kultur- & Geschichtskontors. Von 14 Uhr an begibt sich der langjährige Leiter der Bergedorfer Bücherhalle auf Spurensuche im malerischen Gründerzeitstadtteil Bergedorf-Süd. Treffpunkt ist wenige Meter neben dem Frascatiplatz am Neuen Weg 54, wo ein ungewöhnlicher blauer Holzbau mit kleinem Turm steht: Es handelt sich um den originalgetreuen Nachbau des Kassenhäuschens des ersten Bergedorfer Bahnhofs, der auch für den ungewöhnlichen Namen des Platzes verantwortlich ist.

Als Hamburgs Wochenendausflügler Bergedorfs italienisches Viertel überfluteten – und plötzlich ausblieben

Von hier aus geht der Blick zurück ins Jahr 1842, als vor den Toren der Kleinstadt die Zukunft Einzug hält. Im Mai jenes Jahres rollen die ersten Züge aus Hamburg ein, lassen Wochenendausflügler nach Bergedorf strömen. Empfangen werden sie vom frisch gebauten italienischen Viertel, dessen riesige Lokale so fremdländische und aufregende Namen tragen wie Portici, Colosseum oder eben Frascati. Es ist das Viertel, dem Bergedorf seinen ersten großen Aufschwung zu verdanken hat, der der 2000-Einwohner-Stadt ihren Ruf als Luftkurort beschert und sogar das Villengebiet entstehen lässt – sowie nicht zuletzt auch den malerischen Gründerzeit-Stadtteil Bergedorf-Süd.

Das „Frascati“, hier auf einer kolorierten Lithografie von A. H. Payne, stand dort, wo heute der Frascatiplatz ist. Links das kleine Kassenhaus des Bahnhofs, dessen Nachbau noch heute am Neuen Weg steht.
Das „Frascati“, hier auf einer kolorierten Lithografie von A. H. Payne, stand dort, wo heute der Frascatiplatz ist. Links das kleine Kassenhaus des Bahnhofs, dessen Nachbau noch heute am Neuen Weg steht. © Kultur & Geschichtskontor, Nachlass Paul Hasse

Dietrich Becker wird dieses Bergedorfer Geheimnis lüften und auch die Gründe benennen, warum das italienische Viertel vor 180 Jahren nur eine sehr kurze Blütezeit erlebt: Die erhoffte Verlängerung der Eisenbahnlinie nach Berlin macht nämlich schon 1846 einen Bogen um den Frascatiplatz, verschiebt den Bahnhof an seine heutige Stelle und den Strom der Hamburger Ausflügler in den Norden Bergedorfs. Die großen Lokale verwaisen, das Portici wird später zum Kult-Kino Kurbel, und das Frascati kommt nach Friedrichsruh, wo es im Originalzustand dort wieder aufgebaut, aber später vom Blitz getroffen wird. Heute steht an seiner Stelle das Herrenhaus der Familie Bismarck.

Der Frascatiplatz heute: Großparkplatz und Veranstaltungsfläche.
Der Frascatiplatz heute: Großparkplatz und Veranstaltungsfläche. © BGDZ | Jan Schubert

So weit will Dietrich Becker mit seinen Gästen allerdings nicht laufen. Sein zweistündiger Rundgang führt vom Frascatiplatz quer durch Bergedorf-Süd, das als Wohnort für Bergedorfs gehobene Handwerker und Angestellte von 1900 bis 1910 überwiegend südlich der heutigen B5 entsteht. Es bietet den seinerzeit sagenhaften Luxus von Bädern und Toiletten in den Wohnungen. Zudem finden sich in diesem gut erhaltenen Stadtteil bis heute etliche Handwerksbetriebe und nicht zuletzt das älteste Schulgebäude von ganz Hamburg: Bergedorfs Stadtschule am Brink, heute Sitz der Rudolf-Steiner-Schule, stammt aus dem Jahr 1856.

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Die Teilnahme am Rundgang vom Frascatiplatz durch Bergedorf-Süd kostet 9 Euro pro Person, zahlbar am Treffpunkt Neuer Weg 54. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.