Hamburg. Nina Schulz bestimmt als Head Coach über die Geschicke beim American-Football-Team der TSG Bergedorf. Nur eine Sache ist tabu.
Es gibt kaum einen anderen Sport, der so viel Testosteron versprüht wie American Football. Ein rauer Sport, in dem es um Männlichkeit geht. Rustikaler Körperkontakt ist Bestandteil jedes einzelnen Spielzugs. Es wird geschoben, geschubst, gekämpft, der Gegenspieler umgerissen und unter sich begraben. Die Hamburg Swans, das American-Football-Team der TSG Bergedorf, haben genau darin ihr große Stärke. Und das ist auch ein großes Verdienst von Nina Schulz, die als Head Coach das Sagen an der Seitenlinie hat.
Während sich ihr Team im Regionalliga-Heimspiel gegen die Braunschweig Lions II für den nächsten Spielzug bereit macht, wandert Schulz gedankenverloren die Seitenlinie entlang. Das Geschehen auf dem Spielfeld scheint sie kaum wahrzunehmen. „Während der Spiele bin ich im Tunnel“, erläutert die 38-Jährige. „Ich überlege mir dann oft schon den nächsten Spielzug: Was machen wir? Wie stellen wir uns auf? Wie hat der letzte Call funktioniert, den ich angesagt habe? American Football ist Schach auf dem Rasen.“
Hamburg Swans – eine Frau bändigt die starken Männer
Weil die Sportart so komplex ist, teilt sie sich die Aufgabe mit Offensive Coordinator Tobias Barwikowski, der die Angriffsspielzüge ansagt, während sie sich vornehmlich um die Verteidigung kümmert. Ein Feld, das sie zuvor schon unter Head Coach Daniel Kasper als Defensive Coordinator beackert hat. Mit großem Erfolg: Die Verteidigung der Bergedorfer um die Abwehrhünen Yannic Kiesewetter und Matthias Kolland ist gefürchtet in der Liga. Beim 39:9-Erfolg gegen Braunschweig lassen sie gerade mal einen Touchdown zu.
Es ist der erste Sieg für Nina Schulz als Head Coach der Hamburg Swans. Nachdem Kasper aus beruflichen Gründen kürzer trat, rückte sie Anfang des Jahres auf, ist nun die Chefin an der Seitenlinie. Das heißt, sie muss einen Kader von rund 50 starken Männern bändigen, die alle miteinander um Spielzeiten konkurrieren. Dafür musste sie sich erst einmal Respekt verschaffen, die Akzeptanz der Spieler gewinnen. „Doch das ging relativ zügig“, blickt sie zurück. „Die meisten Spieler wollen lernen, und wenn sie merken, dass ich sie besser mache, ist alles ganz leicht.“
Eine Frau als Cheftrainerin, das gab es bislang nur einmal
Geholfen haben mag auch, dass es ein großes Vorbild aus der German Football League (GFL) gibt. Nadine Nurasyid, wie Nina Schulz 38 Jahre alt und wie die Bergedorferin eine ausgewiesene Football-Expertin, wurde 2021 zum Head Coach des Erstligisten Munich Cowboys berufen, als erste Frau im Profi-Football. Unter ihrer Führung marschierten die Münchener 2022 bis in die Playoffs, und Nurasyid wurde zum „Coach of the year“ ernannt. 2023 verließ sie die Cowboys, ist nun Football-Kommentatorin bei RTL.
Was für Nurasyid ihr Beruf, ist für Schulz ein Hobby. Die C-Lizenz-Inhaberin arbeitet in Vollzeit für einen Finanzdienstleister, abends steht sie zweimal pro Woche beim Training der Swans auf dem Platz. Hinzu kommen die Spiele. „Und damit ist es noch lange nicht getan“, erläutert sie. „Viel Zeit kostet es auch, die Tapes von den Spielen zu analysieren, Trainingspläne zu schreiben. Aber wenn ich Football gucke, geht es mir gut.“
Bergedorfs neue Trainerin ist eine ehemalige deutsche Meisterin
Ihre große Leidenschaft entstand als Teenager durch ihre Schulclique. „Da waren einige Jungs, die American Football bei den Hamburg Pioneers gespielt haben“, erinnert sie sich. „Also bin ich immer mitgegangen, und als dann im Oktober 2002 eine Damenmannschaft, die Hamburg Amazons, aufgemacht wurde, war ich als Spielerin der ersten Stunde mit dabei.“ Zehn Jahre lang spielte sie als Running Back und Linebacker für die Amazons, mit denen sie 2004 und 2005 jeweils deutscher Vize-Meister wurde. Die Krönung war dann 2007 der deutsche Meistertitel mit den Berlin Cobra Ladies.
Auch heute noch wirkt die 38-Jährige topfit, auch wenn sie zugibt: „Ich selbst treibe eigentlich überhaupt keinen Sport mehr. Dafür kostet das Amt als Head Coach einfach zu viel Zeit.“ 2012 begann sie ihre Trainerkarriere bei den Hamburg Swans. „Damals habe ich meine ersten Baby Steps im Herrenbereich als Positionstrainerin gemacht.“
Die Kabine ist tabu für die Chefin der Hamburg Swans
Heute ist es ihre größte Aufgabe, im Training das unterschiedliche Niveau von Neulingen und erfahrenen Kräften zueinander zu bringen. Die jahrelange Erfahrung hilft ihr dabei, die kleinen Untiefen als Frau in einem Männersport zu umschiffen. Zum Beispiel wenn es um die Kabine geht. Die betritt sie nie. „Warum sollte ich?“, fragt sie. „Es gibt einen klaren Scedule. Jeder Spieler weiß, wann er wo zu sein hat und ist selbst schuld, wenn er das verpasst. So komme ich gar nicht erst in die Versuchung, Dinge in der Kabine klären zu wollen.“
Auch interessant
- Magnus Carlsen – So tickt das norwegische Schachgenie
- Legendäre „Elstern“ – Pokalspiel gegen Bayern München für die Ewigkeit
- Sport mit über 90 Jahren? – Kein Problem!
Ihre Ambitionen sollten ohnehin jedem Spieler klar sein. „Wir wollen ganz oben mitspielen“, betont Nina Schulz selbstbewusst. Die Partie beim Regionalliga-Favoriten Elmshorn Fighting Pirates (29. Juni, 15 Uhr, Krückaustadion, Köllner Chaussee) wird zeigen, ob die Bergedorfer dazu bereits in der Lage sind. Dann wird es vor allem wieder auf Running Back Marius Fiedler ankommen, der gegen Braunschweig drei Touchdowns erzielte. Außerdem schafften es David Kruppa, Tim von Hacht und Verteidiger Matthias Kolland je einmal in die gegnerische Endzone.
Diese Regionalliga-Saison könnte noch so richtig spannend werden
„Ich ziehe meinen Hut vor der Mannschaft“, lobt sie nach dem klaren 39:9-Erfolg gegen die Reserve des Erstligisten Braunschweig Lions. Im allerletzten Heimspiel am 31. August (15 Uhr, Ladenbeker Weg) wiederum gegen Elmshorn könnte es eine Art Endspiel um die Staffelmeisterschaft geben, wenn für die Bergedorfer alles optimal läuft. Bis dahin wird sie ihre starken Männer pushen, in jedem Training wieder.