Hamburg. Wohlfahrtsverbände schlagen Alarm. Inflation und Energiekosten verschärfen die Not in Bergedorf. Das spürt auch der Verein Sprungbrett.
Eigentlich berät Christine Huber für den Bergedorfer Verein Sprungbrett Eltern vor allem in Erziehungsfragen. Doch immer seltener brennen den Menschen in ihrer Sprechstunde Fragen zu schreienden Babys oder trotzigen Teenagern auf den Nägeln. Stattdessen hat Huber es zunehmend mit verzweifelten Gesprächspartnern zu tun, die nicht mehr wissen, wie sie noch Essen auf den Tisch bringen sollen.
Hohe Energiepreise und Inflation fressen die schmalen Einkommen immer schneller auf. Christine Huber hilft in ihrem Büro im KulturA in Neuallermöhe ihren Klienten, sich im Bürokratiedschungel zurechtzufinden und Hilfe vom Amt zu erhalten. Schon immer bietet Sprungbrett e.V. diese Unterstützung an. Doch mittlerweile macht diese Form der Beratung laut Huber den Großteil ihrer Arbeit aus. „Der Anteil von pädagogischen Themen liegt unter zehn Prozent“, sagt sie. Mit ihrer Beobachtung ist Huber nicht allein. Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege beobachten, dass die Situation gerade für Kinder, Jugendliche und Familien immer prekärer wird – und schlagen Alarm.
Armut in Bergedorf wird durch Inflation immer schlimmer
„Unsere Einrichtungen sind ein Seismograf für die soziale Entwicklung in unserer Stadt. Und die gibt höchsten Anlass zur Besorgnis“, betont Sandra Berkling von der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW). Im Jahr 2022 sei das Armutsrisiko von Kindern und Jugendlichen von 21 auf 26,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, bei kinderreichen Familien von 28,2 auf 40,1 Prozent.
„Aufgrund der hohen Lebensmittel- und Energiepreise haben junge Menschen und Familien immer früher im Monat nicht mehr genügend Geld, um sich und ihre Familien adäquat zu versorgen und zu ernähren“, heißt es vonseiten der AGFW. Immer häufiger kommen Kinder hungrig in Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Angebote mit ergänzendem Essensangebot, wie das Familienfrühstück im KulturA, werden immer stärker frequentiert.
Menschen arbeiten und müssen trotzdem aufstocken
Christine Huber schildert den Fall einer verzweifelten alleinerziehenden Mutter, die von ihrem Vermieter Nachforderungen für Wasserkosten in Höhe von 1500 Euro erhielt, die sie in drei Monaten abstottern sollte. Eine andere Frau nicke während der Beratungsgespräche regelmäßig vor Müdigkeit ein. „Sie steht jeden Morgen um 4 Uhr auf, um rechtzeitig bei der Arbeit zu sein. Ich bin schon erleichtert, dass ihre Kinder schon Jugendliche sind und ich weiß, dass das Frühstück morgens auf dem Tisch steht.“ Zeit, um sich die Alltagssorgen des Nachwuchses anzuhören, bleibe dann aber oft nicht, weiß Sprungbrett-Geschäftsführerin Ina Achilles.
Christine Huber kennt ihre Klienten in Neuallermöhe. „Viele Menschen sind sogenannte Working Poor. Sie arbeiten als Reinigungskräfte im Sicherheitsbereich oder in der Pflege und müssen trotzdem noch aufstocken, weil das Geld nicht reicht“, betont sie. Trotzdem reiche das Geld immer häufiger nicht aus. Dann helfen die Berater von Sprungbrett e.V., Hilfe bei den Behörden oder über andere Kanäle zu organisieren.
Immer weniger Zeit für pädagogische Beratung
Für sozialpädagogische Arbeit mit den Familien bleibt bei den Hamburger Trägern immer weniger Zeit. Bei Sprungbrett e.V. betreuten zwei Kräfte im Jahr 2023 insgesamt 709 Beratungsfälle. „Wenn ich aus einem Gespräch rausgehe, ist meine Arbeit an dem Fall noch lange nicht beendet“, sagt Huber. „Oft telefoniere ich noch herum, erinnere manche Familien an Fristen und Termine.“ Mit der Not der Klienten steigt auch die Belastung des KulturA-Teams. Die Fahrradwerkstatt sei schon eingestellt worden, der gemeinsame Garten verwildere, berichtet Ina Achilles.
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Der Zusammenschluss der Wohlfahrtsverbände fordert eine ausreichende Kindergrundsicherung auf Bundesebene. Diese soll Anfang 2025 eingeführt werden und dann das Kindergeld ersetzen. Wie hoch die Unterstützung ausfallen wird, steht noch nicht fest. Bis die Grundsicherung kommt, fordert Sandra Berkling von der AGFW eine Reaktion der Stadt Hamburg. „Personal- und Sachkosten der Einrichtungen müssen aufgestockt werden, um die nötigsten Bedarfe zu lindern.“
Auch bei der Effizienz ihrer Behörden könne die Hansestadt ansetzen. Denn die überlastete Verwaltung verstärkt die Not armer Menschen zusätzlich, weil Anträge oft sehr lange nicht bearbeitet werden und Ansprechpartner nicht zu erreichen sind.