Bergedorf. Die Lohbrüggerin arbeitete am Europäischen Gerichtshof und im EU-Parlament. Jetzt setzt sie sich für den Erhalt der Sprache Romanes ein.
Die Kiste mit den uralten Vorurteilen muss endlich ausgeräumt werden: „Ich kann weder wahrsagen noch tanzen. Und ich bin nicht kriminell.“ So etwas sagt Diana Sima gern den Kaufhausdetektiven, von denen sie beobachtet wird und wenig später über den Lautsprecher hört: „Liebe Kunden, bitte passen Sie auf Ihre Taschen auf.“ Das macht sie wütend – zum Glück auch lautstark: „Ich habe mich per Mail bei der H&M-Zentrale in Schweden beschwert, und man hat sich entschuldigt.“
Antiziganismus ist das Wort für den Rassismus, der Sinti und Roma stigmatisiert. Es sind viele Momente, von denen die 44-jährige Lohbrüggerin berichten kann: „Als ich im Sommer hochschwanger auf der Mönckebergstraße einen Kreislaufzusammenbruch hatte, kam lange niemand zur Hilfe“, erinnert sie sich an das Gefühl von Ausgrenzung – nicht nur in Deutschland: „In Serbien hat man mich beim Friseur lange ignoriert und warten lassen, mir nicht einmal ein Wasser angeboten.“
Rassismus in Hamburg: Wie Diana Sima gegen Ausgrenzung von Sinti und Roma kämpft
Neben Serbisch spricht sie sieben weitere Sprachen und ist, unter anderem am Europäischen Gerichtshof und im Europäischen Parlament, Simultan-Dolmetscherin für Romanes: „Sinti und Roma sprechen viele Dialekte, aber Romanes verstehen sie alle, auch wenn die Sprache langsam ausstirbt“, erklärt die Romni, die jetzt an der Stadtteilschule Bergedorf (GSB) zu einem diskursiven Gespräch einlädt.
Es geht um den Erhalt der Sprache, die seit 1997 von der Stadt Hamburg als Minderheitensprache anerkannt ist. Doch: Wie lässt sich der Erhalt der Sprache fördern? Und wie können die Kinder der Roma und Sinti besser ins deutsche Schulsystem integriert werden?
Sprachwissenschaftler Yaron Matras ist beim Symposium zu Gast
Darüber sprechen am Donnerstag, 30. Mai, viele Experten im Zeighaus der GSB am Ladenbeker Weg 13: Der Verein Rom und Cinti Union ist ebenso dabei wie der Bildungsverein der Roma zu Hamburg und der Landesverein der Sinti in Hamburg.
Dazu will Dr. Mareile Krause (vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung) ins Gespräch kommen mit dem Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Yaron Matras von der Universität Hamburg. Unter den Zuhörern werden sich zwischen 19 und 21 Uhr nicht nur Lehrer finden, auch alle anderen Interessierten können sich kostenlos anmelden, per Mail an diana.sima@stsbergedorf.de.
Einige Eltern haben wenig Vertrauen in die Institution Schule
Anlass der aktuellen Diskussion ist eine Antiziganismusstrategie für Hamburg: Bis Mitte 2024 sollen aus den Eckpunkten konkrete Ziele und erste Maßnahmen abgeleitet werden, wünscht auch Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank: „Mit der Fortschreibung der Antidiskriminierungsstrategie möchten wir eine Kultur echter Chancengleichheit etablieren. Dazu gehört es, vielfältige Lebensformen zu fördern sowie Mehrfachdiskriminierung und Ausgrenzung systematisch entgegenzuwirken.“
Als Brücke zwischen den Roma-Familien und der Schule möchte sich Diana Sima verstehen, die seit 2018 als Bildungsberaterin und Sozialpädagogin an der GSB arbeitet. Hier lernen auch Kinder aus der Ukraine und Bulgarien, aus Bosnien, Rumänien und Serbien. Aber manche Eltern schicken sie nicht gern zur Schule.
Auch die beiden eigenen Kinder sprechen kein Romanes
„Es ist vielleicht diese uralte Angst von damals, als die Polizei die Kinder direkt aus den Schulen deportiert hat. Da gibt es wenig Vertrauen in die Institution Schule“, erklärt Sima auch jenen Schülerinnen und Schülern, die jährlich bei der Gedenkwoche an den Holocaust dabei sind und einen Ausflug zur KZ-Gedenkstätte in Neuengamme machen.
Selbst ihre eigenen Kinder (16 und 18 Jahre alt) würden „kein richtiges Romanes“ sprechen: „Sie mögen sich nicht damit identifizieren und haben Angst vor Nachteilen, dass sie immer in die unterste Schublade gesteckt werden. Schließlich waren die Roma und Sinti jahrhundertelang unerwünscht, wurden verfolgt, vertrieben und gebrandmarkt wie die Viecher“, berichtet Diana Sima, deren eigene Geschichte sehr multikulturell ist.
„Wir waren immer sesshaft. Mein Opa fertigte Kämme aus Rinderknochen und verkaufte sie auf den umliegenden Märkten. Mein Vater war Abteilungsleiter einer Chemiefabrik und Mutter Köchin auf einer großen Baustelle.“ Mit vier Geschwistern wuchs sie in der rumänischen Kleinstadt Turnu Măgurele auf und war „die Einzige aus der Stadt, die zum Studium nach Bukarest ging“, erzählt Diana Sima, die zunächst vier Semester lang Sprachen und Jura studierte, bis sie zur Politikwissenschaft wechselte.
Für die BBC und Steven Spielberg übersetzt
Durch das Romanes-Dolmetschen finanzierte sich die Sprachbegabte das Studium: „Journalisten der BBC und New York Times fragten an, ebenso von National Geografic. Dazu arbeitete ich für die Shoah Foundation des Regisseurs Steven Spielberg, die Schilderungen von Holocaust-Überlebenden archiviert. Und der Verein für Romarechte bat mich 2002, seine Vertreter zum UNO-Weltkongress gegen Rassismus nach Durban zu begleiten.“
So lernte sie auch Rudko Kawczynski kennen, den Präsidenten der Rom und Cinti Union sowie Mitglied des Hamburger Integrationsbeirates. Durch ihn landete Diana Sima 2002 in der Hansestadt, wo sie an der Grundschule St. Pauli drei Jahre lang Romanes unterrichtete und nebenbei einen internationalen Roma-Kongress in der polnischen Stadt Łódź mitorganisierte.
Freiberuflich sei sie als Simultan-Dolmetscherin oft gefragt, nicht nur in Brüssel und Straßburg: „Oft müssen Aufenthaltsrechte vor Gericht geklärt werden. Dann müssen Frauen, die im Kosovo-Krieg vergewaltigt wurden, ihre Geschichte erzählen.“ Auch bei Strafsachen werde sie hinzugezogen und betont: „Längst nicht alle, die Adzovic heißen, sind kriminell oder miteinander verwandt.“
Wie es der Zufall so wollte, verliebte sich die christliche Romni in einen muslimischen Rom, einen Dolmetscher aus dem Kosovo. Vor 16 Jahren zogen sie in ein kleines Haus in Lohbrügge und bekamen zwei Kinder. Die jedoch haben leider kein Romanes in der Schule gelernt. „Ich würde so gern in der GSB einen Kursus anbieten und unsere Sprache unterrichten. Aber dazu müssten sich die Schüler trauen.“
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Und dazu brauche es auch mehr Aufgeschlossenheit: In Schweden seien sogar extra Romanes-Lehrer ausgebildet worden. In Rumänien werde die Sprache optional an allen Schulen angeboten. „In der Türkei jedoch, wo 2,5 Millionen Roma wohnen, gibt es keinen Unterricht, dafür fehlt der politische Wille“, meint die 44-Jährige und hofft, dass sich wenigstens in Hamburg bald einiges verändert – dank der neuen Antiziganismusstrategie.