Hamburg. Laut Ombudsstelle beklagen viele Hilfesuchende den persönlichen Umgang. Kann Personalnot beim sozialen Dienst der alleinige Grund sein?

Schlechte Noten für das chronisch überlastete Bergedorfer Jugendamt: „Es wird mehr als Interventionsinstanz begriffen, denn als Hilfegeber. Die Mitarbeiter haben weniger Zeit und können durch die Ökonomisierung der Arbeit weniger Beziehungsarbeit mit den Menschen leisten.“ So gesagt von Sozialpädagogin Lisann Mayer, die in Hamburg im September 2021 die Ombudsstelle startete. Die unabhängige Beratungs- und Beschwerdestelle versteht sich als „Verstärker für Kinder- und Jugendrechte“, will als Streitschlichter bei Konflikten mit dem Jugendamt unterstützen.

Gleich im ersten Jahr 2022 leisteten die Mitarbeiter der Ombudsstelle 134 Beratungen. Ein Jahr später waren es hamburgweit schon 259, davon jedoch bloß 15 in Bergedorf. „Wir sind in der Hilfelandschaft gut angekommen, aber im Vergleich zu anderen Bezirken ist das Angebot hier noch wenig bekannt“, sagte Mayer zuletzt im Jugendhilfeausschuss. Zu 48 Prozent seien es die Mütter, die Probleme mit dem Amt ansprechen, aber auch Väter und die Jugendlichen selbst machen jeweils 13,3, Prozent aus.

Zu unsensibel: Scharfe Kritik am Bergedorfer Jugendamt

Worum geht es? Der Hauptadressat sei zu 85 Prozent der Allgemeine Soziale Dienst, ASD. „Die Menschen fühlen sich nicht gesehen und einbezogen. Da überrascht es nicht, wenn es zu Krisen kommt“, meint Mayer. Da sind zum einen die komplizierten Verfahren und Abkürzungen: KWG etwa steht für Kindeswohlgefährdung und kann dazu führen, dass ein Kind aus der Familie genommen wird. Da wäre ein Wegweiser in einfacher Sprache durchaus hilfreich und könne „viele Schleifen abkürzen“, so die Beraterin.

Dass aber die meisten Hilfesuchenden (zu 87 Prozent) den persönlichen Umgang kritisieren, wütend und verzweifelt sind – das müsse nicht sein. Auch bei Amtsvormundschaften sei mehr Transparenz gefragt, deren Funktion und Aufgaben sollten deutlicher kommuniziert werden, mahnt die Sozialpädagogin.

Der Ton darf nicht rauer werden

Welche Rechte habe ich? Wann darf ich mein Kind sehen? Wie lässt sich Widerspruch einlegen? Mit solchen Fragen kommen die Bergedorfer ebenso wie mit der Bitte nach mehr Einfühlungsvermögen: „Eine Neu-Bergedorferin hat innerhalb von eineinhalb Jahren acht Fachkräfte in anderen Jugendämtern gesehen. Die mag ihre Geschichte nicht ein neuntes Mal erzählen. Jetzt aber darf der Ton nicht rauer werden, etwas sensibler zu sein würde sehr viel mehr bringen“, rät die Sozialpädagogin.

Kinder und Jugendliche haben Rechte.
Kinder und Jugendliche haben Rechte. © bgz | Privat

Sensibilität erhoffte sich auch die Mutter, die nicht lesen und schreiben kann. Angstvoll fragte sie: „Wird mir das als erziehungsunfähig ausgelegt?“

„Zu große Abstände der Hilfegespräche führen zu Frust“

Schwierigkeiten haben ebenso die 16- bis 21-Jährigen, oftmals unbegleiteten Flüchtlinge, ergänzt Betreuungsrichterin Christiane Steinhöfel aus Reinbek. Sie ist seit März 2023 als Ombudsfrau dabei und verweist auf das Recht zur Mitwirkung: „Zu große Abstände der Hilfegespräche führen zu Frust. Außerdem sollten nicht nur Eltern, sondern auch Tante oder Onkel dabei sein dürfen, wenn man sich liebevoll verbunden fühlt.“

Mehr Augenmerk müsse das Jugendamt auch auf Hilfen für junge Volljährige richten: „Die werden mit 18 quasi aus dem Nest der Betreuung herausgeschubst und sind überfordert.“ Da fehlten noch lebenspraktische Alterskompetenzen: „Die kennen keine Privat-Haftpflicht. Und haben nicht das Backup-System Familie, das notfalls mal einen Kredit gibt“, so die Richterin und erhofft sich vom Jugendamt mehr Großherzigkeit: „Die sind noch nicht gesettelt, aber wir dürfen sie doch nicht schon mit 18 aufgeben.“

Neue Ehrenamtliche in Bergedorf gesucht

Dringend werden neue Ehrenamtliche in Bergedorf gesucht (Bewerber schreiben an info@oha-verstaerker.de), denn zwei Bergedorfer Betreuer aus der Ombudsstelle haben schon wieder aufgehört: Eine Person macht eine Pause, ein anderer habe das Ehrenamt komplett niedergelegt – es ist schlichtweg sehr anspruchsvoll, man brauche schon ein „Mindestmaß an Fachwissen“. Das Leben sei allgemein stressiger, die wirtschaftlichen Nöte schwerer geworden, betont Steinhöfel: „Die Ehrenamtler geben reihenweise auf. Ich habe alle Hochachtung vor ihrer Arbeit, aber ich wünsche mir mehr Hauptamtliche.“

Hier müsse schlichtweg investiert werden, aber „der Finanzsenator mauert und hockt auf der Kohle. Dabei geht es um junge Menschen und die Zukunft unserer Gesellschaft“, mahnt die Ombudsstelle vor einem „hausgemachten Problem“: Soziale Arbeit müsse unbedingt besser bezahlt werden, denn: „Geld ist die Währung für Anerkennung. Die Leute im Jugendamt übernehmen Verantwortung, aber brennen dabei aus“, beanstanden Mayer und Steinhöfel und schrecken nicht vor politischer Kritik zurück: „Sonst haben wir bald Verhältnisse wie in den Vororten von Paris.“

Personelle „Grundfluktuation“ im Jugendamt

Das alles ist für Gisela Schulze, die seit sechs Jahren das Bergedorfer Jugendamt leitet, nicht leicht zu hören. Sie weiß um die vielen Aufgaben ihrer 103 Mitarbeiter. Anfang des Jahres trat das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts mit umfangreichen Veränderungen in Kraft. So kann beispielsweise das Jugendamt als vorläufiger Vormund oder als zusätzlicher Pfleger bestellt werden. Ferner besteht nun die Möglichkeit, Sorgeangelegenheiten zwischen Vormund und Erziehungsperson – etwa einem Pflegeelternteil – zu teilen.

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Zugleich aber schmeißen viele ASD-Mitarbeiter das Handtuch beziehungsweise müssen neue Kollegen einarbeiten: „Auf Ebene der Fachkräfte findet in allen Fachbereichen weiterhin eine Grundfluktuation statt“, heißt es im Jahresbericht des Bezirksamts. Dabei werden – gerade nach der Corona-Pandemie – weitaus mehr Fachkräfte gebraucht, denn es gab „eine deutliche Steigerung der ambulanten Hilfen zur Erziehung“ sowie einen Anstieg jener Fälle, „in denen junge Menschen mit seelischen Schwierigkeiten im Fokus sind“.