Bergedorf. Die HSC Rockstars von der TSG Bergedorf wollen sich in Orlando mit den Besten der Welt messen. Doch plötzlich klappt nichts mehr.

Die Luft brennt in der Sporthalle des Kissland Wentorf. Michelle Menke, die das Cheerleader-Team der TSG Bergedorf, die HSC Rockstars, gemeinsam mit Vanessa Gonchar trainiert, starrt die Gruppe der 14- bis 18-Jährigen nachdenklich an. Schließlich fällt sie ein harsches Urteil: „So wie ihr euch eben präsentiert habt, will ich als deutsche Gruppe bei den Weltmeisterschaften nicht auftreten.“

Betretenes Schweigen. Die 16 Mädchen und zwei Jungs wissen: Menke hat recht. Schon bei den deutschen Meisterschaften im März hatte es bei der Kür so manchen Wackler gegeben. Nach zwei Titelgewinnen in Folge musste sich der haushohe Favorit mit Silber begnügen.

So hart ist das Cheerleading-Training für die WM in Florida

Nun läuft ihnen die Zeit davon. Es ist das letzte Training in voller Besetzung vor dem „Summit“, den inoffiziellen Weltmeisterschaften in Orlando (USA). Die Generalprobe. Und nichts klappt. Flickflacks, Salti, Pyramiden, akrobatische Stunts. Die Kür der HSC Rockstars ist eine Abfolge an Höchstschwierigkeiten, bei der jeder genau seine Rolle kennen, seine Position einhalten, im richtigen Moment an der richtigen Stelle landen muss.

Die spektakulären Stunts kosten viel Mut. Ein Jahr haben die HSC Rockstars an ihrer Kür gearbeitet.
Die spektakulären Stunts kosten viel Mut. Ein Jahr haben die HSC Rockstars an ihrer Kür gearbeitet. © Volker Koch | Volker Koch Hamburg:

Wieder und wieder stellen die Trainerinnen die Gruppe zurück auf Anfang. „Ihr seid hier in einem Hochleistungsteam, daran brauche ich ja wohl niemanden zu erinnern“, mahnt Gonchar. „Wenn das heute nicht vernünftig aussieht, machen wir das zehnmal hintereinander.“ Es sieht nicht vernünftig aus, und die Trainerinnen wissen, dass sie konsequent bleiben müssen, auch wenn das Keuchen der Aktiven schon die ganze Halle füllt.

Die Musik kommt aus den USA und wird extra auf die Kür angepasst

Wieder dröhnt aus den Boxen die Musik, die extra in den USA eingekauft und für diesen Auftritt angepasst wurde. Kosten: rund 1000 Euro. Wieder wuseln sie durcheinander und müssen dabei mit bedenken, dass die Fläche im Kissland zwei Bahnen kleiner ist als die beim Wettkampf in Orlando. Dass sie hier nicht den Platz haben, den sie eigentlich brauchen. Ein Umzug ins TSG-Sportforum, ins Herz des Vereins, soll das künftig ändern.

Denn Cheerleading ist in. Als die Sportart 2008 in Deutschland Fuß fasste, hatte der Cheerleading und Cheerperformance Verband Deutschland (CCVD) gerade mal 1500 Mitglieder. Heute sind es über 30.000. Einen wahren Boom gab es dabei seit der Corona-Pandemie, als die Zahl in nur zwei Jahren von 20.000 auf 30.000 anstieg.

In Orlando wartet ein Wettbewerb mit Teams aus aller Welt

Die Gruppen von Hamburg Supreme Cheer (HSC), wie sich die Abteilung der TSG Bergedorf nennt, sind Sympathieträger ihres Vereins, und die Rockstars sind das sportliche Aushängeschild. Als Level-4-Team dürfen sie schon wirklich gewagte Stunts in der Luft ausführen. Beim „Summit“ werden sie sich im Disney-Park von Orlando nun mit Level-4-Teams aus aller Welt messen (2. bis 5. Mai).

Passt alles? Adriano Kreuz, Michelle Menke und Vanessa Gonchar überprüfen den Trainingsdurchgang per Handy-Video.
Passt alles? Adriano Kreuz, Michelle Menke und Vanessa Gonchar überprüfen den Trainingsdurchgang per Handy-Video. © Volker Koch | Volker Koch Hamburg:

Ein Jahr lang haben die 19 Sportlerinnen und Sportler darauf hintrainiert. Cheerleading ist ein Teamsport, bei dem die Gruppe nur dann gut aussieht, wenn alle synchron agieren. Ganz besonders im Fokus stehen dabei die Flyer, die bei den Stunts in die Luft geworfen werden und bei den Pyramiden ganz oben stehen. Jede falsche Bewegung von ihnen fällt sofort auf.

Vom Tigerenten Club an die Spitze der Cheerleading-Pyramide

„Natürlich ist das Druck, aber so ein bisschen genieße ich das auch, im Mittelpunkt zu stehen“, gibt Sofia Cremer zu, einer von vier Flyern bei den Rockstars. Obwohl die Achtklässlerin des Hansa Gymnasiums in Bergedorf erst 14 Jahre alt ist, besitzt sie bereits viel Erfahrung als Akrobatin der Lüfte. „Ich habe mit sieben Jahren angefangen, nachdem ich einige Cheerleader in der Kindersendung Tigerenten Club im Fernsehen gesehen hatte“, erinnert sie sich.

Flyer müssen klein, leicht und turnerisch top sein. Die anderen Jobs im Rahmen einer Routine, wie die Cheersportler ihre Kür nennen, mögen zwar weniger spektakulär sein, sie sind aber mindestens genauso wichtig und erfordern ebenfalls sehr viel Mut. Die Bases halten bei der Pyramide die Füße des Flyers, der Back sorgt als Stütze von hinten dafür, dass der Flyer nicht wegkippt.

Allein unter Mädchen: Bei den Rockstars mischen auch zwei Jungs mit

Bei den Rockstars fungieren mit Adriano Kreuz und Lewis Czymmeck auch zwei Jungs als Backs. Ist das nicht seltsam, so fast allein unter Mädels? „Nein, ich mache das ja schon, seitdem ich sieben Jahre alt bin“, erläutert Adriano Kreuz. „Diese Gruppe ist wie meine Familie.“ In seiner Klasse an der Katholischen Schule in Billstedt haben sich viele Mitschüler an sein ungewöhnliches Hobby gewöhnt. „Meine Freunde finden es voll geil“, erzählt der 16-Jährige. „Andere lästern schon mal, aber dann gehe ich dagegen an.“

Nur nicht den Überblick verlieren: Die Flickflacks beim Tumbling müssen genau synchron erfolgen.
Nur nicht den Überblick verlieren: Die Flickflacks beim Tumbling müssen genau synchron erfolgen. © Volker Koch | Volker Koch Hamburg:

Wenn der Flyer in die Luft geworfen wird, ist es die Verantwortung seiner Teamkollegen, dass er sicher wieder landet. „Es gibt eine Grundregel im Cheerleading“, erläutert Vanessa Gonchar: „Der Flyer berührt nie den Boden. Zur Not müssen sich die Backs und Bases dazwischenwerfen.“

Die Angst vor Verletzungen turnt immer mit

Auch bei den Turnelementen auf engstem Raum – Tumbling genannt – besteht die Gefahr, verletzt zu werden, wie Karlotta Gerst 2022 leidvoll erfahren musste. Beim Flickflack wurde die Base von einem Fuß hart am Kopf getroffen. Nach langer Behandlung kehrte sie auf die Fläche zurück. „Aber bis heute habe ich Angst, wenn jemand beim Tumbling dicht hinter mir ist“, gibt die 16-Jährige zu.

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Die Zehntklässlerin des Gymnasiums Lohbrügge hat jahrelang Ballett betrieben, was sie 2020 für den Cheersport aufgab. „Es ist einfach dieser Teamaspekt, der mir gefällt, dass man einander blind vertraut“, betont Karlotta Gerst. Und der die Aktiven über sich hinauswachsen lässt. Im allerletzten Durchgang des zweistündigen Trainings klappt plötzlich alles. „Ich hasse euch“, stößt Vanessa Gonchar mit einem ironischen Grinsen hervor. „Aber das war jetzt einfach perfekt.“

Das Team der HSC Rockstars für die Weltmeisterschaft in Orlando

Adriano Kreuz, Anna Biel, Darja Riedel, Gabriela Lekaj, Joycra Fahala, Karlotta Gerst, Victoria Dannehl, Lea Rieckmann, Lewis Connor Czymmeck, Lilli-Mailin Möller, Pia Stöck, Sofia Lara Cremer, Valentina Herwig, Valerie Wildstein, Veronika Sviridenko, Jasmin Grasmik, Nelly Dering, Steffi Herdt, Aaliyah Perz. Trainerinnen: Michelle Menke, Vanessa Gonchar.

Die HSC Rockstars müssen die Reise nach Orlando selbst finanzieren und suchen dafür auf www.gofundme nach Unterstützung. Suchwort: HSC Rockstars Oliver Gerst.