Hamburg. Kurt A. Körber hat sich durchgesetzt: Grundsteinlegung für das Haus im Park. Doch das Jahr 1976 hat auch viele Schattenseiten.
„Wann wird‘s mal wieder richtig Sommer?“, sang Rudi Carrell 1975 im gleichnamigen Schlager – und landete damit einen Riesenhit. Die Wettergötter erhörten den beliebten Fernsehmoderator prompt: Das folgende Jahr 1976 sollte den Menschen in Europa eine der heftigsten Hitzewellen des vergangenen Jahrhunderts bringen. Auch die Bergedorfer stöhnten im Juni und im Juli über Temperaturen bis zu 35 Grad und nicht enden wollende heiße Tage. Während die Kinder ihre Ferien rundum genossen, fürchteten die Bauern in den Vier- und Marschlanden mit jedem trockenen Tag mehr um ihre Ernte. Und tatsächlich kam es überall in Deutschland zu deutlichen Ernteausfällen.
Das Jahr 1976 hatte schon mit turbulentem Wetter begonnen: Der Capella-Orkan zog am 3. Januar über Mitteleuropa – auch er einer der stärksten Orkane des 20. Jahrhunderts. 82 Menschen verloren ihr Leben. Die Sturmflut ließ die Bergedorfer bange Blicke auf die Deiche werfen, denn die Sturmflutkatastrophe von 1962 mit ihren 315 Toten war vielen noch allzu gut in Erinnerung. Doch die Deiche in Bergedorf hielten stand, trotz eines Wasserstands „von 4,65 über dem mittleren Hochwasser und damit um 75 Zentimeter höher“ als 1962, wie unsere Zeitung berichtete.
1976 in Bergedorf: Grundsteinlegung für das Haus im Park
War diese Katastrophe auch abgewendet: Andere sollten das Jahr 1976 prägen. Vor allem der Terror sorgte weltweit für Angst und Schrecken. So etwa das Geiseldrama von Entebbe/Uganda, als palästinensische und deutsche Terroristen eine Air-France-Maschine mit 102 Menschen an Bord entführten. Eine israelische Eliteeinheit befreite die Geiseln schließlich am 4. Juli. In Deutschland sorgte 1976 unter anderem der Suizid der in Stammheim einsitzenden, als Linksterroristin angeklagten Ulrike Meinhof für Schlagzeilen sowie die Flucht von vier Anarchistinnen aus der Frauenhaftanstalt Berlin.
Die Grundstimmung in der Republik war nervös in jenem Jahr, auf das 1977 der Deutsche Herbst mit den Schreckenstaten der RAF folgen sollte. Auch im Lokalen, im Bergedorfer Bereich, füllten grausame Ereignisse die Schlagzeilen. Etwa der Mord an einer alleinstehenden Frau in Geesthacht. Oder die Bluttat eines Mannes, der im April in Bergedorf seine Eltern mit einem Spaten erschlug. Ein dramatischer Tag erschütterte im Juni die Reinbeker: Dort war der Streit eines Paares im Ortsteil Neuschönningstedt eskaliert. Der Ehemann tötete dabei seinen Schwiegervater, erschlug ihn brutal mit einem Bügeleisen. Nur wenige Stunden später der nächste Großeinsatz: Wenige Hundert Meter vom ersten Tatort entfernt wurde eine Bankfiliale überfallen. Der junge Täter drohte dort nicht nur mit einer Pistole, sondern auch mit einer tickenden Bombe, die er auf dem Kassenbereich ablegte. Sie stellte sich später als Attrappe heraus.
Dramatische Ereignisse wie Unfälle und Morde erschüttern Bergedorf
Viele weitere dramatische Fälle sollten folgen, etwa der tödliche Unfall einer 63-Jährigen, die beim Putzen aus dem 11. Stock des CCB-Turms stürzte und starb. Oder der tragische Tod einer alkoholkranken Frau, deren neunjähriger Sohn drei Tage lang neben der Leiche seiner Mutter ausharrte. Ohnehin forderte der Alkohol 1976 viele Opfer in Bergedorf, direkt und indirekt. In Bergedorf-West etwa tötete ein „Rocker“ nach einem laut bz „wüsten Trinkgelage“ seine Gastgeber, ein Ehepaar Ende 60. Auch in Lohbrügge und Billstedt ereigneten sich ähnliche Fälle. Alkohol war 1976 die allgegenwärtige Droge in Deutschland. Tabakwerbung hingegen hatte der Staat 1975 in TV und Radio verboten.
Doch jenseits der Schauergeschichten war 1976 für die Bergedorfer ein Jahr, das auch einige gute Neuigkeiten zu bieten hatte. Vor allem war dies der Baubeginn für das neue „Seniorencentrum“ des Unternehmers und Stifters Kurt A. Körber: Im Juni 1976 legten der Hauni-Chef und seine Mutter Rosa am Gräpelweg 8, im Kufeke Park, den Grundstein für das Gebäude, das sie „Haus im Park“ tauften. Es war der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte. Dabei hatte Körber einige Fleißarbeit leisten müssen, um den Neubau durchzusetzen.
Kurt A. Körbers Credo: Das Alter darf kein Getto sein
Bereits früh hatte sich der damals 66-jährige Unternehmer, der 1969 die Hauni Stiftung gegründet hatte, für die Lebensbedingungen von Senioren zu interessieren begonnen. Schon 1963 hatte er eine Nachbarschaftshilfe für bedürftige, ältere Menschen in Bergedorf ins Leben gerufen. Später dann wandte sich seine Stiftung näheren Überlegungen zu, wie eine zeitgemäße Arbeit mit Senioren aussehen könnte – auch mit Blick auf die alternde Gesellschaft. Das Alter dürfe kein Getto sein, müsse eine mit sinnvollen Aufgaben gefüllte Perspektive bieten (Quelle: Kurt A. Körber, Annäherung an einen Stifter, Edition Körber-Stiftung).
Körber und seine Stiftung trieben die Überlegungen weiter an, luden Experten ein, erstellten Gutachten und sammelten Erkenntnisse aus Senioreneinrichtungen im Ausland. „Machen wir doch so ein Projekt“, soll Körber schließlich gesagt haben. Ein Verein wurde gegründet, das Modellprojekt vorbereitet. Erste Hobby-Gruppen für Malen, Nähen, Gesang oder Gymnastik entstanden, die sich zunächst im Bergedorfer Schloss trafen. Gleichzeitig wurde nach einem Standort für das zu errichtende Seniorencentrum gesucht.
Viele Gäste kommen zur Grundsteinlegung des Haus im Park
Beim Hamburger Senat eckte Körber damit eher an. Er stelle mal wieder mit einem Projekt die Politik vor vollendete Tatsachen, beschreibt die Edition Körber-Stiftung den Zwist jener Zeit. Doch Bergedorfer Bezirkspolitiker vermittelten – und Körber erhielt das Grundstück am Gräpelweg auf der Basis eines Leihvertrages der Stadt Hamburg. Diese stellte der Stiftung das Gelände nahezu kostenlos zur Verfügung. Auch Anwohnerbedenken konnten zerstreut werden.
Am 15. Juni konnte die Bergedorfer Zeitung schließlich über die Grundsteinlegung berichten. Prominente Gäste wie Ex-Bürgermeister Herbert Weichmann, der Präsident der Bezirksversammlung Werner Neben oder Bausenator Rolf Bialas waren bei der Feier am Gräpelweg dabei. Dort verkündete Stifter Kurt A. Körber auch, dass das Wort Seniorencentrum „die Absicht dieser Stiftung nicht treffend ausdrückt“, wie die bz schreibt. Das Begegnungszentrum solle deshalb „Haus im Park“ heißen.
Bau der A25 sorgt für Ärger in Nettelnburg – Risse in Häusern
„Die Menschen werden sich wohlfühlen in der Gemeinschaft“, lobte Bausenator Rolf Bialas den Bau, der 1977 eingeweiht wurde. Er sollte Recht behalten: Das Haus im Park mitsamt seinem Theater war Jahrzehnte ein beliebter Treffpunkt für Menschen ab 50 Jahren aufwärts. Und auch seit dem Umzug der Stiftung und ihrer Angebote 2022/23 ins neue Körberhaus an der Holzhude ist das Begegnungszentrum unter neuer Trägerschaft ein Ort für Angebote aus vielen kulturellen Bereichen.
Auch andere Bauthemen bewegten die Bergedorfer in diesem Jahr. Etwa der bevorstehende Abriss der Alten Post am Weidenbaumsweg, ein eigentlich sehr schmuckes Gebäude aus der Kaiserzeit. Alles werde nun ganz schnell gehen, im Inneren sei der Abbruch bereits im Gange, berichtete unsere Zeitung Anfang April. Das Gebäude wich und an seine Stelle trat später ein Neubau mit Büros, Läden, Praxen und der Apotheke „Zur Alten Post“.
Diskutiert wurde 1976 zudem über die Pläne für den Bau des Billebogens – ein ewiges Hin und Her der Meinungen und Interessen, bis der Senat im November plötzlich grünes Licht gab. Auch Pläne für den Bau einer Autobahn nach Berlin und der Fortgang der Arbeiten an der Marschenautobahn (A25) waren größere Themen. Letztere sorgte in Nettelnburg für reichlich Ärger. „Rätsel um Risse in den Häusern“, titelte die bz am 15. September – und ließ empörte Anwohner zu Wort kommen. Risse in den Fassaden, schiefe Türen, das alles sei Folge des Autobahnbaus, fürchteten die Nettelnburger. „Dutzendweise“ erreichten im November Beschwerden das Bezirksamt, das die Briefe aber nur an die Baubehörde weiterleiten konnte. Ausgang offen.
Auf dem Frascatiplatz wird scharf geschossen
Zoffpotenzial hatte 1976 auch ein anderes Thema: Denn am Billwerder Billdeich sollten für das neue Berufsschulzentrum etliche Bäume fallen. Monatelang schwelte der Ärger. Eine Bürgerinitiative sammelte Tausende Unterschriften zur Rettung des Buchenhains. Sogar Panikrocker Udo Lindenberg soll auf der Liste unterschrieben haben. Doch als Bergedorfer im September die Bäume besetzen wollten, kamen sie zu spät: Am Abend zuvor wurden die Buchen kurzerhand abgeholzt.
Lokale Aufreger wie diese wurden 1976 aber auch immer wieder von Ereignissen größerer Tragweite vergessen gemacht. 1976 war das Jahr, in dem Silvia Sommerlath den schwedischen König heiratete. Es war das Jahr, in dem Helmut Schmidt noch einmal knapp seine Kanzlerschaft verteidigte, während in den USA mit Jimmy Carter ein neuer Präsident übernahm. 1976 starb Chinas Diktator Mao Tse-tung, wurde Musiker Wolf Biermann während einer Konzertreise kurzerhand aus der DDR ausgebürgert, wurden die olympischen Winter- und Sommerspiele gefeiert und stand Frauenmörder Fritz Honka in Hamburg vor Gericht. Die Gründung von Apple, eine Reform des deutschen Eherechts, ein erstes Datenschutzgesetz, vier Frauen als Ministerinnen in Schweden: Weitere Nachrichten zeigten, dass die Welt moderner wurde und dass sich der Fortschritt nicht aufhalten ließ. „Immer mehr Frauen machen den Führerschein“ war im August auch noch eine Nachricht wert.
Schlagzeilen von überregionaler Bedeutung gab es 1976 in Bergedorf kaum, dafür aber manch kuriose oder traurige Randnotiz. Etwa die Tatsache, dass im September auf dem Frascatiplatz scharf geschossen wurde: Ein Bergedorfer Polizist tötete dort den Hund „Lassie“. Der Beamte hatte den gleichnamigen Collie auf dem Frascatiplatz niedergestreckt, angeblich, weil er einen Rentner angefallen hatte. Die Hundebesitzer, ein Schaustellerpaar, leugneten vehement, dass der Hund gefährlich sei. Der Polizist sah das aber anders.
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18.000 Schnäppchenjäger stürmen Kaufhaus-Ausverkauf
Ein echter Aufreger, genau wie ein Vorfall in Oststeinbek. Dort hatte Kaufland-Nachfolger „mehrWert“ Pleite angemeldet und einen Ausverkauf angekündigt. 18.000 (!) Schnäppchenjäger stürmten im September das Gelände. Das Gedränge und Geschubse war so groß, dass mit Lautsprecheransagen um Rücksichtnahme gebeten werden musste. Bilder zeigten, wie sich die Menschen unter der Einkaufswagenschleuse durchdrückten, um mit dem Wagen schnell zu den Ausverkaufswaren zu gelangen. Der Pleite-Ausverkauf, er war eine Pleite, resümierte unsere Zeitung.
Das wohl größte Kuriosum aber brachte die Vorweihnachtszeit. Denn statt eines Tannenbaums stellte die Gemeinschaft der City Partner im November eine seltsame Lichtpyramide im Sachsentor auf. Das kam gar nicht gut an: Ein wahrer Sturm der Entrüstung über „Das Ding“, wie es nur genannt wurde, fegte durch den Bezirk, es hagelte Leserbriefe und Kritik. „Scheußlich“, „hässlich“, „geschmacklos“: Die Bergedorfer können sich gar nicht mehr beruhigen. Ein Glück für die Organisatoren: Im Weihnachtstrubel war die Aufregung dann irgendwann doch vergessen. Ein neues Jahr konnte kommen: 1977.