Bergedorf. Wildbienenflächen und Blühwiesen vor historischen Kuppeln: Passt das zum Weltkulturerbe oder gefährdet es die nächste Bewerbung?
Der Schock sitzt noch immer tief: Im Spätsommer 2023 begrub die Expertenkommission der Kultusministerkonferenz alle Weltkulturerbe-Träume der Sternwarte mit dem Verdacht, dass kein Konzept hinter der Bewerbung stehe. Die gesamte Anlage wirke derart ungepflegt, dass sich offenbar niemand für ihre Bewerbung bei der Unesco verantwortlich fühle. Und das gelte für die historischen Gebäude ebenso wie für den über 100 Jahre alten Park, in dem sie stehen.
Ein Eindruck, den auch das Frühlingsgrün dieser Tage nicht kaschieren kann: Neben maroden Türen, abplatzender Farbe und Rost an fast jeder Kuppel wuchert die Natur. Vor allem zwischen dem imposanten Großen Refraktor und dem benachbarten metallgrauen Meridiankreis-Gebäude sowie dem Äquatorial von 1867 gleich gegenüber ist lange kein Rasenmäher mehr gewesen. Allerdings zeigen Einfriedungen in Form dicker Taue, dass der hier auch gar nicht mehr gewünscht ist. Ein provisorischer Zaun, der als Symbol für den neuen Streit auf der Sternwarte steht: Hier stößt plötzlich der Naturschutz ins angestammte Areal des Denkmalschutzes vor.
Auf dem Gelände der Sternwarte trifft Naturschutz auf Denkmalschutz
„Die Sternwarte ist ein Kulturdenkmal von nationalem Rang – und zwar einschließlich ihres Parks. Da kann es nicht sein, dass Wildbienenflächen und Blühwiesen direkt vor einigen seiner wichtigsten Gebäude angelegt werden“, ärgert sich Geerd Dahms, der den Kulturausschuss der Bezirksversammlung leitet. „So was beeinträchtigt das Erscheinungsbild der Kuppelgebäude so erheblich, dass es hier nicht bleiben kann.“
Eine Haltung, die bei Naturschützern auf Unverständnis stößt. Auch, weil die Flächen bereits vor einem Jahr angelegt wurden und sie bisher nie für Kritik sorgten. Zudem sei alles vom Bezirksamt genehmigt und sogar mit dem Denkmalschutz abgesprochen, heißt es von der Sternwarte. Die weiß in dieser Sache auch die Biodiversitätsmanagerin der Universität Hamburg an ihrer Seite: Myriam Rapior, die auch stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie Mitglied im Rat für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung ist, betont beim Blick auf das Bergedorfer Projekt „die Dringlichkeit des aktiven Biodiversitätsschutzes“.
Denkmal-, Klima- und Artenschutz an der Sternwarte
Sternwarten-Direktor Prof. Robi Banerjee sieht sein Institut beiden Seiten verpflichtet: „Wir haben das Glück, als Wissenschaftler hier in einer weitläufigen Parkanlage mit denkmalgeschütztem Gebäude- und historischem Instrumentenbestand forschen zu dürfen. Das stellt uns vor Herausforderungen, denn sowohl das Architektur- und Technik-Denkmal, als auch die Grünflächen bedürfen einer besonderen Pflege.“ Für ihn biete die Sternwarte „die Chance, Denkmal-, Klima- und Artenschutz zusammen zu denken“.
Tatsächlich wurde das Anlegen der Musterbiotope samt detaillierter Erklärtafeln von der Deutschen Wildtier Stiftung gefördert und gilt als Pilotprojekt der Universität „für einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit urbanen Grünflächen“, schreibt Banerjee in einem Statement für unsere Zeitung. Alles sei für die Besucher als „Modellgarten mit Anleitung zum Nachbauen“ konzipiert und zudem als Versuch, die Zusammenarbeit verschiedener Verwaltungsinstanzen in Sachen eines nachhaltigen Natur- und Klimaschutzes zu erproben.
Denkmalschützer Dahms: Sternwarte braucht endlich Koordinator für Weltkulturerbe-Bewerbung
Genau hier liegt aus Sicht des Denkmalsachverständigen Geerd Dahms das Problem: „Wenn wirklich alle Genehmigungen vorliegen, zeigt das eindrucksvoll, wie sehr uns ein übergeordneter Koordinator für die Sternwarte fehlt. Denn obwohl schon seit mehr als 15 Jahren an der Bewerbung dieses Observatoriums als Hamburgs zweites Weltkulturerbe nach der Speicherstadt mit angeschlossenem Kontorhausviertel gearbeitet wird, ist das offenbar noch nicht in jeder Behörde bekannt.“ Es brauche dringend den vom Kulturausschuss geforderten Senatsbeschluss: „Hamburg muss sich endlich auf höchster Ebene zur Bewerbung bekennen und einen mit soviel politischer wie finanzieller Schlagkraft ausgestatteten Koordinator einsetzen, dass die Bewerbung bei der Unesco nicht wieder an der Kultusministerkonferenz scheitern kann.“
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Aktuell formieren sich indes die Naturschützer im Kampf um den Sternwarten-Park: Gerade hat der Nabu angefragt, wie weit die naturnahe Umgestaltung gediehen ist: Man würde das Projekt gern auszeichnen. Und auch die Deutsche Wildtier Stiftung hat bereits Pläne für insgesamt zwölf sogenannte Lebensinseln zwischen den Kuppelbauten der Sternwarte formuliert. Einzig eine Abgrabung am Wall des Meridiankreis-Gebäudes für eine senkrechte Wildbienen-Nistwand soll wieder verschwinden: „Aus Gründen des Denkmalschutzes wird der Erdwall wieder geschlossen“, steht auf einer kleinen Tafel vor der Lücke.
Auch die ebenfalls auf dem Sternwartengelände aufgestellten Bienenkästen wurden hinter dem riesigen Oskar-Lühning-Teleskop eher versteckt positioniert. Genauso könnte sich Geerd Dahms auch die wilden Blühwiesen vorstellen: „Ich bin mir sicher, dass sich Denkmalschutz und Naturschutz hier vereinbaren lassen. Aber mit Sicherheit nicht in Form wuchernder Natur direkt in der Sichtachse auf die wichtigsten historischen Kuppelbauten.“ Das sei bei der Gründung der Montessori-Schule schließlich auch gelungen. Sie zog 2007 mit etlichen Auflagen des Denkmalschutzamtes in den Anbau der Kuppel des Lippert-Astrographen und durfte daneben mehrere Pavillons errichten.