Hamburg. Ausgetüftelte Sensorik soll die Daten zur Fließgeschwindigkeit und den Wasserstand an das Bergedorfer Rathaus melden.
Zuletzt im Februar 2022 hat die Bille den Bergedorfern gezeigt, dass sie nicht zu unterschätzen ist: Am Möörkenweg erreichte sie einen Höchststand von 4,75 Metern. Ergiebige Regenfälle hatten schon den Oberlauf der Bille gefüllt, dazu kamen mehrere aufeinanderfolgende Sturmfluten, die zu einem Binnenhochwasser führten, wie es Bergedorf noch nie gekannt hat.
Der Krisenstab im Rathaus hatte bei der Schadens- und Gefahrenabwehr alle Hände voll zu tun – und weiß heute, dass für die Zukunft aufgerüstet werden muss: Etwa 700.000 Euro seien zu investieren, neue Pumpen und Generatoren anzuschaffen, die Steuerungstechnik zu modernisieren. Damit es beim nächsten Notfall schneller geht, arbeitet Boris Tolg, Professor für Informatik und Mathematik an der Lohbrügger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), an einem neuen Projekt zum Hochwasserschutz an der Bille.
Neues Projekt HAW zum Hochwasserschutz an der Bille
„Wir sind einen ganzen Tag lang durch Bergedorf gefahren und haben uns angeschaut, wo wir mit technischen Lösungen den Hochwasserschutz verbessern können“, sagt Boris Tolg. Der 46-Jährige weiß um den Wunsch des Bezirksamtes, die Alarmierungspläne und Abläufe zu optimieren. Der Mathematikprofessor organisiert etwa alle zwei Jahre an der HAW eine Großübung mit Hilfsorganisationen vor, die einen „Manf“ händeln, also einen Massenunfall mit Verletzten. Er kennt sich aus mit Katastrophen und kann per GPS genau ermitteln, wie sich die Retter von Feuerwehr, DRK oder THW bewegt haben, um das Gelände zu sichern und Gerettete abzutransportieren.
Für sein aktuelles Projekt, die frühzeitige Alarmierung bei Bille-Hochwasser, hat sich der Software-Profi zwei Kollegen mit ins Boot geholt: Carsten Frank (51) lehrt Mess- und Elektrotechnik, wobei sein Lieblingsforschungsgebiet die Ozeanografie ist. Und der Informatiker Kasten Loer (53) ist Fachmann für die Technik der Gefahrenabwehr im Bevölkerungsschutz, hat bereits Unfallanalysen für die Luftfahrt gemacht und Rettungsmittel für Kreuzfahrtschiffe optimiert.
Preis für Nachhaltigkeit eingeheimst
Ein perfektes Trio also, das jetzt auf die Mithilfe jener Studierenden setzt, die Umwelttechniker werden wollen oder auch Ingenieure im Rettungsmanagement. Die Vorschusslorbeeren sind bereits überreicht: Ein Preisgeld von 1000 Euro spendierte die Hochschule, um das Projekt im Sinne der Nachhaltigkeit auf die Beine zu stellen. Schließlich will die UN bis 2030 genau 17 Ziele zur nachhaltigen Entwicklung erreichen, so Tolg: „Da geht es ja auch um nachhaltige Städte mit verbesserter Infrastruktur.“
Das Konzept steht, jetzt geht es an den Prototypen, der am großen Serrahnwehr (bei der Fischtreppe) zum Einsatz kommen soll. Das Ziel ist es, die Fließgeschwindigkeit und den Wasserstand der Bille zu messen und die Daten minütlich aktualisiert ans Bergedorfer Rathaus zu schicken.
„Wir wollen unter der Brücke einen Ultraschallsensor installieren, der von oben aufs Wasser gerichtet ist und dessen Stand misst. Das Monitoringsystem soll zum Beispiel sofort merken, wenn die Werte steigen, weil es einen Starkregen gibt oder weiter oben in der Bille ein Wehr aufgeht“, erklären die Wissenschaftler.
Als zweiten Parameter setzen sie auf Meter pro Sekunde, also auf die Strömungsgeschwindigkeit. Dafür wird ein temperaturbasierter Sensor eingesetzt, also eine an einem Metallstab befestigte Heizpatrone mit Lithium-Batterie, die bei hoher Wassergeschwindigkeit abkühlt und somit die Strömung misst. Karsten Loer: „Da WLAN viel Strom verbraucht, wollen wir für den Sender am Sensor das Funksignal LoRa nutzen. So werden die Daten schnell ans Rathaus übermittelt, das ja selbst im Falle eines Blackouts mit Notstrom gesichert ist.“
Prototyp bis zum Sommer fertig
Später könne das Überwachungsnetz auch autark mit Solarzellen betrieben werden. Für den Prototypen reicht es erstmal, dass es am Serrahnwehr eine Stromversorgung gibt. Jetzt aber müssen zunächst die Studenten tüfteln: Da gibt es einen Metallwürfel mit zwei Löchern: Soll der Temperaturfühler am besten gesteckt, geklebt oder geschraubt werden? Und muss er vielleicht mit einer Kunststoff-Isolation ummantelt sein, damit er nicht von Blättern oder Dreck verstopft wird? Das alles will bis zum Sommer geprüft sein, wenn das Experiment aus den Laboren zur Bille umzieht.
„Wir beginnen erstmal mit einem dicken Daumen, um zu erkennen, wann das Wasser schneller und höher wird. Die Daten müssen nicht so genau sein wie beim Institut für Hygiene und Umwelt“, meint Tolg, der sich aber auch vorstellen kann, eines Tages weitere Parameter zu messen, wie etwa die Wasserqualität.
Wichtig sei vor allem auch, dass es ein günstiges Frühwarnsystem ist, um die Positionen möglichst engmaschig auszuweiten: „Sinnvoll wären weitere fünf bis zehn Messpunkte an anderen Brücken. Am besten an umzäunten Stellen, die vor Vandalismus geschützt sind“, meint Carsten Frank.
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„Und dann müssen wir die Messpunkte noch kalibrieren, um im durchschnittlichen Jahresverlauf zu sehen, ab welchem Wert es nicht mehr lustig wird“, ergänzt Boris Tolg. Er weiß natürlich, dass mit dem Warnsystem keine Hochwasserkatastrophe verhindert werden kann, aber „man kann früher pumpen und vielleicht einen Deichbruch verhindern. Und man kann auf jeden Fall schneller mit der Evakuierung beginnen, wenn die Menschen früh gewarnt werden – egal, ob über eine App oder Lautsprecher, Rundfunk oder Sirene“.
Nicht zuletzt kann er versprechen, dass das HAW-Projekt „mit Abstand weitaus günstiger“ wird als andere nachhaltige Wasserschutzmaßnahmen für Bergedorf: Im Abschlussbericht Binnenhochwasser 2022 führt das Bezirksamt insgesamt 17 Millionen Euro auf, um die Schöpfwerke an der Dove-Elbe, in Zollenspieker und Neudorf zu modernisieren, allein für den Umbau der Krapphofschleuse werden etwa zwei Millionen Euro veranschlagt.