Lohbrügge. Bei der Europawahl können erstmals auch Jugendliche wählen – und helfen. Ein Schülerjob, bei dem es politische Bildung dazu gibt.

Der 9. Juni kann durchaus ein junger Sonntag werden. Denn das Alter für die Wahlberechtigung bei den Europawahlen ist 2024 erstmals von bisher 18 auf 16 Jahre herabgesetzt worden – so wie es für die Hamburger Bezirksversammlungen schon längst gilt. Das bedeutet: Jugendliche können also auch Wahlhelfer sein. Und sich bei diesem Ehrenamt ein Taschengeld verdienen.

An der Stadtteilschule Richard-Linde-Weg haben die Lehrer Daniel Danzenbächer (Deutsch, Geschichte, Gemeinschaftskunde) und Christian Dainat (Mathe) Schüler motiviert, sich als Wahlhelfer zu melden. Beide Pädagogen appellieren nicht nur an die Bürgerpflicht, sondern können auch mit Zahlen locken: Immerhin 135 Euro gibt es für jeden der acht Wahlhelfer, die sich an zwei Tagen in den Schichtdienst der Demokratie stellen, also die Wahlkabinen aufbauen, Tische und Stühle hinstellen, auf eine gute Ausschilderung achten und nicht zuletzt die Stimmzettel an die Bürger ausgegeben.

Dafür werden die Schüler auch vom Unterricht freigestellt, betont Thorsten Hurni aus der Pressestelle der Hamburger Schulbehörde: Es gebe zwar keine festen Regeln, „die Schulen legen das mit den Schülern selbst fest. Aber das wird generell erlaubt, denn es handelt sich ja um eine schöne Sache, wenn sich die Jugendlichen für die Demokratie einsetzen.“

Taschengeld und schulfrei: Schon mit 16 Wahlhelfer werden

„Ich bin mal gespannt, wie das Prozedere mit der Auszählung funktioniert“, sagt Maximilian Wilmer aus Kirchwerder. Immerhin wird der 18-Jährige am 9. Juni schon alle schriftlichen Abi-Prüfungen hinter sich haben, da passt ein kleiner Zuverdienst ganz gut ins Programm, bevor sein duales Informatik-Studium beginnt.

Ähnlich sieht es Johannes Büchler, der wie Max 2023 im Team der Schulsprecher war und somit weiß, dass Demokratie auch mal mühsam sein kann: „Da haben wir gesehen, mit wie vielen Leuten man sprechen muss, um eine Idee umzusetzen.“ Es ging um kostenfreie Binden- und Tampon-Spender auf den Mädchenklos. Dafür musste viel organisiert und beantragt werden, „aber nach knapp einem Jahr konnten wir die Dinger endlich aufhängen“, erzählt der 19-jährige Nettelnburger.

Nachbarn besuchen das neue Schulgebäude

„Auf jeden Fall müssen wir am Wahltag aufpassen, wenn es ungültige Stimmen gibt, vielleicht ‚alles Scheiße‘ draufsteht oder zu viele Kreuze gemacht worden sind“, sagt Lehrer Danzenbächer. Er wird vorab noch eine Schulung besuchen, obwohl er seit gut zehn Jahren dabei ist und „sogar unseren Hausmeister überreden konnte, dass es hier in der Schule ein Wahllokal gibt“. Da lernt man auch mal die Nachbarn kennen, die neugierig in die neu gebaute Schule kommen.

Wahlhelfer – zunächst der Mama zuliebe

In erster Linie aber habe er als Wahlhelfer angefangen, um seiner Mama einen Gefallen zu tun: Bis zu ihrer Pensionierung vor zwei Jahren leitete Anja Adler jahrelang die Wahlgeschäftsstelle im Bergedorfer Rathaus. „Manchmal fehlten ihr noch Leute in den Wahllokalen, und dann hat sie alle ihre vier Kinder verpflichtet“, sagt der 40-Jährige schmunzelnd – und ergänzt: „Ich bin ja Beamter und lebe von diesem Staat. Da will ich auch, dass er gut funktioniert.“

Im Bezirk Bergedorf werden es insgesamt 93 Wahllokale sein, deren Betrieb und Öffnung am Wahlsonntag zwischen 8 und 18 Uhr zu organisieren ist. „Die Stimmen für die Europawahl werden abends noch im Wahllokal ausgezählt werden“, erklärt Rathausssprecher Lennart Hellmessen. Am Montag dann treffe sich das Team erneut und zählt die Stimmen der Bezirksversammlungswahl aus.

Auch im Rathaus und in Sporthallen wird gezählt

Ein ähnliches Prozedere gilt für die Teams, die die Briefwahl betreuen, so Hellmessen: „Die treffen sich in einem Raum des Bezirksamtes, entweder im Rathaus oder in einer angemieteten Sporthalle, und bekommen die entsprechende Wahlurne dorthin geliefert. Dann geht es ans Auszählen der Briefwahl.“

Kaffee und Snacks sollte sich jeder selbst mitbringen, aber niemand geht leer aus, es gibt eine Ehrenamtspauschale. Sie liegt am Sonntag zwischen 35 Euro (für Beisitzer) und 65 Euro (für die Wahlbezirksleitung). Der Montag wird ebenfalls vergütet, gibt es zwischen 100 und 120 Euro.

Wer mitmachen möchte, kann sich einzeln online anmelden und wird einem Team zugeteilt (https://www.hamburg.de/wahlhelfende/), oder aber man meldet sich als Leiter eines Wahlvorstands und sucht sich eigenständig sein Team zusammen, indem man Freunde oder Familie fragt. „Ehrenamtliche Wahlhelfende werden noch gesucht“, betont Hellmessen und erwähnt letzte Formalien: Wahlhelfer müssen am Wahltag 16 Jahre alt sein, seit mindestens drei Monaten in Hamburg gemeldet sein und eine EU-Staatsangehörigkeit haben.

Tommy-Lee Röbert aus Bergedorf ist jedenfalls neugierig: „Ich darf das erste Mal wählen und habe noch nie ein Wahllokal von innen gesehen“, sagt der 19-Jährige, der den Wahl-O-Mat spannend findet und für sich herausgefunden hat: „Ich wähle wohl eher sozialdemokratisch, weil mich deren Themen am meisten beschäftigen.“

AfD-Abgeordnete sehr aktiv mit eigenen Accounts

Wichtig ist für Erstwähler natürlich, sich vorher zu informieren, welche Ziele die Parteien anstreben. Das ist nicht ganz leicht für die junge Generation, die viel in sozialen Netzwerken unterwegs ist. Vor allem die Plattform TikTok des chinesischen Unternehmens ByteDance, genutzt von mehr als 20 Millionen Deutschen, macht gerade eher unrühmlich von sich reden. Zuletzt berichteten der NDR (Extra 3) sowie die Tagesschau und erklärten: „Im Bundestag nutzt keine Partei TikTok intensiver als die AfD. Von den 80 Bundestagsabgeordneten der Partei ist mehr als ein Drittel mit einem eigenen Account vertreten. Im Vergleich: Bei der SPD nutzt die Plattform von den 206 Abgeordneten nicht einmal jeder zehnte.“

Da geht es um einfache, kurze Botschaften, soll nicht „mit Fakten gelangweilt“ werden. Beispiel: „Echte Männer sind rechts“, sagt der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, in einem TikTok-Video – und erntet 1,4 Millionen Klicks dafür. Der 47-Jährige richtet sich mit seinem Video insbesondere junge User. Was tun? Der Tagesschau sagte Medienwissenschaftler Daniel Hajok von der Universität Erfurt, dass die anderen Parteien in der digitalen Welt von heute präsenter sein müssten. Sonst hätten diejenigen, die die neuen Technologien am besten beherrschen, auch gesamtgesellschaftlich den größten Erfolg.

Herausfordernde Filterblaseneffekte auch bei TikTok

Vor rechtsextremer Mobilisierung auf TikTok warnt auch die 1998 gegründete Amadeu Antonio Stiftung, benannt nach dem Schwarzen, der 1990 von rechtsextremen Jugendlichen im brandenburgischen Eberswalde ins Koma geprügelt wurde. Die Stiftung will eine demokratische Zivilgesellschaft stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die sogenannten „Deepfakes“ und Filterblaseneffekte bei TikTok, wenn einem also nur noch Informationen im eigenen Interessenbereich angezeigt werden, seien „neue Herausforderungen für unsere Gesellschaft und den offenen Informationsaustausch“.

Wer versteht, kann abschalten: „Meine Freunde und ich wissen, dass man bei TikTok auch einfach Kanäle blockieren kann. Das merkt sich dann der Algorithmus und nervt nicht mehr so“, sagt Maximilian Wilmer, der das Thema „Politische Sprache“ auch im Abitur behandelt. Nicht stumpf ein „Wählt uns“ sei heute zu lesen, es sei viel subtiler, weiß Lehrer Daniel Danzenbächer: „Da wird in den Videos etwa auf den Sozialstaat geschimpft oder es heißt, in Polen sei alles viel sauberer, gebe es weniger Kriminalität. Und mittendrin wird das Bild eines muslimischen Mannes eingeblendet. Den Rest macht das Gehirn dann von selbst.“ So etwas erzeuge einfach eine Stimmung, die „gerade für junge Menschen nicht immer einzuschätzen ist. Das sollten wir viel häufiger im Unterricht besprechen“.

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Unter dem Motto „Wähl, was dich bewegt“ startet die Bürgerschaft im Mai eine Motivationskampagne. Mit Sprüchen wie „Graffiti oder Galerie?“, „Fischhalle oder Hallenbad?“, „Krokodil oder Condor?“ und „U-Bahn oder E-Auto?“ soll beim Friseur, im öffentlichen Nahverkehr oder im Sportverein darauf hingewiesen werden, wie wertvoll die Demokratie ist und dass jede Stimme zählt. Die aktuelle Kampagne soll noch stärker in die Stadtteile ausstrahlen, in denen die Wahlbeteiligung niedrig war. In diesen Schwerpunktquartieren wird es gezielte Mikro-Kampagnen geben, kündigt Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit an. Im Dezember 2023 hatte die Bürgerschaft einstimmig 1,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um 2024 Kampagnen für die Bezirks- und Europawahlen und 2025 für die Bürgerschaftswahl zu ermöglichen.