Hamburg. Die Edition Nautilus wird 50 Jahre alt. Der kleine Verlag um Gründer Lutz Schulenburg landete 2006 einen sensationellen Volltreffer.
Katharina Picandet erinnert sich noch gut, wie das damals war, vor dem großen Durchbruch: Die Edition Nautilus, ein kleiner Nischenverlag, residierte in den 1990er-Jahren nicht etwa in einem Büro, sondern in einer Wohnung in der Straße Am Brink in Bergedorf, im Geburtshaus der Schriftstellerin Ida Boy-Ed. „Mein Arbeitsplatz war der Küchentisch, den ich dann zum Essen freiräumen musste“, blickt Katharina Picandet zurück, die damals ein Praktikum im Verlag begann. Überall in der Wohnung standen Regale mit Büchern. Beengt sei es gewesen, sagt sie, und doch auch auf eine bestimmte Art „magisch“.
Dass ein Bestseller diesen kleinen Verlag mit einem Schlag bekannt machen würde, das ahnte damals wohl niemand. Und doch kam es genau so: Ein Krimi, der heute als Klassiker gilt, brachte der Edition Nautilus 2006 nicht nur Bekanntheit, sondern auch unerwarteten finanziellen Spielraum. Der Erfolg hatte Bestand: In diesem Jahr wird der inzwischen in Bahrenfeld beheimatete Verlag 50 Jahre alt. Längst ist die Edition Nautilus mit ihren „Flugschriften“ und dem Portfolio aus gesellschaftskritischen und politischen Werken eine namhafte Stimme in der Literaturszene geworden.
Edition Nautilus landete 2006 als Verlag einen Volltreffer
Dabei sind es streng genommen sogar mehr als 50 Jahre Verlagsgeschichte. Der Bergedorfer Lutz Schulenburg und seine Mitstreiter Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt hatten 1972 zunächst die Zeitschrift MAD (Materialien – Analysen – Dokumente) herausgegeben, gefolgt von einem ersten Verlagsprogramm 1973. Nur weil der (später in Edition Nautilus umbenannte) Verlag 1993 seinen 20. Geburtstag verpasst hatte, legte er kurzerhand 1974 als eigentliches Gründungsjahr fest und konnte so nachfeiern.
Der kreative Umgang mit dem Gründungsjahr stand wohl sinnbildlich für vieles: Das Verlegertrio sympathisierte stets mit dem Eigenwilligen, Subversiven, Kämpferischen und Unangepassten. In den Anfangsjahren publizierte der kleine Bergedorfer Verlag einen bunten Mix aus Schriften von Rätekommunisten oder Anarchisten, aber auch zeitgenössische Dichtung und Poesie sowie Texte von Dadaisten und Surrealisten. Später kamen Autobiografien, Prosawerke und Kriminalromane dazu.
Doch auch wenn über die Jahre etwa 1000 meist sehr politische Bücher veröffentlicht wurden: Das eine Buch, das vieles änderte, war ein Krimi. 2006 hatten sich Lutz Schulenburg und Hanna Mittelstädt, die den Verlag inzwischen als Duo leiteten, entschieden, ein Erstlingswerk herauszubringen: „Tannöd“ von Andrea Maria Schenkel.
Das Debüt über einen sechsfachen Mord in der bayrischen Einöde wurde ein durchschlagender Erfolg. „Tannöd“ führte monatelang die Spiegel-Bestsellerliste an, wurde eine Million Mal verkauft und mit Preisen überhäuft. Der Literaturkrimi machte auch den Bergedorfer Verlag mit einem Schlag bekannt.
Gleichberechtigtes Kollektiv leitet heute den Verlag
Nach 35 Jahren in Bergedorf – zunächst an der Hassestraße, dann Am Brink und schließlich in der Fußgängerzone Alte Holstenstraße in Lohbrügge – sahen die Verleger Lutz Schulenburg und Hanna Mittelstädt nun die Zeit für einen Tapetenwechsel gekommen. 2008 zogen sie in die Schützenstraße nach Bahrenfeld um. Noch heute hat der Verlag hier in einer alten Fabrik im Hinterhof seinen Sitz.
Nach dem plötzlichen Tod des Gründers Lutz Schulenburg 2013 hatte sich auch Hanna Mittelstädt 2016 aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen und den Verlag an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übergeben. Katharina Bünger, Klaus Voß, Timo Schröder, Katharina Picandet und Franziska Otto leiten den Verlag heute als gleichberechtigtes Kollektiv.
„Tannöd“ blieb nicht der einzige Erfolg des Verlags
„Tannöd“ sollte indes nicht der einzige Erfolg bleiben: Auch andere Werke brachten teils überraschend gute Einnahmen, etwa der Silvesterklassiker „Dinner for one“ als Theaterstück, auch op Platt. Doch der Verlag will sich treu bleiben. „Die politische Agenda steht weiterhin vorne“, sagt Katharina Picandet. Der Spagat soll geschafft werden zwischen dem rein Wirtschaftlichen und den Themen, die dem Team am Herzen liegen.
Projekte, die zwar interessant, jedoch ökonomisch völlig hoffnungslos sind, werden zwar auch mal abgelehnt. Aber gelegentlich wird dann in einem Programm eine Querfinanzierung versucht, werden Erfolgsautoren wie Laurie Penny mit einem Projekt kombiniert, das das Team trotz geringer Verkaufsaussichten einfach begeistert. Das sind Bücher mit Themen, die aktueller sind denn je: Feminismus, Antirassismus, Kapitalismuskritik oder toxische Männlichkeit beispielsweise. Und Bücher, die gängige Narrative hinterfragen.
Freude an inspirierenden Texten sei „immer wieder da“
Die Entscheidungen werden gemeinsam getroffen: Nach einer Vorauswahl lesen alle jedes Exposé und jede Leseprobe einmal an. Meist findet sich dann schnell eine gemeinsame Meinung. Denn die Begeisterung für das geschriebene Wort, das eint die fünf Verleger. Neue, vielversprechende Manuskripte zu lesen, das sei stets „ein bisschen wie Weihnachten“, sagt etwa Katharina Bünger.
Die Freude an inspirierenden Texten sei „immer wieder da“, meinen auch Franziska Otto und Klaus Voß. Ob ein Buch ein Erfolg wird oder wenigstens die Unkosten wieder hereinholt, das kann allerdings nie jemand vorhersagen. „Wir sagen immer: Wir sind in der Glücksspielbranche“, sagt Timo Schröder.
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Das Verlagsjubiläum soll nun das ganze Jahr über mit verschiedenen Veranstaltungen gefeiert werden. Und vielleicht sind die Bahrenfelder auch mal wieder in der alten Heimat Bergedorf zu Gast. So wie 2023, als Verlagsgründerin Hanna Mittelstädt mit einer Lesung aus ihrem Buch „Arbeitet nie! Die Erfindung eines anderen Lebens“ im Café Chrysander Bergedorf besuchte. Ganz nah an den alten Wirkungsstätten wie der Verlagswohnung Am Brink.
Infos zum neuen Buchprogramm finden sich unter edition-nautilus.de.