Hamburg. Wegen einer Kleinigkeit kommt es zu einem Wortgefecht auf einem Parkplatz – bis einer der Männer kurz die Kontrolle verliert.
Eigentlich war die Situation schon geklärt. Nach einem Streit auf einem Parkplatz in Allermöhe war Holger Schmidt (alle Namen sind geändert) schon auf dem Weg zurück in seinen Lastwagen. Doch der Konflikt mit dem 74-jährigen Manfred Adler flammte noch einmal auf. Schmidt machte kehrt. Eine verhängnisvolle Entscheidung. Es folgt ein Stoß vor die Brust des Widersachers, ein Sturz und ein Schädelbruch. Manfred Adler stirbt wenige Tage später im Krankenhaus. Der Lkw-Fahrer muss sich jetzt wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor dem Hamburger Landgericht verantworten.
Holger Schmidt schildert seine Version der Ereignisse dieses Sommermorgens bereitwillig im Gerichtssaal. Der 59-Jährige fuhr seinen Sattelschlepper noch ohne Ladung mit dem Ziel Hans-Duncker-Straße. Als sich auf dem Rungedamm die Fahrbahn auf eine Spur verjüngt, habe ihn plötzlich ein Autofahrer auf der linken Spur überholt und anschließend ausgebremst. Eine Erfahrung, die der Kraftfahrer in seiner zwanzigjährigen Karriere nicht das erste Mal macht. Schmidt beschließt, dem Pkw-Fahrer zu folgen und ihn zur Rede zur stellen.
Streit zwischen Autofahrern nimmt tödliches Ende
Immer wieder beteuert der 59-Jährige, dass er in diesem Moment nicht im Zorn handelte, nicht gestresst oder überfordert war. Im Gegenteil. „Ich hatte an diesem Morgen gute Laune, das Wetter war schön, ich hatte noch Zeit“. Er habe den Autofahrer nur fragen wollen, warum er das riskante Fahrmanöver unternommen habe. Riskierte, dass ein schwerer Sattelschlepper nicht mehr rechtzeitig bremsen kann.
Überarbeitung, Schlafmangel oder beruflicher Druck lasten ebenfalls nicht auf dem Lkw-Fahrer. Schmidt hat geregelte Arbeitszeiten, sein Chef sitzt an diesem Tag zur Unterstützung im Zuschauerraum. „Ich bin mit Leib und Seele Kraftfahrer. Ich gehe jeden Morgen trällernd zur Arbeit“, sagt der Angeklagte. Auch deshalb habe er im anschließenden Streit so emotional reagiert.
Angeklagter verfolgt seinen Kontrahenten auf einen Parkplatz
Schmidt folgt dem Autofahrer zu dessen Arbeitsstelle am Rungedamm. Der 74-jährige Manfred Adler steigt aus seinem Auto aus, der Angeklagte parkt seinen Lastwagen. „Er hat sofort gebrüllt: Jetzt siehst du, wie das ist. Ihr Lkw-Fahrer seid alle Arschlöcher“, betont der 59-Jährige. Mehrere Zeugen bestätigen, dass daraufhin ein Wortgefecht auf dem Parkplatz folgt – bis beide zunächst beschließen, ihrer Wege zu gehen.
„Als ich auf dem Weg zu meinem Lkw war, hat Herr Adler aber erneut alle Lastwagenfahrer beleidigt“, berichtet Schmidt. Daraufhin stehen sich die Streithähne erneut gegenüber. Schmidt brüllt: „Was willst du?“ Und versetzt dem 74-Jährigen mit beiden Händen einen Stoß vor die Brust.
„Ich wollte nur nicht, dass er mir auf die Pelle rückt. Aber dann hat er mich nur angestarrt und ist stocksteif umgefallen“, beschreibt der Angeklagte die Situation. Manfred Adler schlägt ungebremst mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. „Aus einem Ohr lief viel Blut“, sagt Schmidt. Er sei sofort in einen nahen Betrieb gerannt und habe um Hilfe gerufen. Zeugen berichten ebenfalls, dass der Angeklagte geholfen habe, den Schwerverletzten zu versorgen. Die Bemühungen sind vergebens. Adler stirbt wenige Tage später im Klinikum Boberg an Organversagen. Die Folge eines mehrfachen Schädelbruchs.
Opfer soll sich schon häufiger mit Lastwagenfahrern gestritten haben
Der Rechtsmediziner, der Manfred Adlers Leichnam obduziert hat, erklärt den unkontrollierten Sturz auf den Hinterkopf mit dem Alter des Opfers: „Die Reaktionsfähigkeit und motorische Leistung lässt nach.“ Der Arzt betont aber auch, dass zwei Rippenbrüche bei Adler festgestellt wurden. Vieles spricht dafür, dass die Verletzungen von Schmidts beidhändigem Stoß stammen. „Das Schubsen muss dann schon sehr heftig gewesen sein. Der Brustkorb ist ja elastisch“, sagt der Mediziner. Besonders brüchige Knochen habe der Tote nicht gehabt.
Die Aufnahme einer Überwachungskamera bestätigt die Schilderung von Holger Schmidt weitgehend, genau wie die Aussagen der Zeugen. Pikant: Der Mitarbeiter eines benachbarten Unternehmens berichtet, dass Manfred Adler nicht zum ersten Mal von einem Lkw-Fahrer auf den Parkplatz verfolgt wurde und es dort zu einem Streit kam.
„Ich erinnere mich, dass er einen anderen Lastwagenfahrer als ‚Kommunistensau‘ bezeichnet hat“, so der Zeuge, der selbst mehrfach mit Adler aneinandergeraten war. „Er konnte schon ein Stinkstiefel sein und hat mich einmal auch als ‚dummes Schwein‘ bezeichnet.“ Man habe sich aber immer wieder versöhnt. Auch eine Mitarbeiterin von Adler bezeichnet ihren langjährigen Chef als zuweilen aufbrausend, betont aber auch: „Ich habe es nicht ohne Grund 17 Jahre mit ihm ausgehalten. Er ist immer auch schnell wieder runtergekommen.“
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Lkw-Fahrer Schmidt beteuert, dass er vorher noch nie in seinem Leben handgreiflich geworden ist. Niemals habe er zu Beginn der Auseinandersetzung auch nur daran gedacht, seinen Kontrahenten zu schubsen. „Ich wollte nach 20 Jahren im Beruf nur wissen, warum jemand so verrückt ist, einen Lkw auszubremsen.“ An diesem entspannten Morgen sah er die Chance, eine Antwort zu bekommen.
Keinesfalls wollte er den Autofahrer über eine längere Strecke verfolgen. Nur weil das Manfred Adlers Ziel direkt um die Ecke lag, sei es überhaupt zum Konflikt auf dem Parkplatz gekommen. Nach dem fatalen Schubser habe er sich in psychologische Behandlung begeben, Antidepressiva verschrieben bekommen. „Seit diesem Tag ist etwas in mir kaputtgegangen“, sagt der 59-Jährige und fügt hinzu: „Ich werde diese Bürde mein Leben lang tragen müssen.“
Staatsanwältin und Verteidigerin sind sich in ihren Abschlussplädoyers einig: Es handelt sich um Körperverletzung mit Todesfolge – aber in einem minderschweren Fall. Schließlich zeige der Angeklagte sichtbar Reue, habe ein vollständiges Geständnis abgelegt und auch direkt Hilfe geholt. „Ich glaube sofort, dass sie das nicht mit Absicht gemacht haben“, sagt die Staatsanwältin.
In diesem Fall sei es aber entscheidend, dass Holger Schmidt fahrlässig gehandelt habe. Angesichts des Alters seines Gegenübers hätte der Lastwagenfahrer wissen müssen, dass ein Schubser schwere Konsequenzen haben kann. Letztlich fordert die Anklage zwei Jahre Haft auf Bewährung. Die Verteidigung plädiert auf ein Jahr Gefängnis, ebenfalls auf Bewährung. Das Urteil fällt vermutlich am Dienstag, 27. Februar.