Bergedorf. Für eine damals 18-Jährige war es ein Martyrium. Einer der Täter, inzwischen Familienvater, steht nun wegen Vergewaltigung vor Gericht.

Es muss für die damals 18 Jahre alte Frau der blanke Horror gewesen sein. Dieser späte Abend des 7. Juli und die Nacht zum 8. Juli im Jahre 2005. Von offenbar vier Männern wird sie in einen Wohncontainer an der Rothenhauschaussee gezwungen. Speziell Sergejs P., damals 26 Jahre alt und erst wenige Tage in Deutschland, bedroht die junge Frau, misshandelt sie schwer und vergewaltigt sie auch noch. Veronika B. trägt am Ende Hämatome, mehrere Schwellungen im Gesicht sowie sichtbare Würgemalen am Hals davon. Ob das Opfer dieses Martyrium so viele Jahre nach der Tat verarbeitet hat, ist unklar.

Eine Antwort darauf könnte sie schon bald selbst im Gerichtssaal geben. Denn ihr Peiniger Sergejs P. muss sich seit Donnerstag wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Der Mann wurde erst Ende Juli vom Landgericht Lübeck wegen bewaffneten Überfalls auf die Avia-Tankstelle in Börnsen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Raubüberfall ereignete sich wenige Tage vor der mutmaßlichen Vergewaltigung am 28. Juni 2005.

Prozess wegen Vergewaltigung beginnt – 18 Jahre nach der Tat

Hintergrund des sexuellen Übergriffs auf B. soll sein, dass sie eine Strafanzeige gegen einen Bekannten von Sergejs P. namens Viktor L. zurücknehmen sollte. Der sollte sich vor dem Amtsgericht Bergedorf wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung verantworten. Als die junge Kasachin auf P. und seinen Komplizen R. trifft, weigert sie sich zunächst, die Anzeige zu widerrufen.

Doch es könnte sich auch um ein Missverständnis handeln, wie nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch Kai Wantzen, Sprecher des Hanseatischen Oberlandesgerichts, annimmt: „In Wirklichkeit hatte die Geschädigte keine Anzeige gegen Viktor L. erstattet, sondern dachte, es gehe um eine Strafanzeige, die sie gegen eine Bekannte dieses Viktor L. erstattet hatte.“

18 Jahre nach Vergewaltigung in Bergedorf: „Werde dich töten, macht mir nichts aus“

Jedenfalls ist die Brutalität, die in jener Juni-Nacht folgt, durch nichts zu rechtfertigen: Nun ergreifen die Männer härtere Maßnahmen, schleppen die 18-Jährige an den Stadtrand von Bergedorf in ein Containerdorf für Spätaussiedler. „Ich werde dich töten, das macht mir nicht aus“, soll P. damals gedroht haben, bevor er der 18-Jährigen das erste Mal mit der Faust ins Gesicht schlägt.

Es ist nur der Anfang der Peinigung – P. drischt weiter brutal auf die Wehrlose ein, legt ihr einen weißen Strick um den Hals und würgt sie, wirft sie dann auf ein unteres Etagenbett im Container, reißt ihr die Kleider vom Leib und vergewaltigt sie. Dann fällt noch R. über sie her, missbraucht sie ebenfalls.

Sergijs P. (r.) während des Prozesses vor dem Landgericht Lübeck. Er war an dem Überfall auf die Avia-Tankstelle im Juni 2005 in Börnsen beteiligt. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten.
Sergijs P. (r.) während des Prozesses vor dem Landgericht Lübeck. Er war an dem Überfall auf die Avia-Tankstelle im Juni 2005 in Börnsen beteiligt. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. © Dirk Palapies | Dirk Palapies

Sexualstraftäter geht den Behörden in Belgien ins Netz

Kaum zu fassen: Offenbar schaffte es der kahlgeschorene lettische Staatsbürger mit dem langen Kinnbart 18 Jahre lang, unterzutauchen. Der Haftbefehl gegen Sergejs P. in der Vergewaltigungssache erging einen Tag vor Weihnachten 2009, seitdem fahndeten die Behörden nach dem mutmaßlich gewaltbereiten Mann ohne festen Wohnsitz im In- und Ausland.

Bis zum 27. März 2023: Da wurde P., wie sein Verteidiger Viktor Bach vor dem Gerichtssaal bestätigt, in Belgien festgenommen und wenig später nach Hamburg in ein Untersuchungsgefängnis überstellt. Der Angeklagte lebte tatsächlich seit 2005 im Nachbarland. Dort soll er eine Familie mit Frau und kleinem Kind (3) gegründet sowie einen festen Job gehabt haben. Wie P. plötzlich aufflog, verrät sein Rechtsanwalt nicht. Und auch der Pressestelle des Landgerichts Hamburg lagen dazu nach Anfrage unserer Redaktion bis Donnerstagnachmittag zunächst keine näheren Erkenntnisse vor.

Vergewaltigung: Mittäter wurde 2020 zu einer Jugendstrafe verurteilt

Fest steht aber – und dieses Verfahren kennt die Hamburger Justiz ebenfalls – dass der Mann mit drei Mittätern am 28. Juni 2005 die Börnsener Tankstelle überfallen hatte. Vor dem Landgericht Lübeck hatte P. ausgesagt, diese Männer in Bergedorf getroffen zu haben. Nach einem Drogen- und Alkoholexzess sei die Idee des Überfalls „spontan“ entstanden – diese und andere Aussagen nahm ihm die Vorsitzende Richterin aber nicht ab, weshalb schlussendlich die lange Haftstrafe verhängt wurde.

Der Mittäter R. war bereits im November 2005 wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Außerdem erhielt ein weiterer Mann (31) wegen unterlassener Hilfeleistung eine Bewährungsstrafe von drei Monaten.

An den weiteren elf Verhandlungstagen im Fall Sergejs P. bis zur Urteilsverkündung am 1. November soll auch das Opfer zu Wort kommen. Veronika B., heute 36 Jahre alt, wird am Montag, 25. September, ihre Aussage vor Gericht machen. Beim nächsten Sitzungstermin am Freitag, 22. September, will sich auch der in Riga geborene P. zum Tatvorwurf äußern – über seinen Rechtsanwalt. Der will aber grundsätzlich zunächst die „rechtliche Seite“ klären, also ein mögliches Strafmaß für seinen Mandanten.