Hamburg. 2023 war ein Tiefpunkt, was den Klimawandel angeht, sagt Mojib Latif. Trotzdem ist er dagegen, Menschen Vorschriften zu machen.

Er hat für seinen Einsatz für den Klimaschutz vor Kurzem den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland erhalten – auch weil er wie kein anderer so über den Klimawandel sprechen kann, dass es alle verstehen. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ erzählt Klimaforscher Mojib Latif, was jeder Einzelne für den Schutz des Klimas tun kann, warum er von Verboten wenig hält und wieso die Lage noch unübersichtlicher ist, als es etwa das 1,5-Grad-Ziel glauben macht. Hier können Sie das komplette Gespräch hören.

Das sagt Mojib Latif über…

… die Frage, ob es in Sachen Klimawandel fünf vor oder fünf nach zwölf ist: „Ob es fünf oder zehn nach zwölf ist, was den Klimawandel angeht, kann ich nicht sagen, aber dass es auf jeden Fall nach zwölf und nicht davor ist, spüren wir alle. Die Temperaturen steigen, ich hätte mir als geborenen Hamburger nie träumen lassen, dass wir in dieser Stadt jemals 40 Grad messen. Im Jahr 2022 war es so weit. Ich hätte mir auch nicht träumen lassen, dass wir uns mal in Hamburg nach Regen sehnen. Und wenn ich mich dann in der Welt umsehe, häufen sich die wetterbedingten Katastrophen, was ein klares Zeichen dafür ist, dass der Klimawandel schon fortgeschritten ist. 2023 war, was diese Entwicklung angeht, leider ein neuer Höhepunkt. Allein bei uns in Deutschland sollen nach Angaben des RKI in diesem Jahr mehr als 3000 Menschen an Hitze gestorben sein, dabei war der Sommer gar nicht so warm wie in den vergangenen Jahren.“

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… das 1,5-Grad-Ziel: „Wenn wir über den Klimawandel reden, reden wir im Wesentlichen über die globale Erwärmung, die jetzt schon ein Plus von 1,2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beträgt und die wir auch nicht mehr zurückdrehen können. Das klingt wenig, ist aber in Wahrheit dramatisch, zumal sich die Weltgemeinschaft im Pariser Klimaabkommen vorgenommen hat, die Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad, besser 1,5 Grad, zu begrenzen. Sehr wahrscheinlich werden wir, spätestens im nächsten Jahrzehnt, die 1,5 Grad reißen, aber ich glaube nicht, dass das dann der Untergang der Welt ist. Denn man hat die 1,5 Grad als Ziel auch deswegen ausgegeben, weil man davon überzeugt ist, bei diesem Wert noch relativ weit von sogenannten Kipp-Punkten entfernt zu sein, an denen eine Entwicklung einsetzt, die sich nicht mehr stoppen lässt“.

Runter vom Gas – und das gilt auch fürs Klima

„Was die Kipp-Punkte angeht, sollten wir als Wissenschaftler auch ehrlich sein: Wir wissen nicht genau, wo sie liegen. Aber das ist aus meiner Sicht auch der beste Grund, um zu handeln. Denn wir verhalten uns in gewisser Weise wie ein Autofahrer auf der Autobahn, der im dichten Nebel mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs ist, obwohl er nicht weiß, ob gleich ein Stau vor ihm kommt. Das Motto kann in diesem Fall nur sein: runter vom Gas – und das gilt auch fürs Klima.“

… sein selbst auferlegtes Tempolimit: „Ich fahre auf der Autobahn bewusst nur 100 km/h, ursprünglich habe ich das übrigens getan, weil ich mich mit diesem Tempo wohler fühle. Und dann habe ich festgestellt, wie viel Benzin und damit wie viel Geld man sparen kann, wenn man maximal 100 km/h fährt, und fürs Klima ist es auch noch gut. Man muss nicht auf die Politik warten, sondern kann auch selbst handeln. Wie gesagt: Die Einsparungen sind ordentlich, das heißt, man kann bis zu ein paar Hundert Euro im Jahr sparen und ist dabei noch entspannt und sicherer. Und schließlich werden klimaschädliche Staus verringert.“

… Klimaschutz, der Spaß machen muss: „Ich möchte unsere Demokratie, so wie sie ist, behalten, und das Letzte, was ich will, ist eine Art Öko-Diktatur. Wir müssen an einen Punkt kommen, an dem Klimaschutz Spaß bringt. Und wann bringt Klimaschutz Spaß? Wenn man von ihm profitiert, wie bei meinem Beispiel mit dem Autofahren. Um es mal ganz platt zu sagen: Warum sind Bioprodukte teurer als die konventionellen Produkte? Wäre es umgekehrt, würden viel mehr Menschen Bioprodukte kaufen, und wir hätten ein Nachhaltigkeitsproblem weniger. Das Gleiche gilt für Strom: Wir haben immer mehr erneuerbare Energien im System, und trotzdem steigen die Strompreise. Das kann man doch niemanden erklären. Irgendwo ist dort ein Webfehler, ich verstehe dieses System nicht. Umweltzerstörung wird belohnt. Das muss sich ändern, sonst wird es immer so weitergehen. Es kann doch auch nicht sein, dass in Schleswig-Holstein Windräder stillstehen, also keinen Strom erzeugen, weil dieser Strom nicht weitergeleitet werden kann … Wir im Norden produzieren den saubersten Strom und zahlen trotzdem mit die höchsten Strompreise, das ist doch verrückt.“

Deutschland war in der Vergangenheit einer der großen Sünder

… die deutsche Verantwortung im Kampf gegen die Klimakrise: „Deutschland ist auf Platz sechs bei den sogenannten historischen Emissionen, das heißt, wir waren in der Vergangenheit, was den Ausstoß von Kohlendioxid angeht, einer der großen Sünder und haben deshalb in der Bekämpfung des Klimawandels eine besondere Verantwortung, nicht weil wir derzeit für vermeintlich geringe zwei Prozent des weltweiten CO2-Verbrauchs verantwortlich sind. Ein Land wie Deutschland muss immer mit gutem Beispiel vorangehen, und es kann weltweit Impulse setzen, wie wir das durch die Förderung von erneuerbaren Energien in den vergangenen 20 Jahren bewiesen haben.

Wir können die Welt durch die Entwicklung von sauberer Technologie retten oder zumindest zur Rettung beitragen. Übrigens ist das auch im ureigensten Interesse Deutschlands, weil die nächste industrielle Revolution längst begonnen hat und dabei erneuerbare Energien eine riesige Rolle spielen werden, das wird ein Standortvorteil sein. Deshalb spreche ich lieber über Zukunftsfähigkeit und die Sicherung unseres Wohlstands als nur über Klimaschutz. Denn das, was wir jetzt tun müssen, geht weit über das Klima hinaus. Kommt hinzu, dass wir natürlich auf internationaler Ebene unsere Glaubwürdigkeit verlieren würden, wenn wir von allen anderen Ländern größte Anstrengungen in Sachen Klimaschutz verlangen, die selbst aber nicht vorweisen können.“

Nach AKW-Aus: „Wir hatten und haben keine Stromlücke“

… den deutschen Verzicht auf Atomkraft: „Atomkraft hat bei uns in Deutschland in den letzten Jahren keine große Rolle mehr gespielt. In Wahrheit sind wir nach Abschalten der letzten AKWs immer noch ein Land, das Strom exportiert, das heißt, wir hatten und haben keine Stromlücke. Auch global gibt es eigentlich kein Energieproblem, wir haben erneuerbare Energien im Überfluss, die Technologie, sie zu nutzen, und wir haben genügend Geld dafür. Das einzige Problem ist, dass dieses Geld immer noch zu oft in die Förderung von konventioneller Energie fließt, und damit muss Schluss sein. Aber das ist ein internationales Problem: Die großen Finanzströme müssen dahin gelenkt werden, wo sie der Umwelt und einem Großteil der Weltbevölkerung nutzen.“

… die eigene Betroffenheit im Norden Europas: „Der Klimawandel ist auch in Deutschland ein gesundheitliches Risiko für Alte, kleine Kinder und Schwache, das heißt, die Folgen höherer Temperaturen treffen uns auch hier direkt. Hinzu kommt, dass wir schon heute sehr viel Geld, Milliarden Euro, für die Beseitigung von Klimaschäden und für Anpassungsmaßnahmen im eigenen Land zahlen. Beides darf man nicht vergessen, wenn man glaubt, dass Deutschland vom Klimawandel nicht so stark betroffen ist. Die Auswirkungen sind auch bei uns zu spüren, die Kosten immens, und sie werden Jahr für Jahr steigen. Wir müssen uns bewusst sein, dass es nicht nur Grenzen der Vorhersagbarkeit und der Anpassungsfähigkeit, sondern auch der Finanzierung von Klimaschäden gibt.“

Wärmepumpen – ein extrem gutes Instrument

… die private Energiewende, die leicht möglich ist: „Man kann etwas gegen den Klimawandel tun, wenn man zu einem Ökostromanbieter wechselt und damit seine eigene, kleine Energiewende macht. Es ist denkbar einfach, und meistens ist es auch nicht teurer. Das kann jeder sofort machen, da muss man nicht auf die Politik warten.“

Entscheider treffen Haider

… Wärmepumpen: „Wärmepumpen sind tatsächlich ein extrem gutes Instrument, um die CO2-Emmissionen deutlich zu senken, die skandinavischen Länder haben es uns vorgemacht, weil sie viel früher als wir verstanden haben, wohin die Entwicklung geht und gehen muss. Wir werden in den kommenden Jahren weltweit eine rasante Entwicklung in diesem Bereich haben, Wärmepumpen werden deutlich effizienter und günstiger werden. Deshalb fand ich es unverantwortlich, dass bestimmte Medien und Kreise der Politik den Menschen suggeriert haben, dass sie von jetzt auf gleich ihre alten Heizungen durch Wärmepumpen ersetzen müssen – was rein praktisch gar nicht geht, weil Handwerker und Material fehlen. Das hat Angst geschürt und die Klimaschutzbemühungen um Jahre zurückgeworfen, leider, das war aus meiner Sicht ein Trauerspiel, auch für die deutsche Politik insgesamt.“

Verschwendung: 30 Prozent aller Lebensmittel werden weggeworfen

… Menschen, die Anreize brauchen, um zu handeln, und bei denen die Zukunft nur eine Nebenrolle spielt: „Wir tun nichts, weil wir gute Menschen sind, und unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, die Zukunft so wahr- und ernst zu nehmen wie die Gegenwart. Und deshalb müssen wir unser Gehirn mit Anreizen überlisten. Wenn wir diese Anreize nicht schaffen, werden die Menschen beim Kampf gegen den Klimawandel nicht so mitmachen, wie es nötig ist. Wir handeln erst, wenn wir wirklich und akut betroffen sind, wie sehr, haben wir in den Jahren der Pandemie erlebt. Aber wir können und sollten nicht versuchen, den Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben.“

… die Ernährung, bei der es erst mal nicht um Verzicht geht: „Natürlich ist es nicht verkehrt, weniger Fleisch zu essen, aus verschiedenen Gründen. Aber erst mal geht es darum, die Verschwendung abzustellen, an die wir uns leider in unserem Land gewöhnt zu haben scheinen. Ungefähr 30 Prozent aller Lebensmittel, die produziert werden, mit dem entsprechenden CO2- und Ressourcenverbrauch, landen gar nicht auf Tellern, sondern werden weggeworfen. Wenn wir das stoppen, sind wir schon ein gutes Stück weiter, und das hat nun wirklich nichts mit Verzicht zu tun.“