Hamburg. Bergedorfs Umweltaktivisten wollen in 2024 weiter unbequem, aber auch ein guter Gesprächspartner sein. Was sie dafür fordern

Sie fordern mehr Mitbestimmung, Aufmerksamkeit und Initiative für den Klimaschutz. Und auch im eigenen Mikrokosmos werden Anke Große-Wilde, Jan Frehse und Stefan Gertz genau dafür kämpfen. Das Trio aus dem Bergedorfer Ableger von Extinction Rebellion (XR) plant im Jahr 2024 neue Formate und Aktionen, die das eigentliche Thema mehr als die Protestform in den Mittelpunkt stellen sollen. Genau zu diesem Aspekt beobachten Bergedorfs Umweltschützer gebannt einen Prozess wegen Nötigung nach Straßenblockaden in Berlin.

Auch aus ihren Reihen hätten sich Aktivisten auch schon mal auf den Asphalt geklebt – doch was XR Bergedorf nach Meinung von Stefan Gertz viel mehr ausmacht, sei der Lernfortschritt. Vom anfänglichen „Verrückt-Visionärem“ zum heutigen „Moderat-Vorbereiteten“. So möchte XR Bergedorf auf kommunaler Ebene „ein anerkannter Player“ werden, zum Beispiel bei Stadtentwicklungs-Themen mitbestimmen.

Umweltaktivisten: Mehr als Blockaden – was XR Bergedorf künftig vorhat

Bei XR interessiert sich jeder für jeden. Das ist nicht nur eine Floskel: Die wöchentlichen Planungsrunden immer dienstags im Café Chrysander (19 Uhr) beginnen stets mit dem sogenannten Check-in und enden mit dem Check-out. Offen soll jeder Gast nach kurzer persönlicher Vorstellung berichten, wie es hm persönlich geht. „Wir haben bestimmte Werte, Prinzipien“, erklärt Stefan Gertz, der viel Öffentlichkeitsarbeit bei XR Bergedorf macht, „und auch Rituale, weil wir uns für andere in unserer Gruppe eben auch interessieren“.

Extinction Rebellion bei einem Fahrrad-Swarming beim City-Kreisel in Bergedorf.
Extinction Rebellion bei einem Fahrrad-Swarming beim City-Kreisel in Bergedorf. © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

XR Bergedorf gibt es erst seit 2019. Sechs bis zwölf Gäste sind in der Regel bei den Besprechungen dabei, Sympathisanten gibt es deutlich mehr. Was Anke Große-Wilde – in Bergedorf als Kunst-Kuratorin bekannt – gefällt, ist der aus ihrer Sicht vorhandene „konstruktive Aktivismus“ der Gruppe. Gemeint sind Aktionen wie Swarming auf der B5, Die-Ins (sich tot stellen) im Sachsentor, aber auch Ausstellungen wie in der CCB-Galerie oder Infostände vor St.Petri und Pauli. Die Kunstexpertin findet, dass es XR gut gelinge, „nicht die Menschen zu verärgern oder zu verstören, nicht andauernd nur zu blockieren“.

Synergien nutzen und Stärke im Klimabündnis

In 2024 möchten Gertz und Co. unbedingt eine Art „Bergedorfer Klimabündnis“ ins Leben rufen. Mit Organisationen wie dem Nabu, Critical Mass, ADFC und weiteren sollen gemeinsame Aktionen einmal monatlich initiiert werden. Nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stärker“ und möglichst zu unterschiedlichen Themen wie der aktuellen Hochwasserlage oder Biodiversität.

Ebenso ist die stärkere Einbindung des Kunst- und Handwerkerhaus „Plietsch“ am Bergedorfer Markt angestrebt, was Anke Große-Wilde forcieren möchte. Dieser zentrale Standort könnte ebenfalls monatlich für ein neuartiges Gesprächsformat herhalten. Vielleicht kommt bei der Gelegenheit das für XR Bergedorf größte Problem vor der eigenen Haustür, nämlich die Errichtung von Oberbillwerder, zur Sprache – denn die Klimarebellen fürchten, dass sich Hamburger Fehler in der Bergedorfer Stadtplanung wiederholen. „Es geht doch nur um Optimierung von Wohnraum“, kritisiert Stefan Gertz, im Berufsleben Nachhaltigkeitsberater, beim Blick auf die Quartierspläne, die ihn sehr stark an Schwächen der HafenCity erinnern. Dort sei es im Sommer ja auch zu heiß, zu stickig und insgesamt ein Mangel an Grünflächen ersichtlich.

Politiker sollen über Klimakatastrophe die Wahrheit sagen

Und auch der Bergedorfer XR-Klassiker mit ernstem Hintergrund soll wieder her: Das zuletzt etwas in Vergessenheit geratene Swarming, also die kurzzeitige Straßenblockade auf der Bergedorfer Straße (B5) in Höhe des Glunz-Hochhauses, soll wieder intensiviert werden. Launig, mit „bewegter Perfomance“ und an einem Sonnabend im Monat.

Straßenblockade in der Bergedorfer Straße an der Fußgängerampel Mohnhof.
Straßenblockade in der Bergedorfer Straße an der Fußgängerampel Mohnhof. © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

„Sagt die Wahrheit“ lautet eine der Grundforderungen von Extinction Rebellion an Politik und Regierungen. Um das immer wieder zu kontrollieren, passt die Forderung nach der Einberufung von sogenannten, zufällig zusammen gelosten Bürgerräten. Diese sollen Bundesregierungen oder ähnliche Institutionen beraten, schlussendlich deren Beschlüsse auch verpflichtend umsetzen, um die ökologische Katastrophe zu verhindern.

Bürgerräte: Keine Entmachtung von Politikern, sondern Unterstützung

Doch werden so nicht vom Volk gewählte Vertreter praktisch entmachtet? .„Es geht ja nicht darum, Demokratien zu unterhöhlen, sondern für sie das Beste für alle auszuhandeln und zusätzlich zu unterstützen“, verdeutlicht der Bergedorfer Psychotherapeut Jan Frehse. Inwieweit diese Bürgerräte dann lediglich Empfehlungen aussprechen können oder ihre Eingaben bindenden Charakter haben, müsse zunächst auf lokaler Ebene abgestimmt werden.

Jan Frehse: „Wir brauchen eine Legitimation auch mal für unbequeme Entscheidungen, um Lobbyismus zu stoppen.“ Ein Beispiel wäre für ihn, das Hamburger Klimaschutzgesetz im Jahr 2025 deutlich nachzuschärfen, um beispielsweise Klimaneutralität schon 2040 zu erreichen und regelmäßiges Klimamonitoring zu betreiben.

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Aktuell verfolgt XR Bergedorf gespannt eine Verhandlung vor dem Berliner Landgericht im Stadtteil Moabit, die ein Präzedenzfall werden kann. Dort wird im Strafverfahren gegen eine Klimakleberin nicht die Blockade verhandelt, sondern die Frage geklärt, inwieweit die verfehlte Klimapolitik der Bundesregierung und das Vorliegen eines Klimanotstands die Handlungen der Aktivistin der Letzten Generation rechtfertigt.

Deshalb kommen Klima- und Protestforscher zu Wort, weil die Vorsitzende Richterin den Anträgen der Verteidigung stattgab. Das sei vor der Urteilsverkündung am 16. Januar ein neuer Aspekt, findet Jan Frehse: „Es ging bei dieser Art des Protests zuletzt viel zu häufig um Diffamierungen der Aktivisten statt der eigentlichen Probleme.“