Hamburg. Ein Gruppenraum für Ruderer am Kurfürstendeich wird für Schüler mit Handicap unerreichbar sein. Das sorgt für scharfe Kritik.
Die Nachricht, dass das geplante neue Funktionshaus für die Bergedorfer Schüler, die am Kurfürstendeich das Rudern erlernen, für Kinder und Jugendliche mit Handicap nicht zugänglich sein wird, sorgt für einen Sturm der Entrüstung. Zahlreiche Leserinnen und Leser reagierten empört auf das Ergebnis unserer Recherchen, die wir am 30. Januar veröffentlicht hatten („Geplantes Wassersportzentrum: Behinderte Schüler ausgeschlossen“). Sie wundern sich über den Ausschluss von Schülern mit Behinderung in einer Zeit, in der öffentliche Gebäude stets integrativ errichtet werden. Sie befürchten, dass das Zentrum an der Dove-Elbe nur einer kleinen, elitären Minderheit zur Verfügung stehen soll – Oberstufenschülern ohne körperliche Einschränkungen, die in kleinen Gruppen unterrichtet werden.
„Beim Bau neuer Sportstätten muss nach der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen – seit März 2009 in Deutschland – gehandelt werden. Es dürfen behinderte Menschen nicht durch bauliche Einschränkungen an der Teilhabe ausgeschlossen werden“, teilt Volker Grabowski mit. Er schreibt außerdem: „Das ist bei dem vorliegenden Entwurf aber eindeutig der Fall. Hier werden behinderte Menschen nicht nur eingeschränkt, sondern tatsächlich ausgeschlossen. Mir entsteht der Eindruck, dass der Planer weder Ahnung von der Sportart, den Bedürfnissen von benachteiligten Menschen noch von den regionaltypischen Bauweisen hat.“
Wird das neue Bootshaus in Allermöhe ein Schulgebäude ohne Klassenraum?
Hannes O., der nicht mit vollem Namen genannt werden möchte, stammt aus den Vier- und Marschlanden und wurde als Schüler in dem Wassersportzentrum unterrichtet. „Ich habe tolle Momente an diesem Ort verbringen dürfen“, schreibt er. „Wir haben gerade im Sommer viel Zeit im Bootshaus verbracht. Oftmals wurde die erste Hälfte des Tages im ‚Klassenraum‘ gelernt, die zweite Hälfte ging es dann aufs Wasser.“ Mit seinen Mitschülern habe er sich damals sogar für „Jugend trainiert für Olympia“ qualifiziert.
Um so mehr habe es O. „schockiert zu lesen, wie seitens der Behörden mit diesem Projekt umgegangen wird“. Ihm sei „unbegreiflich, wie die Behörde auf jemand so erfahrenen wie Walter Römmer als beratende und fachkundige Instanz bei diesem Projekt verzichten kann“. Der Ex-Sportlehrer war bereits 2005 als Regionalbeauftragter für den Schulsport in Bergedorf von der Schulbehörde damit betraut worden, das Projekt Neugestaltung Wassersportzentrum voranzutreiben. Er sollte den Weg frei machen für ein Wassersportzentrum für Rudern/Kanu/Drachenboot für alle Bergedorfer Schulen. Das Projekt wurde damals von allen Schulleitern im Bezirk unterstützt.
Neuer Gruppenraum soll nur über eine Außentreppe erreichbar sein
Als nun ein Vorentwurf des von Schulbau Hamburg beauftragten Architekten auftauchte, erkannte der frühere Regionalbeauftragte darin „keinen Mehrwert“. Er kritisiert unter anderem, dass das neue Funktionshaus kleiner sein wird als das jetzige und dass der für nur maximal 24 Schüler ausgelegte Gruppenraum nur über eine Außentreppe erreichbar sei. Dadurch würden beispielsweise Rollstuhlfahrer ausgeschlossen. Sie können aber problemlos in Drachenbooten mitfahren. Der 75-Jährige, der sich seit 2013 in seiner Freizeit um das alte Bootshaus und um das Neubau-Projekt kümmerte, ist plötzlich als externer Berater nicht mehr erwünscht.
Der neue Gruppenraum habe kaum 30 Quadratmeter, teilt der ehemalige Sportlehrer mit. Der jetzige Raum sei etwa 40 Quadratmeter groß. Klassenräume müssten aber mindestens 48 Quadratmeter groß sein, betont der frühere Lehrer. In den vergangenen Jahren sei das Funktionshaus nicht nur von Schüler-Ruderern am Nachmittag genutzt worden, sondern auf vielfältige Weise, etwa auch von Profilklassen, für Projekttage, Spiele-Vormittage und Klassenfahrten für Grundschüler, Lehrerkonferenzen, Elterntreffen und als Trainingsstätte auswärtiger Schulen. In einem ersten Entwurf war sogar davon die Rede, in dem Neubau zwei Unterrichtsräume zu installieren, damit mehrere Klassen gleichzeitig Unterricht mit Wassersport verbinden können und das große Gelände dadurch eine bessere Auslastung erfährt. Vor zehn Jahren ging man von Kosten in Höhe von 240.000 Euro aus, inzwischen stehen 1,5 Millionen Euro bereit.
Ist das Projekt „bereits vor Fertigstellung dem Untergang geweiht“?
O. fürchtet, dass „dieses Projekt nun lieblos durch die behördlichen Instanzen gepeitscht“ wird und „bereits vor Fertigstellung dem Untergang geweiht“ ist. „Es muss auch zukünftig Platz sein für große Schulklassen, um den Ort mit Leben zu füllen und zu lernen. Der Ort muss für jeden zugänglich sein, egal ob jung, alt, im Rollstuhl oder am Stock.“
Die äußere Gestaltung des Funktionshauses wie auch des Bootshauses, das ebenfalls abgerissen und neu gebaut werden soll, „aus überlappenden Tonziegeln auf einer Metallunterkonstruktion“ (Vorentwurf) bezeichnet der ehemalige Ruderer als „optische Absurdität im denkmalgeschützten Vierlanden, die sich durch lediglich einen gedeckten Ton rechtfertigt, wo an anderer Stelle das Landesbauamt und der Denkmalschutz beim Neubau eines Carports vor der Haustür der Anwohner stehen“.
Bergedorfer CDU stellte ein Auskunftsersuchen zur Neugestaltung des Wassersportzentrums
Renate Nietzschmann, in Kröppelshagen lebende Pädagogin im Ruhestand, spricht von einem „wunderbaren, außerschulischen Lernort“. Sie betont, „dass dieser Ort bei einer Neugestaltung natürlich den Ansprüchen der inklusiven Bildung gerecht werden muss“.
Die Bergedorfer CDU-Fraktion stellte ein Auskunftsersuchen zu dem Thema. Sie bat das Bezirksamt, ihre Fragen „an die zuständige Behörde“ weiterzuleiten. Die Christdemokraten möchten über den Sachstand informiert werden, fragen nach einer konkreten Neuplanung und Nutzfläche. Wie groß „Schulungs- bzw. Aufenthaltsräume“ sein werden und „werden diese barrierefrei sein?“, lauten weitere Fragen. Dann eine grundsätzliche Frage: „Ist bei Neubauten und grundlegenden Sanierungsmaßnahmen bei öffentlichen Bauvorhaben (hier Schulbau Hamburg) zwingend die barrierefreie Planung und Herstellung vorgeschrieben?“ Und weiter: „Soweit Räumlichkeiten beim Wassersportzentrum nicht barrierefrei ausgestaltet werden sollen, wie wird dies begründet?“ Die Christdemokraten interessiert auch, was die Betroffenen über das Projekt denken: „Wurden eventuelle Neuplanungen schon den potenziellen Nutzern vorgestellt?“, wollen die Politiker wissen – und wie die Resonanz war. Die Antwort auf das Ersuchen liegt noch nicht vor.
Bilden die Planungen tatsächlich das maximale genehmigungsfähige Bauvolumen ab?
Imme Mäder, Sprecherin der Finanzbehörde Hamburg, betont, dass die Planungen eng mit der Stadtteilschule Bergedorf abgestimmt worden seien und von der Schulleitung gutgeheißen würden. Die frühere Gesamtschule ist als Repräsentant aller rund 30 Bergedorfer Schulen der Hauptansprechpartner von Schulbau Hamburg. Römmer, der mit dem Projekt seit etwa 20 Jahren befasst ist, bestreitet, dass das Projekt abgestimmt worden ist und Zustimmung erhielt: „Der Vorentwurf wurde der Leitung der Stadtteilschule Bergedorf und den Mitgliedern des Fachausschusses Rudern lediglich vorgelegt, verbunden mit dem Hinweis, dass sich an den Gebäuden nichts mehr ändern ließe. Abgestimmt wurde da nichts.“
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„Die Planungen bilden das maximale genehmigungsfähige Bauvolumen ab“, teilt Imme Mäder weiterhin mit. Die Auflagen seien so eng, dass es nicht möglich sei, das Funktionshaus größer zu bauen. Schulungsräume und eine zweigeschossige Bauweise seien in einem Bescheid zur Bauvoranfrage explizit abgelehnt worden. Alle Bereiche seien deshalb ebenerdig und barrierefrei zugänglich. „Einzig der sogenannte ‚Gruppenraum‘ ist nicht öffentlich zugänglich. Es handelt sich um einen Dachbodenraum, in dem sich Schülerinnen und Schüler ergänzend zum Training treffen können“, sagt Imme Mäder. Dieser Raum sei ein „Add-on“, also ein Extra, betont die Sprecherin. Er beeinflusse nicht die Barrierefreiheit des Gesamtgebäudes. Der ehemalige Regionalbeauftragte wundert sich über die Aussagen: „Es stimmt einfach nicht, dass das Funktionshaus nicht größer gebaut werden darf.“
Eigentümer eines Inklusionshausbootes kann sich zusätzliche Workshops vorstellen
„Die Bauvoranfrage, auf der die hohen Auflagen fußen, wurde am 14. Dezember 2022 vom Bezirksamt positiv beschieden“, teilt Imme Mäder mit. Zurzeit laufe das Zustimmungsverfahren („Bauantrag“) bei der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. „Dies ist der letzte Schritt, bevor der Bau beginnen kann. Baubeginn ist entsprechend für Juli 2024 avisiert“, sagt Imme Mäder.
Die „Huckleberry Finn“, Deutschlands erstes inklusives Hausboot, liegt derzeit im Holzhafen in Moorfleet. Arnold Schnittger, Vater eines schwerstbehinderten, erwachsenen Sohnes, Segellehrer und Eigentümer des Inklusionshausbootes, könnte sich gut vorstellen, mit der „Hucky“, wie das 13 Meter lange Holzboot in Kurzform heißt, vor dem Wassersportzentrum anzulegen und dort ergänzende Angebote anzubieten, etwa zu Wetterkunde, Navigation, Seemannsknoten oder dem Verhalten von Zugvögeln. Er würde sich mit seinen Workshops an Kinder und Jugendliche mit Handicap richte, könne sich aber auch um Schüler aus prekären Verhältnissen kümmern, die im normalen Unterricht anecken.