Hamburg. Rechtsextrem motivierte Gewalt wird oft verkannt und unterschätzt. Neue Ausstellung im Hamburger Rathaus zeigt erschütternde Beispiele.

Höchstens eine Stunde wollte Ramazan Avci von Zuhause weg sein, als er an seinem 26. Geburtstag seiner hochschwangeren Freundin noch zum Abschied zuwinkt. Doch der junge Türke sollte nicht mehr heimkehren und sein Kind nie kennenlernen: Im Dezember 1985 wird er auf dem Heimweg nahe dem S-Bahnhof Landwehr von Neonazis überfallen. Die Skinheads prügeln mit Axtstielen und Gummiknüppeln auf ihn ein und treten mit ihren schweren Springerstiefeln zu. Der junge Mann stirbt drei Tage später an seinen schweren Verletzungen.

Seine Witwe Gülüstan Avci wird am Freitag, 19. Januar, im Hamburger Rathaus sprechen, wenn dort die neue Wanderausstellung „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“ eröffnet wird. Die Ausstellung wird präsentiert von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. Bei der feierlichen Eröffnung im Großen Festsaal werden auch die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, Carola Veit, Prof. Dr. Oliver von Wrochem, Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, sowie Alyn Beßmann-Šišić und Lennart Onken dabei sein. Die beiden Kuratoren aus dem Team der KZ-Gedenkstätte Neuengamme haben die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Andreas Speit zusammengestellt, der als prominenter Kenner der rechtsextremen Szene gilt.

Rechtsextreme Gewalt ist mit dem Niedergang des faschistischen Deutschlands nicht verschwunden

Rechtsextreme Überzeugungen werden in Deutschland wieder verstärkt offen geäußert. Auch Gewalttaten von Rechtsaußen nehmen bedrohlich zu, heißt es in dem Flyer zur Ausstellung. Rechtsextreme Angriffe durch Vandalismus, Schmierereien oder verbale Attacken im Internet auf Gedenkstätten nahmen im vergangenen Jahr deutlich zu – auch in Neuengamme. Hatte es in der KZ-Gedenkstätte am Jean-Dolidier-Weg im Jahr 2022 vier Fälle gegeben, waren es in 2023 mehr als viermal so viele: Insgesamt 17 Vorfälle wurden registriert, bestätigt Sprecherin Iris Groschek.

Wie sieht die Situation in Hamburg aus? Welche Gefahren von rechts drohen heute und in welcher Kontinuität stehen sie? Diese Fragen sollen in der Wanderausstellung beantwortet werden. Denn in den vergangenen Jahrzehnten gab es in Hamburg Hunderte Gewalttaten der extremen Rechten mit unzähligen Verletzten und mindestens sieben Toten, stellen die Kuratoren fest. In der Öffentlichkeit werde diese rechtsextrem motivierter Gewalt aber bislang kaum wahrgenommen und oft unterschätzt, sind die Kuratoren überzeugt.

„Rechte Gewalt ist eine ständige Gefahr für unsere Demokratie“

Die neue Wanderausstellung nimmt die Akteurinnen und Akteure sowie Netzwerke der extremen Rechten in den Blick. Sie zeigt, wie die rechtsextreme Gewalt die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland über die Jahrzehnte seit dem Ende des NS-Regimes mitgeprägt hat. Zugleich erzählt sie die Geschichten von Betroffenen dieser Gewalt und lässt Hinterbliebene der Opfer zu Wort kommen.

„Für viele Menschen in unserem Land sind Bedrohungen durch Rassismus und Hassverbrechen alltäglich. Rechtsextreme Gewalt verschwand nicht mit dem Niedergang des faschistischen Deutschlands im Mai 1945“, stellt Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit fest. Die Ausstellung solle aufklären und warnen: „Rechte Gewalt ist eine ständige Gefahr für unsere Demokratie.“ Staat und Zivilgesellschaft müssten sich dieser heute und künftig entschlossen entgegenstellen – „als Bürgerinnen und Bürger einer vielfältigen und weltoffenen Stadt sind wir das allen Betroffenen und ihren Familien schuldig“, betont Carola Veit.

Schock über NSU-Morde haben kein anhaltendes Bewusstsein geschaffen

Prof. Dr. Oliver von Wrochem erinnert an den Schock, den das Bekanntwerden der Morde der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) vor zehn Jahren ausgelöst hatte. Die drei Haupttäter Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe waren 1998 untergetaucht und hatten zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin ermordet sowie 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübt.

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Der Schock habe leider kein anhaltendes Bewusstsein für die Gefahren rechtsextrem motivierter Gewalt geschaffen, stellt von Wrochem fest. Im Gegenteil: „Rechtsextreme, menschenverachtende Haltungen sind in Teilen der Gesellschaft leider wieder salonfähig.“ Ein Blick in die deutsche Geschichte zeige, wie schnell Hass in Gewalt umschlagen kann. „Es ist daher ein wichtiges Anliegen der neuen Ausstellung, nicht nur über die Kontinuität extrem rechter Gewalttaten in der Hansestadt Hamburg aufzuklären, sondern auch die dahinter liegenden Ideologien zu thematisieren und den Opfern rechtsextrem motivierter Gewalt ein Gesicht und eine Stimme zu geben“, erklärt Oliver von Wrochem.

Wer bei der Eröffnung der Ausstellung am 19. Januar von 19 bis 20.30 Uhr dabei sein möchte, meldet sich an im Internet unter veranstaltungen.buergerschaft-hh.de. Danach ist die Ausstellung montags bis freitags von 7 bis 19 Uhr, sonnabends von 10 bis 18 Uhr sowie sonntags von 10 bis 17 Uhr in der Diele des Rathauses zu sehen. Zu der Ausstellung gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm mit Vorträgen, Rundgängen, Diskussionen und Filmvorführungen. Eine Übersicht dazu gibt es im Internet unter www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de.