Hamburg. Abendblatt-Anfrage zeigt: Antisemitische Straftaten in Hamburg haben zugenommen. Wie Schulsenator Ties Rabe zu dem Vorstoß steht.
Seit dem Überfall der Terrorgruppe Hamas auf Israel sind auch Jüdinnen und Juden in Hamburg wieder vermehrt mit Hass, Herabwürdigungen und Vorurteilen konfrontiert. Doch auch schon vor dem 7. Oktober standen jüdische Einrichtungen in der Stadt unter Polizeischutz. Das zeige: „Es gibt noch viel zu tun, und wir müssen uns immer und immer wieder gegen jede Form von Antisemitismus in Hamburg stellen“, sagt Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), zuständig für das jüdische Leben in Hamburg.
Fegebank plädiert dafür, dass der Besuch einer KZ-Gedenkstätte verpflichtend für alle Hamburger Schülerinnen und Schüler sein sollte. Sie habe Überlegungen zu einer solchen Pflicht noch vor wenigen Monaten skeptisch gesehen, aber mittlerweile ihre Haltung geändert. „Ich glaube, dass man das machen sollte.“
Fegebank: „Nur so lässt sich begreifen, wohin Antisemitismus führte“
Es sei „unabdingbar“, dass Schülerinnen und Schüler das „ganze grausame Ausmaß der menschenverachtenden Nazi-Ideologie, die zu sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden geführt hat, während der Schulzeit beim Besuch einer KZ-Gedenkstätte mit eigenen Augen nachvollziehen“, sagt Fegebank. „Nur so lässt sich begreifen, wohin Antisemitismus führte.“ Eine solche Pflicht hatte im Oktober 2019 – kurz nach dem Anschlag von Halle – schon der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete André Trepoll gefordert.
Tendenziell dafür ist mittlerweile auch Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. „Mein Eindruck ist: Der Konsens bröckelt, dass die Ablehnung des Nationalsozialismus das demokratische Grundgerüst unserer Gesellschaft bildet“, sagt der Historiker. Früher habe er eine Verpflichtung zum Besuch einer KZ-Gedenkstätte für „nicht zielführend“ gehalten, sich immer gewünscht, dass sich möglichst viele Menschen aus eigenem Antrieb mit den Verbrechen der Nazis auseinandersetzen und verstehen, dass daraus eine Orientierung für das eigene Handeln folgen könne.
Schulsenator Rabe: „Wir klären jetzt, wie wir die Besuche ausweiten können“
Aber nach den jüngsten Wahlerfolgen der AfD und seit dem Anstieg des Antisemitismus in Deutschland auch infolge des Überfalls der Hamas auf Israel, so von Wrochem, sei er „ins Grübeln gekommen“, ob es nicht doch sinnvoll ist, wenn jede Schülerin und jeder Schüler eine KZ-Gedenkstätte besucht – die Bereitstellung der dafür nötigen Gelder vorausgesetzt. In den Hamburger Lehrplänen könnte explizit der Besuch der KZ-Gedenkstätte Neuengamme verankert werden, weil dies der Ort mit der größten nationalsozialistischen Gewaltgeschichte in Hamburg sei. Ob eine solche Pflicht wirklich etwas bewirken könnte, sei aber nicht sicher.
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) sagt, er habe „bereits vor geraumer Zeit“ einen verpflichtenden Besuch vorgeschlagen. „Die Leitungen der KZ-Gedenkstätten hatten dagegen jedoch erhebliche Bedenken“, so Rabe. „Wir klären jetzt in gemeinsamen Gesprächen, wie wir die Besuche ausweiten und intensivieren sowie pädagogisch wirkungsvoller begleiten können.“
Antisemitische Straftaten in Hamburg haben zugenommen
Die Polizei in Hamburg hat im laufenden Jahr bis zum 5. Dezember 90 antisemitische Straftaten registriert, davon 37 (rund 40 Prozent) seit dem 7. Oktober, wie die Polizei auf Abendblatt-Anfrage mitteilte. Bei der Mehrzahl aller Fälle habe es sich um Volksverhetzungen gehandelt. Es ist ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr: 2022 verzeichneten die Beamten 73 antisemitische Straftaten in der Hansestadt.
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Hamburg hat erst seit 2021 einen Antisemitismusbeauftragten: Stefan Hensel. Er arbeitet ehrenamtlich. Neben den polizeilich erfassten Straftaten gebe es ein „großes Dunkelfeld“, sagt Hensel. Seit dem 7. Oktober erhalte er täglich Meldungen von jüdischen Menschen, die ihm etwa von mitunter wüsten Beleidigungen berichteten und von unerbetenen Vorträgen über Israel – beim Arzt, in Bars, Sportvereinen und auf Onlineplattformen. Hensel hilft, Anzeigen zu formulieren.