Bergedorf. Eine Bezirksfraktion möchte bei „Legalize it“ ganz vorn dabei sein, eine politische Mehrheit lehnt das zumindest nicht ab. Die Idee.
Herrschen auf Bergedorfs Straßen bald Verhältnisse wie lange Jahre lang in Amsterdam? Könnte Hamburgs östlichster Bezirk zur Kiffer-Hochburg mit vielen Coffeeshops werden? Die Bergedorfer Linken-Fraktion kann sich das gut vorstellen und bringt bei der derzeit politisch debattierten Cannabis-LegalisierungBergedorf als Modellbezirk eben dafür ins Spiel. Dazu gab es von der Bezirksversammlung keine ablehnende Haltung, doch der Linken-Antrag kommt offenbar noch etwas früh.
„Bisher ist die Hamburger Drogenpolitik gescheitert“, lautet das Urteil von Maria Westberg, sozialpolitische Sprecherin der Bergedorfer Linken, mit Blick auf die offene Drogenszene am Hauptbahnhof. Sie nennt mit der Einschätzung gleichzeitig die Begründung für den Antragstext, um auch den Drogentrend innerhalb bestimmter Jugendgruppen einzudämmen. Danach soll das Bergedorfer Bezirksamt Kontakt zur Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen aufnehmen, um das Interesse Bergedorfs als „Regionales Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten“ zu signalisieren. Entsprechend müsse eine Bewerbung vorbereitet werden.
Vorstoß: Bergedorf soll Cannabis-Modellregion werden
Das Bundesgesundheitsministerium von Minister Karl Lauterbach (SPD) besprach im März 2023 Eckpunkte eines Zwei-Säulen-Modells zur „kontrollierten Abgabe von Genusscannabis an Erwachsene“. Und das ist die vorläufige Idee: Bis zu 25 Gramm „Stoff“ sollen Über-18-Jährige straffrei besitzen dürfen. Zudem darf jeder bis zu drei Anbaupflanzen daheim besitzen. Ansonsten verläuft die Nachversorgung mit Haschisch nicht über Coffeeshops, sondern über sogenannte Cannabisclubs, die vielen strengen Auflagen unterliegen. Sie dürfen bis zu 500 Mitglieder aufnehmen und an diese maximal 50 Gramm Marihuana im Monat, als Höchstration 25 Gramm am Tag weitergeben. Allerdings: Der dazu passende Gesetzesentwurf wurde im Bundestag am 18. Oktober debattiert, vorerst aber wieder in die Fachausschüsse zurückgereicht. Zuvor gab es bereits Einwände des Bundesrats.
Die Zeit eines Umdenkens in der Drogenpolitik ist dennoch reif, meinen Bergedorfs Linke. Sie drängen trotz des noch sehr frühen Zeitpunkts in der Modell-Konfigurierung deshalb auf eine Bewerbung, um „nicht ins Hintertreffen gegenüber anderen Regionen und Städten zu geraten“ – die Liste der Modellprojekte ist sehr begrenzt, und größere Städte wie Frankfurt oder München sowie auch kleineren wie Münster oder Offenbach haben bereits Interesse signalisiert.
CDU total dagegen: Gesundheitsamt in jedweder Hinsicht überfordert
Die Antragsschreiber wissen, dass viele Fragen noch zu klären sind. Etwa inwieweit das Bergedorfer Gesundheitsamt hier mitwirken kann, was Personalkapazitäten und andere technische Fragen anbelangt. Auch Jugendschutz, die Abschätzung von gesundheitlichen Risiken wie die Zunahme von psychischen Erkrankungen und eine regelmäßige Evaluation gehören abgeklärt. Maria Westberg weiß schon jetzt: „Dies alles und die Bewerbung als Modellprojekt werden Ressourcen bei der Stadt binden.“ Letztgenannter Punkt ist auf Bundesebene übrigens einer der Streitfälle zwischen Bundesrat und Bundesregierung: Der Bundesrat möchte keinen zusätzlichen Personal- oder Finanzbedarf in den Gesundheitsämtern, um die Cannabis-Regeln zu überwachen.
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Doch es existiert auch eine breite Gegenbewegung zu „Legalize it“ . Sowohl CDU als auch AfD sind eindeutig dagegen, Bergedorf zum Versuchskaninchen von Marihuana und Co zu machen. Diese Haltung werde auch so bleiben, prognostiziert André Wegner aus den Reihen der Bergedorfer Union und stellt sich nicht nur die Frage nach dem viel zu hohen Personalvolumen und dem Kontrollaufwand des Bergedorfer Gesundheitsamts, sondern auch nach der Höhe des THC-Gehalts in den ausgegebenen Rauschprodukten. „Ich glaube, so befeuern wir lediglich den Schwarzmarkt“, meint Wegner, der vielmehr den Weg der „Entkriminalisierung“ in Sachen Cannabis gehen möchte. Sein Verständnis davon: Besitz und Konsum im Privatbereich sollen nicht mehr strafbar sein, der grundsätzliche Handel und der Verkauf hingegen schon.
Im Sozialausschuss wird die Drogen-Debatte fortgesetzt
Als „besorgniserregend“ bezeichnet Bergedorfs AfD-Chef Reinhard Krohn die Cannabis-Debatte – und steuert diesen für manchen diskutablen Denkanstoß hinterher: „Während Corona war Gesundheit alles und die Freiheit zählte weniger. Jetzt bei der Cannabis-Legalisierung ist die Freiheit alles, aber die Gesundheit zählt nichts.“ Replik der Linken: „Ihre Vergleiche sind nur noch gaga“, schimpfte Michael Mirbach, Fraktionsvorsitzender der Bergedorfer Linken.
Dennoch: Einen Teilerfolg können die Linken mit ihrem Legalisierungsvorstoß verbuchen. Das Cannabis-Thema wird im Fachausschuss für Soziales, Gesundheit und Integration weiter diskutiert. Denn mit den Stimmen der Koalitionäre aus SPD, Grünen und FDP wurde genau diese Entscheidung getroffen. „Wir können es jetzt noch nicht abschließend politisch abschätzen“, begründet die sozialdemokratische Fachsprecherin für Soziales, Gesundheit und Integration, Simone Gündüz, den vorsichtigen Umgang mit dem Antrag auch mit Blick auf die bundespolitische Bühne.