Hamburg. Jetzt im Webradio von Correctiv: Es geht um Politik, Nahverkehr, die Jugendkriminalität im Bezirk und um Obdachlosigkeit.
Eine Papierzeitung lesen sie eher selten, wohl aber Online-Nachrichten – insbesondere, wenn sie aus der Heimat stammen. Am liebsten aber wollten Bergedorfs Jugendliche jetzt selbst recherchieren und berichten. So lernten sie den „Salon 5“ im Jugendzentrum Am Hohen Stege kennen, wo sie ihre eigenen Podcasts produzieren durften, die jetzt im Webradio ausgespielt werden: „Vier Tage lang, vom 26. bis 29. Februar, werden die Beiträge abrufbar sein“, sagt Journalistin Jelka Weyland, die für die Bergedorfer Jugendredaktion von Correctiv aktiv ist und auf die Seite https://correctiv.org/projekte/salon5/podcasts/neues-aus-hamburg verweist.
Zu dem Projekt kam es mit der Stadtteilschule Kirchwerder, wo Klassenleiterin Beeke Kühnapfel mit Zwölftklässlern arbeitet, die sowohl Mediengestaltung als auch Gesellschaftskunde als Schwerpunkte gewählt haben. Die 20 Schüler besuchten die Redaktion der Bergedorfer Zeitung, teilten sich in Gruppen auf und näherten sich vier Themen: Obdachlosigkeit, öffentlicher Nahverkehr, Jugendkriminalität und Wahlmüdigkeit sollten sie wochenlang beschäftigen. Dazu mussten Quellen recherchiert und geprüft werden, Fachleute befragt und Umfragen gestartet werden. Ihre Ergebnisse sind jetzt im Webradio zu hören.
Bergedorfer Podcasts von Schülern der Stadtteilschule Kirchwerder
„Das Thema Obdachlosigkeit bedarf viel mehr Aufmerksamkeit. Es ist doch schlimm, dass in Bergedorf ein Mann gestorben ist“, meint die 17-jährige Maria, die davon erfahren hatte, dass ein 46-Jähriger am 11. Oktober 2023 verstorben war – zwei Tage, nachdem er ins Bethesda-Krankenhaus eingeliefert worden war: „Wir müssen gegen dieses Klischees ankämpfen, dass Obdachlose bloß keinen Bock auf Arbeit haben und alle suchtkrank seien.“ Schließlich stehe immer ein individuelles Leid dahinter, oft eine Spirale von Scheidung, Jobverlust und psychischer Erkrankung.
So machten sich die sechs Schüler auf den Weg zum Diakonischen Werk Hamburg, um mehr über das Modellprojekt „housing first“ zu erfahren. Seit September 2022 gilt hier der Grundsatz, den Menschen als allererstes eine Wohnung zu vermitteln und sich erst im Anschluss – nachdem sie zur Ruhe gekommen sind – den Ursachen ihrer Probleme professionell zu nähern. Es gibt also „keinen Umweg in befristeten Übergangseinrichtungen, sondern eine vollwertige Wohnung mit allen Rechten und Pflichten“, betonen die Streetworker, die bereits 19 ehemals Obdachlosen ein bisschen Heimat, also ein festes Dach über dem Kopf, vermitteln konnten – in Zusammenarbeit mit Hamburgs Wohnungswirtschaft.
Auch mit dem Bergedorfer Politiker Alexander Mohrenberg, seit 2021 Vize-Vorsitzender der SPD Hamburg, führten die Schüler ein Interview. Der 29-Jährige sagte, man müsse die Augen offenhalten und dürfe auch in einer Metropole wie Hamburg, wo gut 2000 Obdachlose leben, nicht abstumpfen. „Und jeder könne sich ehrenamtlich engagieren, im Winter Wärmedecken oder Klamotten spenden, vielleicht bei der Bergedorfer Tafel helfen“, erfuhren die beiden 17-jährigen Rebecca und Magnus. Gemeinsam mit Melina, Noah und Lennard (alle 18) haben sie nun ein Skript geschrieben, die Interviews geschnitten und einen Podcast zusammengestellt, der mindestens eine halbe Stunde dauert.
Thema Jugendkriminalität: Mit Drogen der Realität entfliehen
Kürzer ist wohl der Podcast zum Thema Jugendkriminalität, denn ein Interview mit André Vollmer, Bergedorfs Jugendbeauftragten der Polizei, kam nicht zustande. „Aber wir haben ja die Hamburger Zahlen der Polizei und können sehen, dass die Gewalt zu Corona-Zeiten seltener gemeldet wurde. Klar, so etwas wird ja meist aus den Schulen gemeldet“, sagt Simon (17). Er weiß ebenso wie Mitschülerin Joelle, dass „in Bergedorf viel passiert, also Prügeleien, Diebstahl und Drogenhandel“. Aber Drogenkonsum heiße ja, dass man der Realität entfliehen wolle, und das habe oft familiäre Gründe, meint die 19-Jährige. Beide sind sich einig: „Wer Mist gebaut hat, sollte nicht stumpf in einer Gefängniszelle bestraft werden, sondern braucht Sozialbegleitung und Therapie.“
Weil sie genervt sind von den Busverbindungen in den Vier- und Marschlanden, knöpften sich Lea und Leila das Thema Nahverkehr vor, denn „wenn ich von Neuengamme zu meinem Freund nach Altengamme will, muss ich sogar umsteigen. Da radele ich im Sommer doch lieber“, sagt Lea (19). Eine Umfrage unter Schülern der Stadtteilschule ergab, „dass die meisten unzufrieden sind, weil der Bus verspätet kommt und sie den Anschluss nicht mehr kriegen“, fasst Leila (17) zusammen und wundert sich: „Manche Gelenkbusse sind komplett leer, aber bei Schulschluss quetschen wir uns alle in die kleinen Busse.“ Noch aber hat sich die Gruppe nicht an die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH) gewandt, dabei gibt es doch eine spezielle Bitte: „Man könnte doch in der App anzeigen, wenn der Bus zu früh kommt. Dann wartet man nicht unnötig, wenn er schon weg ist.“
Wie reagiert Politik auf Nichtwähler?
Auch das vierte Thema versprüht eine gewisse Brisanz, denn 55,8 Prozent sind mit der aktuellen Politik unzufrieden. Das zumindest ergab eine anonyme Online-Umfrage unter insgesamt 50 Menschen zwischen 17 und 53 Jahren. „Wir haben Freunde und Familien gefragt, außerdem die Eltern der E-Jugend, die ich im Handball trainiere“, sagt Jasmin. Die 19-Jährige fragte etwa, wer von ihnen wählen geht (88,4 Prozent) und was sie von wahlmüden Bürgern halten: „Meist hieß es, das sei dumm. Aber man müsse auch Nichtwähler akzeptieren und tolerieren.“
Ähnlich sehen es die drei Bergedorfer Fraktionen, die den Schülern Antworten schickten. „Es brauche mehr Engagement, um die Politik zu beeinflussen und mitzuentscheiden“, hatte Julian Emrich (CDU) geschrieben und betont, dass die Demokratie ein hohes Gut sei. Ebenso sehen dies Bergedorfs Linke und die SPD, aber Politik sei nun mal sehr vielschichtig, da gebe es „keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen“, so Bergedorfs SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Kramer.
Wahlbeteiligung der 18- bis 24-jährigen Hamburger lag bei 73,5 Prozent
Auf jeden Fall wünscht sich Lea (17) mehr jüngere Gesichter im Deutschen Bundestag, um sich besser vertreten zu fühlen. Das könne die junge Generation auch erwarten: Mit Blick auf die Zahlen des Statistischen Amtes betrug die Wahlbeteiligung der 18- bis 24‑Jährigen bei der Bundestagswahl 2021 in Hamburg immerhin 73,5 Prozent. Obwohl sie damit gegenüber der Bundestagswahl 2017 deutlich stieg (plus 11,4 Prozentpunkte), ist dies der niedrigste Wert im Vergleich der Altersgruppen. Die höchste Wahlbeteiligung gab es mit 80,0 Prozent bei den 45- bis 59‑Jährigen. Der hamburgweite Durchschnitt lag bei 77,8 Prozent.
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Das alles kann sich ändern, wenn es in die nächste Runde geht: Am 9. Juni sind die Europa- und die Hamburger Bezirkswahlen. „Die großen Parteien haben mich noch nicht überzeugt. Aber auf keinen Fall wird es die AfD, dann lieber eine kleine Tierschutzpartei“, überlegt Jasmin. Darüber lässt sich trefflich diskutieren – zum Beispiel, wenn man sich gemeinsam den Podcast anhört.