Hamburg. Laura Schütt (28) leidet an chronischen Erkrankungen. Für die jüngste Diagnose gibt es einen Ausweg, doch die Kasse zahlt nicht.
Die erste von vier Operationen hat Laura Schütt im Herbst hinter sich gebracht, noch im Januar wird sie sich wieder unters Messer legen. Dabei lassen die Schmerzen des ersten Eingriffs jetzt erst nach. Doch die 28 Jahre alte Bergedorferin, die an der Soltaustraße aufgewachsen ist, will weitermachen. Weitermachen im Kampf gegen das Lipödem. Eine Krankheit, bei der sich krankhaft Fett an Beinen und Armen ansammelt. Die sie manchmal kaum die Treppe hochkommen lässt. Und die ihr ständig Schmerzen bereitet. Es ist nicht der erste heftige Eintrag in der langen Krankenakte der jungen Frau. Doch es ist das erste Mal, dass ein chirurgischer Eingriff das Problem vielleicht lösen könnte.
Schütts Krankengeschichte beginnt vor ihrem zwölften Geburtstag. Plötzlich leidet sie unter unstillbarem Durst. „Ich habe unfassbar viel getrunken und gleichzeitig ganz viel abgenommen“, erinnert sie sich. Als endlich ihr Blutzucker gemessen wird, landet sie direkt im Krankenhaus. Diagnose: Diabetes Typ 1. Zuckerkrankheit, die erbliche Form. Vier Wochen bleibt Schütt in der Klinik. Lernt, mit der Erkrankung umzugehen. Sticht sich jeden Tag in die Fingerkuppen, um ihren Blutzucker zu messen. Spritzt sich fünfmal am Tag Insulin, das Hormon, das ihr Körper nicht mehr selbst produzieren kann.
Lipödem: Junge Frau nimmt Kampf gegen Schmerzen und Erschöpfung auf
Mittlerweile trägt Laura Schütt eine Insulinpumpe ständig direkt am Körper. Sie hat gelernt, mit der Krankheit zu leben. Trotzdem schwebt die Gefahr, entweder an Über- oder Unterzuckerung zu leiden, ständig über ihr. Regelmäßig kontrolliert ein Diabetologe ihren Zustand. Dabei fallen 2017 erhöhte Leberwerte auf. Die Ärzte diagnostizieren nach zwei Biopsien eine Entzündung. Eine konkrete Diagnose gibt es bis heute nicht. Bei der 28-Jährigen führt die neue Erkrankung zu starker Erschöpfung und Müdigkeit.
2019 kommt dann die Diagnose Hashimoto hinzu und verstärkt die Probleme noch. Die chronische Entzündung der Schilddrüse liegt bei den Schütts in der Familie, wie Lauras Mutter Cornelia erzählt. Die Störung der Hormonproduktion führt außerdem zu Stimmungsschwankungen. Trotzdem: Laura Schütt lässt sich nicht unterkriegen und ist ständig auf den Beinen. Sie arbeitet als Ergotherapeutin und ist ihrer Freizeit ständig draußen unterwegs. „Ich liebe Skifahren, Wandern und Bergsteigen“, betont sie. Auch ihr Hund, ein Australian Shepherd, hält sie ständig auf Trab. „Der Sport war auch immer ein Ventil für mich“, sagt Schütt.
Die Fettverteilungsstörung nimmt der 28-Jährigen auch noch ihren geliebten Sport
Auch deswegen bringt das Lipödem, das sich bei Laura Schütt vor drei Jahren erstmals zeigt, das Fass zum Überlaufen. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Fettverteilungsstörung. Die Fettzellen wuchern an bestimmten Körperstellen, völlig unabhängig von Lebenswandel oder Ernährung. „Bei mir sind Oberschenkel, Po und Arme betroffen“, sagt Schütt. Das Gewebe an den betroffenen Stellen fühlt sich knotig an und schmerzt. „Es ist wie Stacheldraht, der sich immer enger schnürt“, beschreibt die 28-Jährige das Gefühl. Schmerzmittel kann Laura Schütt wegen ihrer angegriffenen Leber nur sehr eingeschränkt nehmen.
Mindestens genau so schlimm ist, dass sie kaum noch Sport treiben kann. „Nix geht mehr. Der letzte Skiurlaub war wirklich traurig“, sagt sie. Immerhin hat die Bergedorferin eine Chefin, die viel Rücksicht auf ihre Situation nimmt. „Wenn ich die Treppe in die Räume im ersten Stock nicht hochkomme, dann arbeite ich eben unten“, schildert die 28-Jährige.
Behandelt wird das Lipödem durch Lymphdrainage und Krankengymnastik. Um das Problem dauerhaft zu lösen, muss das Fett abgesaugt werden. Doch die Krankenkasse zahlt die Behandlung in Schütts Fall nicht. Die Kosten werden erst übernommen, wenn die Krankheit die Schwerestufe 3 erreicht hat. „Ich bin noch bei Stufe 2“, so die 28-Jährige. Ein weiteres Risiko: Liegt der Body-Mass-Index (BMI) bei über 35, zahlen die Kassen die OP generell nicht mehr. In der Stufe 3 des Lipödems ist ein so hoher BMI allein durch die Krankheit aber keine Seltenheit mehr. Ihrer Krankenkasse macht Schütt keinen Vorwurf, die Übernahme der Operationskosten ist einheitlich geregelt.
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Lauras Bruder ruft Spendenkampagne ins Leben
27.500 Euro würden die Operationen kosten. Viel Geld für die Familie. Um seiner Schwester die Freude an der Bewegung zurückzugeben, nimmt schließlich Lauras Bruder Timo die Sache in die Hand. Über die Plattform Gofundme.com stampft er eine Spendenkampagne aus dem Boden. Er appelliert mit bewegenden Worten an die Menschen: „Die psychische Belastung durch ihre Einschränkungen ist mittlerweile so hoch, sodass Laura kaum noch als meine lebensfrohe, kämpferische, sportliche, humorvolle Schwester zu erkennen ist. Sie leidet!“
Fast 14.000 Euro sind auf Gofundme.com bereits zusammengekommen. Die ersten Eingriffe konnten so schon finanziert werden. Ende Dezember verkündet Bruder Timo auf Gofundme.com, wo er weiter Geld sammelt: „Es liegt noch ein langer Weg vor ihr, aber der Anfang in eine glückliche Zukunft ist gemacht.“ Noch im Januar will Schütt sich erneut unters Messer legen. „Die Operationen sind schmerzhaft“, sagt sie. Doch die Hoffnung ist groß, dass der Aufwand, die Kosten und die Beschwerden es wert ist.
„Bei 80 bis 90 Prozent der Patienten kommt das Lipödem nach der Operation nicht wieder“, sagt die 28-Jährige. Ob die Fettabsaugung die knotigen Polster dauerhaft verschwinden lässt, ist umstritten. Mehrere Studien, in denen Patientinnen Jahre nach den Eingriffen Fragebögen zu ihrem Befinden zugeschickt wurden, deuten zumindest auf eine anhaltende deutliche Verbesserung hin. Laura Schütt würde sich immerhin ein Stück ihres Lebens zurückholen – und den nächsten Skiurlaub wieder genießen können.