Lohbrügge. Marta Press ist stolz auf die Auszeichnung durch die Kulturstaatsministerin. Warum die Gründerin nicht von ihrer Arbeit leben kann.
Vor genau zehn Jahren gründete Jana Reich mit ihrem Mann Andreas den kleinen Verlag Marta Press, der in Lohbrügge Sach- und Kinderbücher verlegt, auch Belletristik und Graphic Novels, also Comics mit Text. Die Bandbreite ist enorm: Da geht es etwa um den deutschen Antifeminismus oder um Schizophrenie, andere Autoren schreiben über Gebärmutterhalskrebs, über Subkulturen, Sexarbeit oder über einen schwulen Neonazi.
„Unser inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf feministischen Diskursen und gesellschaftskritischen Themen“, durfte sie jüngst auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth erklären, die Marta-Press in Berlin mit dem Deutschen Verlagspreis 2023 auszeichnete – gemeinsam mit 63 weiteren, unabhängigen Verlagen.
Buchverlag: Deutscher Verlagspreis für Verlegerin aus Lohbrügge
„Das ist toll, mit dem Preisgeld von 24.000 Euro kann ich jetzt fünf neue Kinderbücher illustrieren“, freut sich die 54-Jährige, die bislang „ungefähr 120 Bücher“ auf den Markt brachte – und damit nicht reich wurde.
51 Prozent verschlucke meist der Großhandel: „Wenn ein Hardcover 16 Euro kostet, bleiben also 8 Euro, wobei der Druck ja noch 5 Euro kostet. Für Verlag, Autor und Illustratoren bleibt also jeweils bloß ein Euro“, rechnet Jana Reich vor, die alle Softcover daher bei Books on Demand drucken lässt und weiß: „Kleine Verleger haben alle noch nebenbei einen Brot-Job.“
Eigentlich sei sie Eisenbahnerin. „Und dann habe ich Verkehrswesen studiert“, sagt die Frau, die sich längst umorientierte und nun in Teilzeit an der Hamburger Uni-Bibliothek arbeitet – also ganz in der Nähe von Büchern. Wobei sie irgendwann selbst eine Sammlung herausgeben wollte: Gut 30 Autorinnen waren ihrem Aufruf gefolgt, über ihre psychisch kranke Mutter zu schreiben.Kurzerhand gründete sie ihren eigenen Verlag und veröffentlichte die oft düster endenden Geschichten auch mal unter einem Pseudonym.
Von Neonazis aus der Bergedorfer Nachbarschaft
Ein anderes Thema stand buchstäblich vor ihrer Haustür. „Als ich das feministische Online-Portal Frauennews gegründet hatte, bekam ich Anfang der 90er-Jahre viel unschöne Post von Bergedorfer Neonazis. Sie drohten mir, dass sie wissen, wo ich wohne. An der Bergedorfer Straße war ein Nachbar in der Deutschen Volksunion. Und in Kirchwerder und Allermöhe wohnten Skinheads bei mir im Mehrfamilienhaus“, erinnert sie, die sich stark mit dem Thema „Frauen im Rechtsextremismus“ beschäftigte. „Damals habe ich bundesweit Vorträge gehalten bei Bildungsträgern, Vereinen und Gewerkschaften. Da ging es auch um die Zwangsprostitution in Konzentrationslagern.“
Zwischendurch aber musste sich Jana Reich mit ihren beiden Töchtern auch privatem Elend stellen: Im Jahr 2015, sie war gerade 46 Jahre alt, starb ihr Mann an Krebs. Drei Jahre später lernte sie Andreas Imhof aus Havighorst kennen, der sie seither begleitet, den Vertrieb organisiert und auf das Layout vieler Bücher achtet.
So auch für die vielen Kinderbücher, die mit einer Druckauflage von 1000 Exemplaren starten – so „das bundesweit erste Kinderbuch zum Thema Corona“. Andere gehen „noch immer durch die Decke“, freut sich die 54-Jährige und denkt etwa an „Soll ich es sagen?“, wobei es sich um gute und schlechte Geheimnisse dreht. Andere Titel erzählen von lesbischen Großmüttern oder von Intersexualität (und die Angst vor Mobbing bei der Einschulung). Frisch erschienen ist „Heute ist wichtig“, wobei – sehr aktuell – die Rede ist von einem Kinderleben mit Krieg, Flucht und Integration in der Fremde.
„Wir achten stets sehr auf Diversität, da sitzt schon einmal eine Trauma-Psychologin im Rollstuhl“, erzählt Jana Reich, die ebenso das moderne Thema foodsharing aufgegriffen hat, sogar in leichter Sprache: „Dafür haben wir stets eine Extra-Lektorin.“
2020 gründet Jana Reich den zweiten Verlag
Die Auswahl an Themen ist groß, denn „ich muss nicht betteln und bekomme sicher drei Skripte pro Woche zugeschickt - wobei vieles leider auch einfach schlecht geschrieben ist“, meint die Verlegerin, deren Bekanntheit sich flugs über den Social-Media-Kanal Instagram verbreitet.
Zusammen mit Andreas Imhof gründete sie 2020 sogar noch einen zweiten Verlag: bei Alma Marta stehen die Geisteswissenschaften im Vordergrund, mit Schwerpunkt auf Geschlechterforschung und Queer Studies. Das erste Buch widmete sich der Integration und Interkulturalität. „Wir verlegen, weit günstiger als Großverlage, Dissertationen. Denn jede Doktorarbeit muss mindestens 100 Exemplare haben und fünf Jahre lang bestellbar sein. Dafür aber können angehende Wissenschaftler selten 9000 Euro bezahlen“, sagt Jana Reich.
Im Januar erscheint das neue Verlagsprogramm 2024, das auch die jährlichen zehn bis zwölf Neuerscheinungen aufführt. Diesmal wird es „Was sieht Paul?“ sein – ein Kinderbuch über einen zehnjährigen Autisten. Bei „Arons Umzug“ geht es um eine gewalttätige Mutter: Aron zieht mit seinem Vater aus.
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Aber auch selbst recherchiert und schreibt die 54-Jährige: „Mich interessieren jüdische Biografien. Gerade beschäftigt mich die 1936 in der Hamburger Isestraße geborene Künstlerin Eva Hesse.“ Sie musste vor den Nazis fliehen, erst nach Holland, dann nach New York, wo ihre Mutter Selbstmord beging. Auch Eva Hesse wurde nicht alt, sie starb mit 34 Jahren an einem Hirntumor. Die Biografie soll 2024 erscheinen.
Ob Borderline, Stalking-Opfer, Brustkrebs oder Asexualität – die Themen der Jana Reich sind nicht gerade aufbauend. Umso erfreulicher, dass die Verlegerin ein fröhliches Wesen hat und einen Blick in die Zukunft: „Im nächsten Jahr möchte ich zum ersten Mal auf die Leipziger Buchmesse, das wird bestimmt spannend“, sagt die Lohbrüggerin.