Hamburg. Die Zeit der Lieferengpässe ist endgültig vorbei. Einige Fahrradhändler in Bergedorf müssen jetzt dringend Platz schaffen.
Die vergangenen Jahre haben die Fahrradbranche gehörig durchgeschüttelt. Erst gab es einen Nachfrage-Boom während der Corona-Pandemie, dann folgten globale Lieferengpässe und schier endlose Wartezeiten. Doch seitdem die Pandemie vorbei ist, arbeiten die Fabriken in Fernost wieder. Dafür sitzt die Geldbörse der Kunden angesichts von Inflation und hohen Energiepreisen nicht mehr locker. Wie erleben Bergedorfs Fahrradhändler diese wilde Zeit? Und ist jetzt wirklich der beste Zeitpunkt, um ein Rad zu kaufen?
Bei Bergedorfs größtem Händler Fahrrad Marcks XXL ist die Phase der Lieferengpässe mit Blick auf die voll gestellten 1080 Quadratmeter Geschäftsfläche eindeutig vorbei. Abteilungsleiter Roland Winter bestätigt den optischen Eindruck: „Unser Laden ist voll. Unsere Lager sind voll, und wir müssen gucken, dass sie wieder leer werden.“ Um das Überangebot abzubauen, setzt der Betrieb jetzt auch auf Rabatte. Winter: „Im Online-Shop sind derzeit viele Preise reduziert, wir gehen das im Laden natürlich mit.“ Derzeit kostet zum Beispiel das E-Bike Kalkhoff Image 5 Move nur noch 2999 statt 4199 Euro. Das vollgefederte Mountainbike Ghost Kato FS ist von 1699 auf 999 Euro heruntergesetzt.
Einzelhandel Bergedorf: Fahrradkäufer können jetzt Schnäppchen machen
„Die Nachfrage während der Corona-Zeit war gigantisch“, erinnert sich Geschäftsführerin Tina Hansmann. Viele Menschen hätten in der Zeit des Lockdowns das Fahrrad für sich entdeckt. Doch die Händler konnten die Kauflust der Kunden kaum befriedigen. „Die Fabriken waren geschlossen“, sagt Winter. Auch die Blockade des Suezkanals durch den Megafrachter Ever Given im Frühjahr 2021 habe spürbare Folgen gehabt. „Damals hat man sehr viele Räder bestellt, weil sowieso nur 40 bis 50 Prozent geliefert wurden“, so der Abteilungsleiter. Ab dem Sommer 2022 seien dann plötzlich viele alte Bestellungen auf einmal abgearbeitet worden.
Inhaberin Hansmann weiß, dass viele Fahrradhändler durch das Überangebot und die dann fallenden Preise in Schwierigkeiten gekommen sind: „Es hat eine Marktbereinigung stattgefunden. Da ist es schon von Vorteil, wenn man wie wir bald 78 Jahre lang im Geschäft ist.“ Bei Fahrrad Marcks XXL kann man dagegen auch jetzt nicht über zu wenig Nachfrage klagen. Hansmann ist überzeugt, dass die Pandemie das Thema Fahrrad langfristig in den Köpfen der Menschen verankert hat. Momentan sei durch das hohe Angebot in der Tat ein guter Zeitpunkt für Käufer, um zuzuschlagen. Auch weil durch das Ende des Booms die Produktzyklen in der Branche langsamer geworden sind, Modelle nicht mehr jedes Jahr aktualisiert werden.
Im „Bike Store“ von Stephan Raßmann (Holstenklinker Straße 5) hat der Corona-Boom deutlich weniger Wellen geschlagen. Seit 30 Jahren betreibt Raßmann das kleine Fachgeschäft und setzt schon seit Langem auf kurzfristige Lieferungen von Fahrrädern und Bauteilen nach dem Just-in-Time-Prinzip. „Ich habe deswegen überhaupt kein Lager“, erklärt der Händler. An der Goldgräberstimmung während der Pandemie konnte er sich daher nicht beteiligen – übernahm sich aber auch nicht mit übertriebenen Bestellungen.
„Viele Händler haben viel bestellt und gedacht, sie werden wegen der hohen Preise dann alle Ferrari fahren“, sagt Raßmann. Die Folgen des Ukrainekriegs hätten dann jedoch die Kauflust vieler Kunden abgewürgt. „Und 2023 kamen dann die Lieferanten und sagten: ,Du hast doch 2021 bei mir Räder bestellt.‘“ In der Folge hätte sich eine Spirale des Preisdumpings eingestellt. „Viele Kollegen haben dann Räder verkauft – aber nichts daran verdient“, erklärt Raßmann.
Engpässe bei Ersatzteilen für Reparaturen sind weitgehend überstanden
Der Bergedorfer Händler ist froh, dass er sich aus dem „Schweinezyklus“ herausgehalten hat. Deswegen können seine Kunden gerade auch nicht auf besondere Schnäppchen hoffen. Dafür aber auf Verlässlichkeit. Raßmann betont: „Ich bin auch in zehn Jahren noch da und kann dein Rad reparieren.“
Erfreulich für Raßmann und das Team von Fahrrad Marcks XXL: Die Lieferengpässe für Ersatzteile bei Reparaturen sind weitestgehend überstanden. Während der Corona-Pandemie wurde das Warten auf neue Reifen oder Bremszüge teilweise zum zermürbenden Geduldsspiel. „Bei Spezialteilen für Reparaturen sind die Wartezeiten immer noch etwas länger. Aber die Standardsachen sind alle da“, betont Roland Winter.
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Das bestätigt auch Julian Meier von „Das Fahrrad Meier“ (Ladenbeker Furtweg 12) in Lohbrügge. Er hat während der Pandemie den Verkauf von Neufahrrädern komplett eingestellt. „Diese Zeit war eine Katastrophe, man hat kaum Räder bekommen.“ Die Konkurrenz durch den Online-Handel habe ihm ebenfalls zu schaffen gemacht, weshalb Meier sein Geschäftsmodell umstellte. Heute kann er vom Reparaturservice gut leben. Dazu verkauft er Gebrauchträder. Ein lohnendes Geschäft, denn „neue Räder werden ständig gestohlen“.
Der Trend geht eindeutig weiter hin zum E-Bike
Auch beim Blick auf die Fahrradtrends der kommenden Saison sind sich das Team von Bergedorfs XXL-Fahrradladen und Händler Stephan Raßmann einig: Die Zukunft ist elektrisch. „Das Bio-Bike ist sogar in einem so kleinen Laden wie meinem eine aussterbende Gattung. Es macht nur noch 10 Prozent der Stückverkäufe aus“, so Raßmann. Ganz so extrem ist es in Tina Hansmanns Geschäft noch nicht. Doch auch sie berichtet von einem E-Bike-Anteil von bis zu 60 Prozent. Der Trend werde zum einen durch Leasing-Angebote befeuert. Zum anderen würde oft eine ganze Familie nachziehen, wenn sich der erste ein E-Bike kauft. Ansonsten sei es schließlich mühsam, bei gemeinsamen Touren mit dem motorisierten Trendsetter mitzuhalten.