Hamburg. Die jährliche Erkältungs- und Grippesaison hat begonnen. Obwohl Vorräte angelegt wurden, sind einige Arzneimittel bereits wieder knapp.
Die Temperaturen sinken, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Büros drängeln sich schniefende und hustende Menschen – und damit beginnt auch die jährliche Grippe- und Erkältungssaison. Vor einem Jahr rollten nicht nur Influenza, Corona und RS-Viren über Deutschland, ein dramatischer Mangel an Arzneimitteln verschärfte die Lage zusätzlich. Verzweifelte Eltern klapperten Apotheken auf der Suche nach fiebersenkenden Säften ab. Wie beurteilen Bergedorfs Apotheker die Situation in diesem Jahr? Drohen erneute Engpässe?
Für Iris Kruth von der Apotheke am Binnenfeldredder hängt viel davon ab, wie viele Menschen in diesem Jahr krank werden. Im Vergleich zur vergangenen dunklen Jahreszeit hat die Apothekerin zurzeit noch ausreichende Vorräte an Schmerzmitteln wie Paracetamol. Kruth betont aber auch: „Wenn die Welle von Erkrankungen wieder so stark wird wie im vergangenen Jahr, wird es schnell knapp.“
Bergedorfs Apotheker melden erneut Engpässe bei wichtigen Medikamenten
Marijan Kreth, Betreiber der beiden Plusminus-Apotheken am Sachsentor, berichtet ebenfalls, dass momentan genug Mittel zur Behandlung von Erkältungssymptomen wie zum Beispiel Aspirin vorrätig sind. Aufgrund der Erfahrungen des vergangenen Jahres hat er viele Medikamente bestellt. Beliebig große Vorräte kann er jedoch nicht aufbauen. „Unsere Mittel und unsere Lagerkapazitäten sind natürlich begrenzt“, sagt er.
Auch Mohsen Bolouri von der Linden-Apotheke (Bergedorfer Markt 2) sagt mit Blick auf Erkältungskrankheiten: „Wir sind gut aufgestellt.“ Er will nicht wie im vergangenen Jahr in die Situation kommen, mit Ärzten nach Alternativpräparaten suchen zu müssen. Bolouri stellt aber auch klar: „Die Lage hat sich nicht wirklich gebessert, wir sind in diesem Jahr nur besser vorbereitet.“ Noch immer fehlen wichtige Medikamente.
Sorgen macht den Apothekern wie im vergangenen Jahr die Versorgung mit Antibiotika. „Bei Antibiotika in Tablettenform für Erwachsene sieht es zurzeit noch ganz gut aus“, sagt Ruba Yanes, die in der Apotheke am Binnenfeldredder arbeitet. „Wir schauen die Bestände täglich durch. Antibiotikasäfte sind schon wieder knapp“, ergänzt ihre Chefin Kruth. Die flüssigen Medikamente lassen sich gerade bei Schluckbeschwerden leichter verabreichen und sind deswegen besonders für Kinder gedacht. Apotheker Bolouri unterstreicht, dass die Antibiotikasäfte schwer zu bekommen sind, genau wie entsprechende Tropfen zur Behandlung von bakteriellen Infektionen der Augen.
An anderen Stellen klemmt es ebenfalls. Bolouri betont: „Blutdrucksenkende Mittel sind knapp.“ Auch manche Psychopharmaka seien schwer lieferbar – wie zum Beispiel das Antidepressivum Fluoxetin, das in der Populärkultur unter dem amerikanischen Markennamen Prozac bekannt wurde. „Fluoxetin ist in manchen Fällen alternativlos“, erklärt Bolouri. Dann müsse die Apotheke teure Importe aufwändig von der Krankenkasse genehmigen lassen.
Medikamentenmangel droht zum langfristigen Problem zu werden
Wird der Medikamentenmangel zum Dauerproblem? Apothekerin Kruth sieht momentan wenig Grund zum Optimismus: „Ich befürchte, dass die Situation in den nächsten Jahren nicht besser wird.“ Ein großes Problem aus ihrer Sicht seien die Rabattverträge, die Krankenkassen mit Herstellern von Medikamenten aushandeln. „Wir dürfen auf Rezept nur Medikamente von Herstellern abgeben, mit denen die entsprechende Krankenkasse einen Vertrag hat.“ Die Verträge werden circa alle zwei Jahre neu abgeschlossen.
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In der Praxis bedeutet dies laut Iris Kruth, dass Apotheken nicht einfach Vorräte von Medikamenten eines beliebigen Herstellers anlegen können, wenn dieser gerade größere Mengen besorgen kann. Macht eine Krankenkasse einen Deal mit einem anderen Produzenten – oder sind die Produkte des Rabattpartners plötzlich wieder lieferbar – zahlt die Kasse die ursprüngliche gekauften Mittel nicht.
Die Apotheker bleiben dann unter Umständen auf ihren Vorräten sitzen. „Dadurch ist eine planbare Vorratshaltung zur sicheren Versorgung unserer Patienten in den meisten Fällen nicht möglich“, ärgert sich Kruth.
Marijan Kreth von den Pluspunkt-Apotheken sieht ebenfalls schwarz: „Warum sollte es besser werden? Es herrscht Krieg, und es gibt zu wenig Rohstoffe. Die Probleme werden sicher nicht nur in diesem Winter so sein.“ Durch vorausschauende Planung hoffen die Bergedorfer Apotheker dennoch, Engpässe wie im vergangenen Jahr vermeiden zu können. „Die Lage war furchtbar. Zum Glück hatten wir Vorräte und nur ein einziges Mal im Notdienst kein Paracetamol, als ein Kunde mit seinem kranken Kind da war“, erinnert sich Iris Kruth.