Hamburg. Zahl an Infektionen ist laut Ärztin ungewöhnlich. Engpässe bei fast 1000 Mitteln. Präsident der Apothekenkammer mit düsterer Prognose.
Hamburg wird nach einer kurzen Verschnaufpause Anfang des Jahres schon wieder von einer Krankheitswelle überrollt. „Es ist absolut verrückt. Nach den RS-Viren und der sehr frühen Grippesaison erleben wir gerade eine neue Überraschung. Wir haben eine unglaubliche Häufung von Scharlach im ganzen Stadtgebiet“, sagt Dr. Claudia Haupt, Vorsitzende des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte in Hamburg.
„Meine Kolleginnen und Kollegen und ich haben jeden Tag viele Fälle von hohem Fieber und Halsschmerzen. Das ist in dieser Häufung sehr ungewöhnlich. Üblicherweise gibt es nur ein paarmal im Jahr lokale Ausbrüche“, sagt die Kinderärztin, die eine Praxis in Blankenese betreibt.
Scharlach-Welle überrollt Hamburg – Medikamente knapp
Bei Scharlach sei Penicillin V das Mittel der ersten Wahl. „Das ist als Saft jetzt auch nur noch sehr begrenzt verfügbar. Als Alternative nutzen wir Cephalosporine, wir müssen da sehr flexibel sein“, sagt Claudia Haupt. Wenn ein Kind das Vollbild eines Scharlachs habe, sei das leicht zu erkennen.
„Die Kinder gucken traurig, haben einen feinfleckigen Ausschlag, ein weißes Munddreieck, einen scharlachroten Hals mit geschwollenen Mandeln und eine Himbeerzunge. Es gibt aber knapp 100 Serotypen der beta-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A, und nur wenige Typen lösen das Vollbild aus, die überwiegende Mehrzahl verursacht „nur“ eine Streptokokken-Angina.“
Medikament Infectobicillin kaum lieferbar
Antibiotika seien nur dann notwendig, wenn ein Kind symptomatisch erkrankt ist, also mit Fieber, Halsschmerzen und einem Streptokokkennachweis. Zuletzt litten ihren Angaben zufolge auch ungewöhnlich viele Kinder an Mittelohrentzündungen. „Wenn sie antibiotisch behandelt werden müssen, ist Amoxicillin das Mittel der ersten Wahl. Das ist aber nur noch in kleinen Mengen verfügbar. Unsere Mitarbeiterinnen klappern jeden Tag telefonisch die umliegenden Apotheken ab, wenn wir ein Rezept ausstellen. Es ist wirklich sehr beschwerlich.“
Kai-Peter Siemsen, Präsident der Hamburger Apothekerkammer, bestätigt diese Knappheit. Das Medikament Infectobicillin sei derzeit praktisch nicht verfügbar und auf absehbare Zeit auch nicht lieferbar.
„Arzneimittelversorgung bricht zusammen“
Grund für die Lieferengpässe ist aus seiner Sicht die Sparpolitik der Krankenkassen. Siemsen erklärt: „Verschreibungspflichtige Medikamente werden über Fest- oder Rabattverträge über die Krankenkassen bezogen. Doch diese zahlen in Deutschland nur so wenig dazu, dass die Hersteller ihre Arzneien lieber in andere Länder liefern. Deutschland bekommt nur noch die Reste, wenn überhaupt.“
Er sagt sogar: „Die Arzneimittelversorgung in Deutschland bricht gerade zusammen.“ Daran würde auch das geplante Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kaum etwas ändern. Das Gesetz entspanne bestenfalls die Lage bei den Kindermedikamenten. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, die Preisregeln bei Arzneien für Kinder lockern.
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Für einige Präparate sollen die Krankenkassen dann das bis zu 1,5-fache des Festbetrags übernehmen. „Für den Großteil der Medikamente, die jetzt schon schwer erhältlich sind, wird sich nichts oder nur wenig ändern“, sagt Siemsen. Der Apothekerkammer-Präsident spricht von 700 bis 900 Medikamenten, die derzeit kaum oder gar nicht erhältlich sind. Darunter seien auch viele gängige und häufig verschriebene Medikamente wie Antibiotika, Husten- und und Krebsmedikamente. Jedes zweite ärztlich verschriebene Mittel sei derzeit schwer oder nicht zu beschaffen.
Unterdessen habe sich die Verfügbarkeit von Husten- und Fiebersäften verbessert. „Das liegt nicht daran, dass wir wieder mehr beziehen können, sondern einzig und allein daran, dass die Erkältungskrankheiten derzeit rückläufig sind und die Nachfrage gesunken ist.“