Curslack. Curslacker Unternehmen schließt zum Jahresende. Geschäftsführung sieht keine wirtschaftliche Perspektive. Wie es dazu kam.
Der größte Sprossenproduzent Deutschlands, die in Curslack ansässige Firma Deiters & Florin, steht vor dem Aus. Zum Jahresende stellt der knapp 40 Mitarbeiter starke Betrieb die Produktion ein. Sie habe keine andere Wahl, sagt Anja Deiters, geschäftsführende Gesellschafterin der vor 37 Jahren gegründeten Firma. Sie betont, dass es sich nicht um eine Insolvenz handelt, sondern um „eine geregelte Abwicklung, eine saubere Lösung“, die jetzt noch möglich sei.
„Die aktuellen Marktbedingungen lassen eine solide wirtschaftliche Fortführung des Unternehmens nicht weiter zu“, sagt die 54-Jährige. „Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine und mit steigender Inflation hat das Unternehmen mit erheblichen Absatzeinbrüchen zu kämpfen.“ Die Preise für Energie sowie den Einkauf von Arbeitsmaterialien und Lebensmittelrohware seien explodiert. „Die globalen Umstände der vergangenen dreieinhalb Jahre wirken sich unmittelbar auch auf die Lieferketten in Europa aus. Die Lage wird instabil bleiben. Auch in den kommenden Jahren ist mit starken Schwankungen zu rechnen“, sagt die gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau.
Der größte Sprossenproduzent Deutschlands in Curslack schließt
Erschwerend komme hinzu, dass der Standort Auf der Böge in Curslack für die stetig wachsenden Anforderungen in der Lebensmittelherstellung „auf Sicht nicht mehr geeignet ist“, weiß Anja Deiters. Investitionen in erforderlicher Höhe seien „weder machbar noch seriös planbar“. Langfristige Verträge werden von den Kunden eingefordert, die Planungssicherheit brauchen, sagt Anja Deiters. „Doch die können wir bei unserer Größe, als klassischer Mittelständler, nicht leisten.“
Ein Fortbestehen des Unternehmens würde eine Planung für die nächsten zehn Jahre erfordern, erklärt Anja Deiters. Investitionen im hohen einstelligen Millionenbereich wären erforderlich – „Geld, das nicht da ist.“ Doch in seinem jetzigen Zustand trage sich das Unternehmen nicht mehr.
Fast alle Mitarbeiter wollen bis zum Schluss bleiben
Die Geschäftsführerin ist froh darüber, dass fast alle Mitarbeiter, seit sie vor einigen Monaten von der geplanten Schließung erfahren haben, „bisher an Bord geblieben sind und signalisiert haben, bis zum Jahresende zu bleiben“. Denn in den kommenden Wochen soll die Produktion uneingeschränkt weiterlaufen. „Wir produzieren dann auch Ware, die von Kunden 2024 benötigt wird“, sagt Anja Deiters. Viele Mitarbeiter sind seit weit mehr als 15 Jahren dabei, einer sogar seit mehr als drei Jahrzehnten. Einige Mitarbeiter haben bereits neue Arbeitsstellen gefunden, weiß die 54-Jährige, „andere suchen noch, aber ich bin zuversichtlich, denn die Nachfrage nach Fachkräften ist ja sehr groß“.
Noch während der Lockdowns lief die Sprossenproduktion in voller Auslastung, wurden 60 Mitarbeiter beschäftigt. „Die Kosten waren allerdings extrem gestiegen“, sagt Anja Deiters. Für Rohware wie Saatgut und Bambus aus Fernost musste im Einkauf der dreifache Preis gezahlt werden. „Trotz Rekordumsätzen haben wir deshalb weniger Gewinn erzielt als vor Beginn der Pandemie.“
Von der EHEC-Krise wirtschaftlich nie erholt
Als die Corona-Situation sich entspannte und die Aufträge wieder etwas weniger wurden, fuhr die Firmenleitung die Fremdarbeit zurück, wurden Ruheständler nicht ersetzt. Parallel hätten sich Mitarbeiter „beruflich neu orientiert“. Dann gab es im Januar 2022 einen Großbrand auf dem Firmengelände, der die Produktion beeinträchtigte. Wenige Monate darauf verlor Deiters & Florin einen Großkunden, eine Supermarktkette, der sich nach mehr als zehn Jahren einen günstigeren Sprossenproduzenten suchte.
Doch schon lange vor Corona machte eine andere Epidemie dem Sprossenproduzenten noch mehr zu schaffen: EHEC, Darmkeime, die im schlimmsten Falle zum Tode führen können. Die Behörden hatten 2011 Bockshornkleesamen, die aus Ägypten nach Deutschland importiert wurden, als Quelle des Erregers ausfindig gemacht. In diesem Zusammenhang war ein Sprossenbetrieb in Bienenbüttel in den Blickpunkt geraten. Der Ruf der Branche war ruiniert. Auch Deiters & Florin brachen die Umsätze weg. EHEC bescherte dem Unternehmen eine existenzbedrohende Krise. „Bis heute haben wir uns von dieser Krise wirtschaftlich nicht erholt“, sagt Anja Deiters.
Mehr als 90 Artikel für Einzelhandel, Industrie und Gastronomie
Deiters & Florin stellt aus Saatgut fertiges Sprossengemüse her. Die Firma beliefert von Curslack aus mit mehr als 90 verschiedenen Artikeln den Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland und dem angrenzenden Ausland, die Gastronomie und die weiterverarbeitende Industrie. Bis zu 14 verschiedene Sprossenarten werden in Curslack frisch produziert, darunter Mungobohnen-, Brokkoli- und Radieschensprossen. Im Konservenbereich werden neben Sprossen (etwa asiatische Mungo- oder Sojabohnen) auch asiatische Gemüsemischungen und Hülsenfrüchte hergestellt. Im Portfolio befinden sich zahlreiche Markenartikel und Handelsmarken.
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Zwei weitere große Sprossenproduzenten gibt es in den Niederlanden, weiß Anja Deiters. „Die machen ausschließlich Frischware.“ Asia-Gemüse in Konserven, wie es bei Deiters & Florian auch produziert wird, stamme ansonsten aus Fernost.
Maschinen sollen verkauft werden
Die Sprossenfabrik auf einer Fläche von drei Hektar gehört den Familien Deiters und Florin. „Für die Produktion von Lebensmitteln nach heutigen Anforderungen ist sie nicht geeignet.“ Zu viele verschiedene Gebäude würden den Mitarbeitern lange Wege abverlangen. „Deshalb sind die Produktionsabläufe nicht optimal.“ Was aus den Gebäuden wird, ist unklar. Die Maschinen sollen verkauft werden.
Die Firmengründer sind Ulrich Florin (81), der Anja Deiters als stiller Teilhaber beratend zur Seite steht, und Norbert Deiters, der Vater von Anja Deiters. Er starb im März 2021 im Alter von 73 Jahren. Anja Deiters, Mutter einer Tochter (27), weiß noch nicht, wie es beruflich mit ihr weitergeht. Sie hat insgesamt drei Ausbildungen vorzuweisen, ist auch gelernte Erzieherin und Tischlerin.