Curslack. Die Anspannung ist Norbert Deiters anzumerken. Seit Montag läuft bei Deutschlands größtem Sprossen-Produzenten Deiters & Florin mit Sitz in Curslack nichts mehr wie vorher.

„Als Sonntag um 18 Uhr die Nachricht vom EHEC-Verdacht beim Sprossen-Betrieb in Bienenbüttel bei Lüneburg kam, standen bei uns die Telefone nicht mehr still“, berichtet der Geschäftsführer (63).

Hunderte E-Mails haben er und seine Tochter Anja Deiters (41), Prokuristin des Betriebs, seither an alle Kunden verschickt, darunter praktisch alle Supermarktketten, Biomärkte und der Hamburger Großmarkt. Inhalt: Alle Messergebnisse des Geesthachter Labors Dr. Kramer, das seit dem Aufkommen der EHEC-Erkrankungen vor gut zwei Wochen sämtliche Sprossen und Keime aus Curslack gezielt auf diesen Erreger und wie bisher auf alle anderen Bakterien der E-coli-Gruppe untersucht. Gefunden haben die Geesthachter Experten nichts, ebenso wenig die des Hamburger Hygiene-Instituts, deren Ergebnisse der Senat gestern veröffentlichte.

Das Drama hat den Betrieb trotzdem mit voller Wucht getroffen: „Im Bereich der Frischewaren ist der Absatz komplett auf Null gefallen. Von unseren täglich vier bis fünf Tonnen Ware landen jetzt 30 Prozent auf dem Müll. Der Rest wird in unseren beiden anderen Produktionslinien zu Konserven oder Tiefkühlwaren verarbeitet. Auch dort ist der Umsatz zwar zurückgegangen. Aber diese Ware ist wenigstens länger haltbar“, sagt Norbert Deiters.

Er hofft jetzt auf schnellstmögliche Klärung der Ursache für die Ausbreitung des EHEC-Erregers: „Vorerst können wir die Einbrüche im Absatz durch Freizeit für unsere 50 Mitarbeiter abfedern. Aber die Arbeitszeitkonten werden nicht über Wochen ausreichen.“

EHEC-Probleme, Deiters
EHEC-Probleme, Deiters © Ulf-Peter Busse | BGZ / Ulf-Peter Busse

Bisher ist es nicht gelungen, den Erreger in Proben aus dem unter Verdacht stehenden niedersächsischen Salatsprossenbetrieb nachzuweisen. Von 40 Proben seien 23 negativ, teilte das niedersächsische Landwirtschaftministerium gestern mit. Bei den übrigen Proben liefen weitere Untersuchungen. Untersucht worden waren unter anderem Saaten und das Wasser des Gartenbaubetriebs im Landkreis Uelzen sowie Arbeitstische und Belüftungssysteme. Vermutlich seien „intensive analytische Anstrengungen“ notwendig, um den Erreger zweifelsfrei nachweisen zu können, hieß es. Die Suche sei schwierig, weil seit dem Ausbruch der Epidemie schon mehrere Wochen vergangen sind.

Durch die Lieferwege waren die niedersächsischen Behörden am Wochenende auf die Spur der Sprossen als möglichen EHEC-Verursacher gekommen. Demnach lassen sich die ersten sechs größeren Ausbrüche des Erregers auf Lieferungen des Sprossenherstellers zurückführen.

Heute soll das Untersuchungsergebnis einer älteren Sprossenpackung vorliegen, die in Hamburg aufgetaucht war. Die 100-Gramm-Packung der Mischung „Milde Sprossen“ stammt aus dem Bio-Betrieb in Bienenbüttel und trägt das Ablaufdatum 23.4. Ein 42-jähriger Hamburger hatte die Packung in seinem Kühlschrank vergessen. Er war selbst – möglicherweise nach dem Verzehr von anderem Sprossengemüse – an EHEC erkrankt.

Derweil versuchen Norbert Deiters und sein Team den Schaden für das Curslacker Unternehmen und die ganze Branche der Sprossen-Produzenten so gut es irgend geht einzudämmen: Neben unserer Zeitung empfingen sie gestern unter anderem ein Fernsehteam des NDR auf dem Betriebsgelände am Curslacker Deich/Auf der Böge.

Der Absatz ist eingebrochen

Eigentlich hat Norbert Deiters alles richtig gemacht. Sofort nach dem Beginn der EHEC-Infektionswelle Mitte Mai ließ er die Überwachung seiner Sprossen-Produktion gezielt auf den Erreger ausrichten. Die Ergebnisse des Labors Dr. Kramer aus Geesthacht sind eindeutig: „Negativ“ steht auf allen Testberichten. Ebenso auf denen des Hamburger Hygiene-Instituts.

Trotzdem ist der Absatz seit gestern eingebrochen. Im Frische-Bereich sogar komplett. „Die Lage ist ausgesprochen prekär“, sagt Norbert Deiters, der gerade 25-jähriges Betriebsjubiläum feiert, seit er 1986 die Firma Kirschner übernahm. „Mit Sprossen zum Erfolg“ ist der Titel der frisch gedruckten Jubiläumsschrift, die den Ausbau vom 13 Mitarbeiter kleinen Betrieb am Curslacker Deich zum Marktführer der Sprossenproduzenten in Deutschland beschreibt.

Ein Vierteljahrhundert, das heute – kaum einen Tag, nachdem der EHEC-Verdacht auf die Sprossen fiel – wie eine lange vergangene Zeit wirkt. „Wir haben das menschenmögliche Maß an Sicherheit für die Verbraucher geschaffen. Ich bin überzeugt, dass nichts Belastetes unser Haus verlassen hat“, sagt Deiters.

Sicher macht den Sprossen-Fachmann neben den regelmäßigen Proben sein geschlossener Produktionskreislauf. So werden die Bambus-, Bohnen- oder Soja-Sprossen der Deiters-Marken „Jazai“ oder „MaLoo“ in geschlossenen Kulturen nur mit Licht, Wärme sowie Wasser und ohne Zusatz von Nährlösungen binnen einer Woche zur Erntereife gezogen. Dann folgt ein umfassender Waschvorgang, bevor die Frische-Ware den Betrieb Richtung Supermarkt, Bio-Fachhandel oder über die Großmärkte zu Restaurants verlässt. Werden Sprossen im Betrieb zu Konserven- oder Tiefkühlware verarbeitet, folgt eine intensive Wärme-Behandlung, die laut Deiters eventuelle Keime abtötet.

Hinzu kommen strenge Hygiene-Vorschriften für die Mitarbeiter. So sind grundsätzlich Handschuhe und eine Kopfbedeckung für Haar und Ohren zu tragen, Wunden wasserundurchlässig zu verbinden. Das Essen ist in den Produktionshallen grundsätzlich verboten und der Zutritt Betriebsfremden untersagt.

Nur das Saatgut selbst wird eingekauft – seit 25 Jahren bei festen nationalen oder internationalen Partnern. Eine Praxis, die Norbert Deiters im Hinblick auf EHEC nicht als Schwachpunkt ausmachen mag: „Dann müsste die Saat plötzlich mit Gülle gedüngt worden sein. Das ist ausgesprochen unwahrscheinlich – und wäre in jedem Fall bei den Proben vor der Auslieferung unserer Ware aufgefallen.“