Hamburg. Im Interview spricht die Travestiekünstlerin über die LGBTQ-Community und über Sex und Liebe in Zeiten sozialer Medien.
Mit ihrer prägnanten, wasserstoffblonden Perücke und dem blauen Lidschatten hat sie einen hohen Wiederkennungswert: Spätestens seit sie in den 90er-Jahren die Vox-Sendung „Wa(h)re Liebe“ moderierte, kennt ganz Deutschland die Travestiekünstlerin Lilo Wanders, die vom Schauspieler Ernie Reinhardt (68) verkörpert wird. Nun ist Lilo Wanders am Donnerstag, 16. November, bei den „Altersbildern“ der Körber-Stiftungim KörberhausBergedorf zu Gast. Mit bz-Redakteurin Christina Rückert sprach die Mitbegründerin des Schmidt-Theaters vorab über das Image als Sex-Expertin, über eine Neuauflage von „Wa(h)re Liebe“ und über das Alter.
Frau Wanders, heutzutage reden alle über sexuelle Vielfalt – weit mehr als in den 90ern, als Sie mit Ihrer Sendung „Wa(h)re Liebe“ ein Millionenpublikum erreichten. Sehen Sie sich beim Thema LGBTQ+ (Anmerkung der Redaktion: Abkürzung unter anderem für schwule, lesbische, queere und Transmenschen) als eine Art Vordenkerin?
Lilo Wanders: (zögert) Ja ... Obwohl ich sagen muss, als ich jünger war, habe ich vieles eher instinktiv gemacht und auch mit einer gewissen Naivität gepaart. Ich war mir gar nicht bewusst, was ich für eine Rolle gespielt habe, nicht nur für die LGBTQ-Community, sondern für die gesamte Gesellschaft. Das ist mir erst aufgegangen, als meine Sendung schon lange nicht mehr lief. Nach meinen Bühnenvorstellungen – ich bin ja bis Corona mit über 100 Vorstellungen im Jahr unterwegs gewesen – habe ich oft Menschen getroffen, die mir mit Liebe erzählt haben, wie sehr ich ihnen mit der Sendung geholfen habe.
Heute kann sich die LGBTQ+-Community viel mehr in der Öffentlichkeit zeigen. Andere Menschen wiederum kommen da gar nicht mit, auch mit den Begrifflichkeiten, und reagieren abweisend. Wie empfinden Sie die Stimmung?
Vielleicht ist es eine Binse. Aber durch die sozialen Medien kommen die bösen Nachrichten immer sofort zu uns, die guten kommen seltener vor. So ist es einfach. Im Kontakt mit meiner Nachbarschaft kriege ich aber mit, wie wohlwollend und wie weit die Menschen eigentlich sind. Das sind die Stillen. Ich werde zum Beispiel im Februar bei den Landfrauen einen Vortrag halten über die ganze queere Thematik. Und ich werde mich auch im Februar in einer Grundschule in einer siebten Klasse den Fragen der Kinder stellen. Insofern sehe ich gar nicht so schwarz. Man kann auf die kleinen Zellen der Gesellschaft eigentlich bauen.
Trotzdem könnte eine Sendung wie die „Wa(h)re Liebe“, die eine enorme Reichweite hatte, vielleicht viel bewirken – zumal sie nicht so lärmend daherkam wie die sozialen Medien heute, sondern sehr freundlich war. Hätte sie nicht eine Neuauflage verdient?
Darüber ist wirklich schon nachgedacht worden – und dann kam Corona. Man müsste sie heute auch ganz anders machen. Eben auch wegen der sozialen Medien. Man ist heute mit einem Klick auf den pornösen Seiten. Genau das ist das Problem, dass die jungen Leute Zugriff haben darauf und glauben, das ist das Leben und das ist die Liebe. Und dem ist eben nicht so. Ich bin mal vor einiger Zeit mit zwei jungen Frauen ins Gespräch gekommen. Eine erzählte, sie habe mit einer männlichen Jungfrau zu tun gehabt, 22 Jahre alt. Und der habe dann losgelegt, als ob irgendeine Kamera auf sie gerichtet wäre. Insofern, bei einer Neuauflage müsste man tatsächlich diese ganzen pornösen Themen rausnehmen und sehr viel mehr über Gefühle sprechen. Das wäre sinnig.
Es gibt ja inzwischen auch ähnliche Formate wie etwa „Paula kommt“.
Ja, das ist eine tolle Frau! Wir haben in diesem Jahr ein gemeinsames Interview für ein Spiegel-Sonderheft gemacht und wir waren komplett der gleichen Meinung. Wenn ich mehr Zeit hätte, würden wir vielleicht zusammen was auf die Beine stellen.
Die Themen Sex und Liebe sind für viele Menschen bis ins hohe Alter relevant. Oder ist man trotzdem irgendwann gefühlt zu alt für das alles?
Mit 60 habe ich ein Programm gemacht, es hieß „Endlich 60: gaga, geil & gierig“. Das war ein Mutmacherprogramm! Inzwischen spiele ich es nicht mehr, das käme mir komisch vor, weil ich auf die 70 zugehe. Man muss es alles mit Humor nehmen. Irgendwann erreichen einen die Zipperlein, von Arthrose bis ich weißnichtwohin.
Also, sexy ist das Alter nicht, aber man kann trotzdem noch Spaß haben?
Unbedingt. Zumal man sich in dem Alter frei machen kann von all den von außen aufgedrückten Schönheitsidealen. Die spielen irgendwann keine Rolle mehr. Stattdessen geht es um Komplizenschaft.
Werden Sie eigentlich noch als Sex-Expertin wahrgenommen und auf der Straße angesprochen?
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Ja, vorzugsweise nach den Vorstellungen. Ich habe irgendwie so eine Eigenschaft, dass mir innerhalb von Minuten, von Sekunden, ganze Lebensgeschichten erzählt werden. Was mich ehrt, aber manchmal bin ich auch fertig mit den Nerven. Wenn ich privat unterwegs bin und man mich erkennt, kann mir das auch passieren. Neulich gerade im Supermarkt. Eine ältere Dame ist total ausgerastet und ich dachte erst, ich müsste sie kennen – ich hab Long Covid und ein bisschen Gedächtnisprobleme. Ich fragte also, Entschuldigung, woher kennen wir uns? Und sie: Nein, wir kennen uns gar nicht, aber ich verehre Sie so!
Aktuell sind Sie viel als Schauspielerin unterwegs, derzeit in Bremen. Fragen Sie sich jetzt mit 68 eigentlich manchmal, wo Sie wohl in zehn Jahren sein werden?
Es ist noch ein bisschen anders. Erstmal kann einem keiner, wenn man jung ist, vermitteln, was es bedeutet, tatsächlich alt zu werden oder älter zu sein. Die Erfahrung muss man selber machen. Genauso wie um die 50 rum. Was da passiert, ist ja quasi auch eine zweite Pubertät. Und das zweite ist: Ich denke jeden Tag an den Tod. Und finde es auch gar nicht so schockierend. Das Leben ist endlich. Jetzt ist es unausweichlich, dass man darauf zumarschiert.
Und was sind das dann für Empfindungen? Man kann es rational sehen, man kann Angst haben, man kann es begrüßen – es gibt viele Möglichkeiten.
Sie haben alles aufgezählt, was ich jetzt auch gesagt hätte. So ist es tatsächlich. Eine Mischung aus all dem. Aber keine Panik. Dem Tod ist noch keiner entkommen. Also muss man versuchen, mit Zuversicht und Freude irgendwie weiterzumachen.
„Altersbilder“ mit Lilo Wanders am Donnerstag, 16. November, 19 Uhr im Körberhaus, Holzhude 1. Moderator ist Andreas Bormann. Kostenfreie Anmeldung unter koerber-stiftung.de/veranstaltungen/altersbilder-mit-lilo-wanders. Die Körber-Stiftung lädt die Gäste beim Nachempfang auf ein Freigetränk ein.