Neuengamme. Malte Jahn aus Neuengamme startete als Tierpfleger bei Hagenbeck. Durch ein Ereignis nahm sein Lebensweg eine drastische Wendung.
Er ritt auf dem Rücken eines Elefanten durch Hamburg, brachte einem Nasenbären Kunststücke bei, dressierte Raubkatzen und war der letzte Mensch, der Kult-Walross „Antje“ in Hagenbecks Tierpark lebend gesehen und gestreichelt hat: Das Leben von Malte Jahn liest sich wie eine Abenteuergeschichte. Schon die ersten Kapitel im Leben des 40-Jährigen bieten so viel Stoff, dass er für einen dicken Wälzer reichen würde.
Doch vor mehr als zehn Jahren hat der Vierländer ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen und seinen beruflichen Lebensweg radikal geändert: Seitdem hat er sich als Kräuter-Malte auf verschiedenen Wochenmärkten der Stadt einen Namen gemacht. Ob auf dem Isemarkt, in Volksdorf oder am Goldbekufer: Am Stand von Malte Jahn und seinen Kräuterburschen gibt es kaum ein Vorbeikommen. „Der Duft der Kräuter ist so intensiv, dass viele Leute instinktiv stehenbleiben“, weiß der Neuengammer.
Früher mit Raubkatzen in der Manege, heute mit Kräuterburschen am Wochenmarktstand
Seine erste berufliche Laufbahn als Tierpfleger im Zoo hatte mit einem Dummejungenstreich begonnen: Gemeinsam mit Freunden war er nachts über den Zaun von Hagenbecks Tierpark in Stellingen geklettert – und schließlich erwischt worden. Zur Strafe wurden die Jungs zur Arbeit im Zoo verdonnert. Dazu gehörte irgendwann auch die Aufgabe als „Aufsetzer“ beim Elefanten-Bahnhof, wo sieben Elefanten im Kreis liefen und kleine Kinder auf ihrem Rücken reiten durften, berichtet Malte Jahn.
Insgesamt gefiel ihm die „Strafarbeit“ aber eigentlich ganz gut, weshalb er sich auf eine Lehrstelle als Tierpfleger bewarb und schließlich eine Zusage erhielt. Die dreijährige Ausbildung sei eine aufregende und lehrreiche Zeit gewesen, erinnert sich der Vierländer. Der Tierpark-Inspektor sei eine absolute Respektsperson gewesen, unter dem Zucht und Ordnung geherrscht habe, erinnert sich Malte Jahn. Und neben dem Kontakt zu vielen Tieren gab es vor allem auch viel harte körperliche Arbeit zu verrichten.
Vierländer war der letzte Mensch, der Kult-Walross „Antje“ lebendig sah
In seiner Zeit bei Hagenbeck durfte Malte Jahn auch eine ganz besonderes Tier kennenlernen: Walross „Antje“, das in den 1980er- und 90er-Jahren Publikumsliebling des Zoos und auch Wappentier des NDR war. An einem Abend im Juli 2003 hatte der Vierländer Wache im Zoo und zu seinen Aufgaben gehörte dabei auch, die letzten Tiere aus den Freigehegen reinzuholen. Schon seit einigen Tagen hatte „Antje“ aber ihr Becken nicht mehr verlassen und auch ihre Fischsuppe verschmäht. Die Befürchtung, dass der Lebensabend des Tieres gekommen war, habe da bereits nahegelegen, erinnert sich Jahn.
Von Malte Jahn aber nahm „Antje“ dann doch ihre Suppe an und ließ sich streicheln. Am nächsten Tag hatte der Tierpfleger frei, als ihn die Nachricht vom Tod des Walross‘ erreichte. „Ich war der letzte, der Antje lebend gesehen hat“, erzählt Malte Jahn, der auch Kängurus die Zähne putzte oder Nasenbär „Chico“ dressierte. So reifte der Wunsch heran, zu den Dompteuren des Zirkus‘ zu gehören, der damals noch an den Tierpark angegliedert war.
Statt Blumen überbrachte Hagenbeck zum Geburtstag einen Gruß mit 13 Elefanten
Doch das Ziel schien in weiter Ferne, gehörte es doch viel mehr zu seinen Aufgaben Tausende Schubkarren zu schieben und den Ponystall auszumisten. Und dabei gab es keine Gnade: Wenn bei der Kontrolle eines Dompteurs auch nur ein Strohhalm oder eine Feder in einem der Wassereimer der Ponys lag, wurden alle rigoros umgekippt und mussten neu aufgefüllt werden. Bei den zahlreichen Vögeln, die unter dem Dach des Stalles nisteten, sei das kaum zu vermeiden gewesen, erinnert sich Malte Jahn.
Also wurde er erfinderisch und deckte die Eimer mit Pappen ab, die er erst kurz vor dem Kontrollgang schnell entfernte und vor den strengen Augen der Dompteure versteckte. So sprach sich im Tierpark rum, dass er plietsch und tüchtig war. Und so wurde er eines Tages tatsächlich ausgewählt, auf einem der 13 Elefanten zu reiten, die von Hagenbeck statt Blumen zu einem Geburtstag entsandt wurden. „Da wusste man, dass ich auch als Dompteur und nicht nur als Stallbursche zu gebrauchen war“, sagt Malte Jahn.
Tiger greifen Dompteur an: Schlimmer Unfall beendet die Zirkuszeit bei Hagenbeck
Und so wurde er zu Europas jüngstem Dompteur. Die Rolle sei ihm damals wohl auch ein wenig zu Kopf gestiegen, gibt Malte Jahn zu: „Ich war schon verwöhnt und auch eingebildet.“ Unter dem Künstlernamen „Jan Maat“ präsentierte er Kunststücke mit einem Waschbär oder sieben Tigern in der Manege. Die Raubkatzen waren es aber auch, die seine Zeit im Zirkus jäh beendeten: Während einer Dinner-Show stolperte ein Kollege und fiel hin – „das Schlimmste, was einem Dompteur passieren kann“, weiß Malte Jahn.
Denn selbst bei ganz zahmen Tieren komme dann der Urinstinkt durch, und sie erkennen in dem Dompteur, der vorher noch ihr Anführer war, plötzlich nur noch Beute, erklärt Malte Jahn. Drei Tiger griffen den Kollegen von Malte Jahn an, wodurch er lebensgefährlich verletzt wurde. Er überlebte nach mehreren Monaten im Koma und Amputation der linken Hand. Für den Zirkus aber bedeutete der Unfall das Ende: Die Insolvenz folgte kurze Zeit später.
Wochenmarkt statt Manege: Alte Familientradition wird fortgeführt
Als es mit dem Zirkus bergab ging, da hatte seine Mutter einen Tipp parat: „Fahr doch zum Wochenmarkt, das hat unsere Familie schon immer so gemacht.“ Opa Gerhard habe ihm in seiner Kindheit spielerisch nicht nur die Liebe zu Tieren, sondern auch zu Pflanzen und der Natur vermittelt, erzählt Malte Jahn. „Das ist mir aber erst viel später bewusst geworden“, sagt der Vierländer, der nach seiner Zirkuskarriere tatsächlich die alte Familientradition wieder aufgriff. Er tauschte seine Dompteursuniform gegen eine Schürze, kaufte sich einen kleinen Sprinter und einen Anhänger, um Kartoffeln, Eier und Kräuter auf dem Wochenmarkt zu verkaufen.
Damals habe er sogar vor dem Marktgelände übernachtet, um am nächsten Morgen einen Platz zu bekommen, erinnert sich der 40-Jährige. Heute ist er stolzer Besitzer von vier Wochenmarktständen mit jeweils zwölf Metern Länge. Den Kräutern eine große Bühne zu geben, war der Schlüssel zum Erfolg: Currykraut, Zitronenthymian, Basilikum, Lavendel oder Kerbel – mehr als 60 verschiedene Sorten gibt es bei Malte und seinen Kräuterburschen schnittfrisch im Bund. Neben Küchenkräutern auch feine Pflücksalate, Chillis, Zitrone, Knoblauch oder grüne Avocados. „Was man eben so als Basics zum Kochen braucht“, erklärt Malte Jahn.
Viele Händler geben auf: Kritik am „bürokratischen Wahnsinn“
Der Vierländer hält gern einen Schnack mit seinen Kundinnen und Kunden und berät, welche Kräuter zu Gerichten mit Fisch, Fleisch oder Gemüse passen. Besonders viel Spaß mache es ihm, wenn junge Leute an seinen Stand kommen, die interessiert daran sind, gut und gesund zu kochen, und selbst ihm noch etwas Neues über Kräuter erzählen können, betont der 40-Jährige. Der Wochenmarkt locke noch immer zahlreiche Kunden an, weiß Malte Jahn, der dennoch nicht ohne Sorgen in die Zukunft blickt.
Der „bürokratische Wahnsinn“ und EU-Gesetze bewegten viele Händler dazu, ihren Betrieb nicht mehr fortzuführen. Nach einem anstrengenden Markttag jeden Abend noch mindestens eine Stunde Buchhaltung zu erledigen, das könnten viele nicht leisten, kritisiert Malte Jahn, der daher die Politik in der Pflicht sieht, die Hürden für Wochenmarkthändler zu verringern. Mit Erschrecken nehme er wahr, dass immer mehr Händler um ihn herum aufhören oder keine Nachfolger finden.
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„Es ist ein Kulturerbe, das erhalten bleiben muss“, betont Malte Jahn. Um sich für die Zukunft aufzustellen, hat der Vierländer seinen Betrieb im vergangenen Jahr mit dem von Joachim Bader aus Spadenland zusammengelegt. So könnten Lagerkosten gespart und gemeinsam für den Erhalt der Kulturlandschaft Vier- und Marschlande eingestanden werden. „Das war die beste Entscheidung“, ist Malte Jahn überzeugt.