Hamburg. Neubaupläne sind bereits auf Banner an den Gebäuden zu sehen. Bergedorfer Experte schlägt Alarm – Denkmalschutzamt winkt ab.
Das Schicksal der letzten Bergedorfer Arbeiterwohnhäuser scheint besiegelt. Gut 140 Jahre nach ihrem Bau hängt ein großflächiges Banner an den kleinen, geduckt wirkenden Altbauten am Achterdwars: „Neubau Büro- / Verwaltungsgebäude – Bezugstermin ca. 2024“ steht hier. „Ich fürchte, mit dem Abriss geht es hier kurzfristig in einer Nacht-und-Nebel-Aktion los“, sagt Dr. Geerd Dahms, vereidigter Denkmalsachverständiger aus Bergedorf.
Während der Bauherr, die Noeck Verwaltungsgesellschaft und Consulting mbH Co. KG, auf Nachfragen unserer Zeitung nicht reagiert hat, sieht das Denkmalschutzamt keinen Grund, den auf dem Plakat bereits sichtbaren vierstöckigen Neubau zu verhindern. „Aus unserer Sicht handelt es sich bei den Gebäuden nicht um Baudenkmale“, schreibt das Amt am Montag. „Die Häuser sind bereits sehr stark verändert und die bauzeitliche Substanz, wie etwa Fenster und Türen, ist im Äußeren nicht mehr ausreichend erhalten.“
Zeugen der Arbeiterkultur aus Bergedorfs Industrialisierung
Eine Sichtweise, die Geerd Dahms nicht nachvollziehen kann: „Mit diesen Gebäuden würden die letzten baulichen Zeugen des historischen Bergedorfer Fabrikarbeiterviertels Abriss und Zerstörung zum Opfer fallen“, verweist er auf eigene Forschungen zur hiesigen Industrialisierung. Seit den 1870er-Jahren wuchsen Bergedorfs Fabriken wie das Eisenwerk, die Glas- und die Stuhlrohrfabriken zu Unternehmen mit jeweils Hunderten von Arbeitern. Sie lebten mit ihren Familien in einfachen Häusern, die sich rund um die heutige Straße Achterdwars bis an den Schleusengraben und weiter nach Bergedorf-Süd sowie über den heutigen Sitz der Hauni erstreckten.
Diese beengten Wohnverhältnisse prägten die Kultur der Arbeiterschaft mit ihren Gewerkschaften und dem besonderen Zusammenhalt auch gegen die Fabrikherren, die sich 1919 in Bergedorfs Wirtschaftlicher Vereinigung, dem heutigen WSB, zusammenschlossen. „Die letzten erhaltenen Gebäude haben also aus geschichtlichen wie auch aus städtebaulichen Gründen einen Denkmalwert“, stellt Dahms klar. „Sie sind in die Hamburger Denkmalliste einzutragen.“
Denkmalschutzamt: Ensemble nicht mehr erhaltenswert
Dem Amt reicht dafür aber die erhaltene Substanz nicht aus. Das gelte auch für den Städtebau: „Das historische Umfeld der Häuser hat sich an dieser Stelle komplett verändert“, wird unter anderem auf das direkt gegenüber bereits vor Jahrzehnten als Neubau entstandene Männerwohnheim verwiesen. Fazit: „Das Denkmalschutzamt hat daher keine Handhabe.“
Tatsächlich haben auch Bergedorfs Städtebauer seit über 100 Jahren eher gejubelt, wenn sie wieder einen Teil des einst ausufernden Arbeiterquartiers beseitigt hatten und die Bewohner etwa beim Bau der Vierlandenstraße 1929 in das damals entstehende Neubauquartier auf dem Gojenberg umziehen konnten. Auch dem Bau der Eisenbahn nach Geesthacht und ihrer Anbindung an den Bergedorfer Bahnhof wurden viele Häuser geopfert – nicht immer mit Umsiedlungsprogrammen.
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Dass dieses heute fast komplette Verschwinden des historischen Quartiers nun ausgerechnet vom Denkmalschutzamt als Begründung für die Abrissgenehmigung auch der letzten Zeugen angeführt wird, will Experte Dahms nicht hinnehmen: „Der heutige Präsident des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS, des internationalen Entscheidungsgremiums zum Denkmalschutz, und Chef des Stiftungsrats der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Prof. Dr. Jörg Haspel, hatte diese Gebäude bereits in den 1980er-Jahren begutachtet und deren Erhaltung gefordert. Das Denkmalschutzamt Hamburg wäre somit gut beraten, diese Gebäude als Ensemble zügig in die Denkmalschutzliste einzutragen.“