Bergedorf. Tipp-Ex, Tusche und die Einfinger-Technik: Professor aus Bergedorf erinnert sich an die Zeit mit dem mechanischen Schreibgerät.
Die Erinnerungen sind verblast. Obwohl er doch immerhin fünf Jahre lang darauf schrieb. Eher tippte, wie Prof. Dr. Paul Scherer zu seinem Schreibstil auf der Tastatur konkretisiert: „Ich war Zeit meines Lebens ein Ein-Finger-Tipper. Aber ich habe immer alles selbst geschrieben“, betont der promovierte Biochemiker, der auf eine Liste von 376 Publikationen zurückblicken kann. Nicht alle entstanden auf diesem mechanischen Klassiker, einer Continental Schreibmaschine – dennoch besitzt die etwa 100 Jahre alte Maschine in der Lebenswelt des Forschers eine gewisse Bedeutung.
Das Gerät stammt aus den traditionellen Wanderer-Werken, die in Siegmar-Schönau bei Chemnitz residierten, bevor der Hersteller von neben Büromaschinen auch Fahrrädern, Autos und Werkzeugmaschinen im Jahre 2010 in die Insolvenz ging. Die Continental von Paul Scherer hat indes all dies in tadellosem Zustand und Optik überdauert. Und wenn die Seitenbreite auf einem eingespannten Blatt Papier erreicht ist, gibt es immer noch dieses schöne Klinggeräusch: „Wie in dem Pink-Floyd-Song ,Money’ – wobei das passend zum Titel Geld auch eine Registrierkasse sein könnte“, vergleicht Paul Scherer die Tonalitäten.
Bergedorf: Klassische Schreibmaschine steht nun in der Redaktion
In Gebrauch hatte der Wissenschaftler, der seit 1991 in Bergedorf lebt und nach etlichen universitären Stationen bis zum Emeritus 2015 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) am Lohbrügger Campus im Fachbereich Biotechnologie lehrte und forschte, die Continental gerade nach seiner gelungenen Promotion in den Jahren 1978 bis 1983. Da benötigte er sie ganz besonders: „Man muss möglichst viele Publikationen zu spannenden Themen haben, die andere interessieren“, sagt Paul Scherer. Das Arbeitsgerät kaufte er in der unweit München gelegenen bayrischen Kreisstadt Freising. An den Preis für das gebrauchte Tippgerät kann sich der heute 73-Jährige nicht mehr erinnern.
Wohl aber an einen der ersten Aufsätze für das „European journal of biochemistry“, den er damals als promovierter Neu-Forscher an der Universität Jülich verfasste. 10 bis 20 Seiten waren es im Durchschnitt, die Scherer damals aufschrieb. Wie lange das dauerte? So lang wie es eben dauerte. Das konnte schon über Tage an Körper und Geist zerren. Denn Tippfehler konnten nicht wie heute üblich spielerisch per Löschtaste auf der PC-Tastatur korrigiert werden. Wenn ein Finger mal nicht saß, dann brauchte es Tipp-Ex auf dem Manuskript.
Was am meisten Zeit für Paul Scherer kostete
Oder das Einpflegen von anderen wissenschaftlichen Arbeiten – von wegen Online-Bibliotheken. Scherer verlor Zeit, musste Wartereien und längere Anreisen zu bestimmten Archiven und Bibliotheken unternehmen. Oder das beinahe schon künstlerische Implementieren von Abbildungen, Messkurven und Grafiken, „die ich mit Tusche selbst gezeichnet habe“, wie sich der 73-jährige erinnert. In einem Plastikkästchen hat der Naturwissenschaftler seine Symbolschablonen aufbewahrt, die er damals händisch verwendete.
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Aber Scherer hatte auch irgendwie einen Faible für das mechanische Schreiben. Auch als in den 1980er-Jahren langsam PCs aufkamen: „Da habe ich trotzdem meine Briefe lieber auf der Schreibmaschine geschrieben.“ Denn im Grunde war nicht das Schreiben auf der Maschine zeitlich intensiv, sondern wie erwähnt alles andere und „dazu die Auseinandersetzung mit dem vom Journalverlag arrangierten Fachkollegen als Reviewer“, ergänzt Paul Scherer.
40 Jahre im Schrank – bis der Biochemiker eine Zeitungsnotiz entdeckte
Im Jahre 1983 wechselte der gebürtige Rheinländer (Stolberg bei Aachen) dann zeitgleich zu seiner ersten wirklichen Professur an der Fachhochschule Weihenstephan (Fachbereich Mikrobiologie und Biotechnologie) auf einen Apple-Computer mit angeschlossener Elektro-Schreibmaschine. Die Continental wanderte in den Schrank – und blieb dort 40 Jahre lang, machte auch ein paar Umzüge mit.
Scherer wiederum rührte den Schreibklassiker nicht mehr an. Bis neulich, als ihm eine Meldung in seiner Tageszeitung auf den Einfall brachte: „Was ich immer für die Schreibmaschine wollte, war eine sinnvolle Wiederverwendung. Ich las in der Bergedorfer Zeitung, dass sie im nächsten Jahr 150 Jahre alt wird und dachte mir, die Continental wäre doch eine hübsche Requisite.“ Zuletzt stand die Schreibmaschine im Souterrain seines Hauses am Schulenbrooksweg im dortigen Arbeitszimmer. Nun hat sie dank des Professors Großzügigkeit ihren Platz in die Redaktionsräume an der Chrysanderstraße 1 gefunden.