Bergedorf. Etliche Tankstellen verkaufen kein CNG mehr, VW stellt die Produktion ein, Neuzulassungen sind im Keller. Was Autofahrer tun können.
Wer als Besitzer eines Autos mit CNG-Antrieb (Compressed Natural Gas) tanken möchte, steht seit Kurzem an etlichen Aral-Tankstellen vor einem mit einer Kette verriegelten Zapfhahn. Der Mineralölkonzern und sein Lieferant E.on Gas Mobil haben sich nicht auf einen „wirtschaftlichen Weiterbetrieb“ einigen können, sagt ein Aral-Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion. Der ADAC geht unterdessen von einer zu geringen Nachfrage nach CNG aus – was die Infrastruktur immer schlechter werden und auch Hersteller an der nachweislich umweltbewussten Technologie zweifeln lässt. Und manchen Autofahrer langsam in die Bredouille bringt.
Denn seitdem Volkswagen seit Mitte dieses Jahres keine Neuwagen mit Erdgasantrieb mehr produziert, gibt es hierzulande kein neues Auto dieser Art mehr zu kaufen. Zurzeit, so gibt es das Kraftfahrzeugbundesamt an, bewegen sich ohnehin nur 81.000 CNG-Autos auf deutschen Straßen – Fahrzeuge mit Flüssiggas (etwa 300.000) und E-Mobile (über eine Million) sind deutlich populärer.
Aral legt Erdgas-Zapfsäule lahm und setzt in Zukunft verstärkt auf Elektromobilität
Was die Zahl der Neuzulassungen bei CNG angeht, zeigen die vergangenen Jahre einen stark rückläufigen Trend auf ohnehin niedrigem Niveau: 2021 waren es bundesweit noch 4000, 2022 nur noch 1800 Neuzulassungen. Das ist im Vergleich mit allen im vergangenen Jahr neu zugelassenen Fahrzeugen – rund 900.000 – verschwindend gering.
Dass nun wegen der gescheiterten Verhandlungen mit Zulieferer E.on allein bei Aral 40 Tankstellen, davon fünf in Hamburg, seit Anfang Juli außer Betrieb stehen, entspricht dem Trend. Der Energie Informationsdienst zählte Anfang 2023 gerade mal 780 CNG-Tankstellen im Bundesgebiet – nie gab es seit 2008 einen niedrigeren Wert. Außer Aral verringert unter anderem auch Shell sein Angebot an CNG.
An den frei werdenden Plätzen sollen E-Ladestationen entstehen. So wird es auch Aral machen, wie Pressesprecher Kai Krischnak ausführt: „Wir werden unser Ultraschnell-Ladenetz mit der Mobilitätsmarke Aral pulse von aktuell rund 1500 Ladepunkten auf rund 3000 Ladepunkte bis Ende des Jahres erweitern und dafür bis zu 100 Millionen Euro investieren. Bis Ende 2025 planen wir den Ausbau auf rund 5000 Ladepunkte.“
Wo Bergedorf und das Umland nun CNG nachtanken muss
Was Autofahrer wie den Börnsener Harald Ballon ziemlich in Schwierigkeiten und auf die Palme bringt: Vor vier Jahren legte er sich einen gebrauchten Audi g-tron mit der umweltschonenden Antriebsvariante CNG zu. Jetzt klagt nicht nur er: „Die Dichte mit CNG-Tankstellen ist in unserer Umgebung gering. Wir sind verzweifelt.“
Wenn Gabriele und Harald Ballon ihren Audi g-tron betanken wollen, braucht das Börnsener Ehepaar seit Neustem einen gut ausgearbeiteten Plan. Tanken an der Aral in Bergedorf? Ist seit Kurzem nicht mehr möglich. Von ihrem Wohnort aus sei die nächste CNG-Tankstelle an der Andreas-Meyer-Straße in Moorfleet, sogar in zweifacher Ausführung. Doch Harald Ballon weiß, dass die eine Säule „ständig kaputt“, die andere „sehr teuer“ sei – mit Preisen von etwa 1,79 Euro pro Kilo CNG. Normal wären Preise zwischen 1,20 und 1,39 Euro. Ein Dilemma für Fahrer von Autos mit Erdgasantrieb – denn Tankstellen mit Aufladestationen für CNG werden immer seltener.
Aral hat weiter großes CNG-Netz in Deutschland
Zuletzt fiel der schnell erreichbare Ladepunkt schlechthin für die Ballons an der Aral in Bergedorf (Curslacker Neuer Deich 34) weg. Wie Kai Krischnak, Pressesprecher des Unternehmens, bestätigt, hätten Aral und E.on Gas Mobil monatelang „über einige CNG-Anlagen verhandelt“ – ohne Erfolg: „Leider konnte keine Einigung erzielt werden, die für beide Partner akzeptabel gewesen wäre. Ein wirtschaftlicher Weiterbetrieb im Sinne der Kunden ist leider nicht möglich.“ Krischnak verweist indes darauf, dass Aral trotz des Wegfalls von 40 Tankstellen seit Juli 2023 aber insgesamt in Deutschland noch 120 CNG-Tankstellen betreibe und somit „über eines der größten CNG-Netze in Deutschland“ verfüge.
Das nutzt aber den Kunden in Bergedorf und Umgebung nicht viel. Ein typischer Vorgang vom Donnerstagvormittag: Kurz bevor unsere Redaktion mit den Ballons an der Aral am Curslacker Neuer Deich zusammentrifft, fährt ein anderer Audi-g-tron-Besitzer vor – um nach wenigen Sekunden frustriert in Richtung A 25 wegzudüsen. Das sei auch die Alternative der Ballons, die beispielsweise in Maschen eine CNG-Tankstelle kennen. Oder an der Wellingsbütteler Landstraße für akzeptable 1,39 Euro pro Kilo Antriebsgas – „allerdings kann man da zu ungünstigen Zeiten zwei Stunden für die mehr als 50 Kilometer unterwegs sein“, weiß Harald Ballon. Nach Maschen zu der dortigen Aral seien es von seinem Wohnort aus und wieder zurück 70 Kilometer und mit Berücksichtigung von Staus auf der A1 ebenfalls etwa zwei Stunden.
Nur 22,80 Euro für 400 gefahrene Kilometer
Die Idee bei der Anschaffung des gebrauchten Audi (13.000 Kilometer, 25.000 Euro) im Jahre 2019 war bei Ehepaar Ballon eine ganz andere. „Ich wollte schon immer umweltfreundlicher Auto fahren“, erklärt Harald Ballon. Er informierte sich unter anderem in zahlreichen Studien des ADAC wie auch der Auto- und Energieindustrie darüber, dass CNG-Autos Benziner, Dieselfahrzeuge und auch Elektromobile in Sachen Klimafreundlichkeit „mit Abstand“ abhängen. Eines von Harald Ballons Lieblingsrechenexempeln sieht so aus: „19 Kilogramm grünes CNG kosten beim Kilopreis von 1,20 Euro gerade mal 22,80 Euro für gefahrene 400 Kilometer.“
Der Benzintank ist mit 25 Liter Fassungsvermögen sehr klein und nur für den äußersten Notfall vorgesehen, wenn der Erdgasvorrat von Ballons Hybrid-Fahrzeugs während der Fahrt verbraucht sein sollte. Dass das so gut wie nie passieren kann, ist auch dem Service im Bordcomputer zu verdanken. Wenn Erdgas zur Neige gehe, „führt unser Navi uns selbstständig zur nächsten CNG-Tankstelle“, berichtet Holger Ballon.
Der Blick des Börnsener Ehepaars („Wir sprechen ja auch im Namen aller Besitzer eines Autos mit diesem Antrieb“) geht fast sehnsüchtig ins europäische Ausland. Denn seitdem sie sich den g-tron vor vier Jahren zulegten, reisten sie auch mal durch die Niederlande, die Schweiz oder Norditalien – und bewunderten die Struktur der dortigen CNG-Tankstellen. „Dort sind Infrastruktur und Preise nahezu traumhaft“, weiß Gabriele Ballon, „wieso klappt das eigentlich hierzulande nicht?“
Wer Erdgasfahrzeug umrüsten lässt, betritt weitestgehend unerforschtes Land
Ein Umrüsten seines Audi g-tron kommt für Ballon übrigens nicht infrage – aus Kostengründen. Zumal auch einige technische Fragezeichen stehen bleiben. Auch zum Beispiel bei Fachmann Dennis Bauke, Geschäftsführer des Autohauses am Sachsenwald in Börnsen. Das beruhe allein aus der Tatsache, dass der Wunsch nach Umbau eines CNG-Fahrzeugs bislang so gut wie nie nachgefragt wurde. Bauke unter Vorbehalt: „Da sind in diesen Fahrzeugen wie zum Beispiel bei VW oft original verbaute Teile, also ein kleiner Benzin- und umso größerer Erdgas-Tank. Technisch wäre das sicher möglich, wobei sich die Frage stellt, wie leicht der CNG-Tank stillzulegen ist.“
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Was könnte für die Ballons und andere CNG-Fahrer die Konsequenz aus der infrastrukturellen Misere sein? „Wenn die Situation mit den CNG-Tankstellen noch schlimmer werden sollte, muss man das Auto verkaufen.“ Dieser letzte Ausweg gleiche „einem Aufschrei, einem Hilferuf an die Politik von denjenigen, die für das Klima etwas tun möchten.“
Trotz der Kette an der CNG-Zapfsäule am Curslacker Neuer Deich glaubt Aral laut Sprecher Krischnak auch „perspektivisch“ an Antriebsvarianten wie Bio-LNG (Liquefied Natural Gas) und -CNG, Wasserstoff oder HVO (Hydrotreated Vegetable Oil). Zudem wird auf der Webseite ein Tankstellenfinder auch für Erdgasstationen angeboten.