Bergedorf. Mann blieb der JVA Bergedorf 29 Tage fern, CDU hat Fragen, Senat antwortet. Wer der Straftäter ist, wieso sein Fehlen nicht auffiel.
Fast vier Wochen war ein Häftling aus der JVA Bergedorf untergetaucht, nachdem er am 25. Mai von einem Freigangnicht zurückgekehrt war. Erst am 22. Juni tauchte der Mann wieder auf, stellte sich in Begleitung einer Rechtsanwältin in der JVA Fuhlsbüttel. Dort sitzt er seitdem – und darf allzu bald auf keine Lockerungen mehr hoffen. Der Fall wirft Fragen auf – auch aus Sicht der Politik. Wie konnte es passieren, dass sein Fehlen erst einen Tag später bemerkt wurde?
Dazu wollte auch der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Richard Seelmaecker erfahren: „Täglich grüßt das Murmeltier“, steht über seiner Anfrage an den Senat. Es sei „äußerst fragwürdig“ und sicher kein Einzelfall, dass jemand nicht in seine Zelle zurückkomme. Seelmaecker wittert dauerhaft strukturelle Versäumnisse in Hamburgs Justizvollzugsanstalten, die „nicht gerade das Sicherheitsgefühl der Hamburger Bürger stärken“, wie er schreibt.
JVA Bergdorf: Verschwundener Häftling – er ist ein Seriengewalttäter
Nach derzeitigen Erkenntnissen war der Anwesenheitsstatus des Gefangenen im IT-System nicht korrekt erfasst worden. „Im Rahmen der Zählung wurde seine Anwesenheit zudem nicht korrekt überprüft“, heißt es in der Senatsantwort. Das lief so ab: Der zuständige Kontrolldienst hatte den Gefangenen nicht persönlich gesehen, aber Geräusche aus der Dusche wahrgenommen und war deshalb (sowie aufgrund der fehlerhaften IT-Erfassung) davon ausgegangen, dass sich der Mann in der Dusche befand.
Dabei gibt es noch eine Besonderheit in Bergedorf, wegen baulicher Gegebenheiten der 1969 gegründeten Außenstelle: Hier verfügt nicht jeder Haftraum über eine eigene Toilette, deshalb werden die Häftlinge nachts nicht in ihren Zellen eingeschlossen. Wohl aber werden die Zwischentüren und die Türen zum Treppenhaus verschlossen. Werktags erfolgt um 22.30 Uhr eine Zählung beziehungsweise Anwesenheitskontrolle, an Wochenenden und Feiertagen um 0.15 Uhr.
Verschwundener Häftling kennt schon acht Gefängnisse
Warum aber gab es keine Öffentlichkeitsfahndung? Auch das will der CDU-Mann wissen. Antwort: „Die zuständige Vollstreckungsbehörde ist die Staatsanwaltschaft Dortmund.“ Und die habe nun mal nicht um Amtshilfe ersucht. Der Häftling scheint nicht nur im Ruhrpott schon reichlich bekannt zu sein, er saß bislang in mindestens acht Gefängnissen, zumeist in Süddeutschland.
Der Auszug aus dem Bundeszentralregister liest sich wie ein Krimi: Erstmals im Jahr 1999 trat der Gefangene strafrechtlich in Erscheinung und befindet sich insgesamt das vierte Mal in Haft. Im Einzelnen: Wegen Nötigung kam es 1999 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Im Jahr 2000 folgte eine Verurteilung zu drei Jahren wegen Raubes, falscher Verdächtigung, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, Freiheitsberaubung, Betruges und Urkundenfälschung. Die Strafe verbüßte er in den baden-württembergischen JVAs Adelsheim und Mosbach.
Noch im Jahr 2003 folgte eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren, diesmal wegen schwerer räuberischer Erpressung und schweren Raubes. Der Mann kennt daher auch die Gefängniszellen der JVA Ravensburg, der JVA Schwäbisch Hall sowie der Sozialtherapeutischen Anstalt Hohenasperg. Von November 2005 bis Dezember 2006 saß er erneut in Schwäbisch Hall ein, danach (bis September 2008) in der JVA Heilbronn, wo er „nach Vollverbüßung entlassen“ wurde.
Schon einmal nicht zurückgekehrt in die Bergedorfer Zelle
Damit aber noch immer nicht genug: Im Jahr 2009 wurde er zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, nun wegen schwerer räuberischer Erpressung. Diesmal blieb der Gewalttäter bis März 2014 in der JVA Ulm, wechselte dann in den Norden: Bis Juni 2012 blieb er in der JVA Fuhlsbüttel, dann ging es für zunächst nur fünf Monate nach Bergedorf (Juni bis Oktober). Und auch damals schon kam er von einem Ausgang nicht zurück: Am 9. Oktober blieb er verschwunden und stellte sich erst wieder am 23. Oktober – ganze 15 Tage war er untergetaucht. Und so ging es eben wieder zurück nach Fuhlsbüttel, wo er schließlich im März 2014 entlassen wurde.
Ein ganzes Jahr währte seine Freiheit: „Seit dem 22. April 2015 befindet er sich durchgehend in Haft“, lässt Hamburgs Senat wissen. Auf die U-Haft folgte eine Einweisung in Fuhlsbüttel, seit dem 13. Dezember 2022 sei er erneut in der Außenstelle Bergedorf. Die hat 39 Haftplätze, die überwiegend von männlichen Sexualstraftätern belegt werden.
Der zwischenzeitlich vermisste Gewalttäter indes verbüßt eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren wegen schweren Raubes, schwerer räuberischer Erpressung, Körperverletzung, erpresserischen Menschenraubes, Urkundenfälschung und Betrugs. Im nächsten Jahr sind die neun Jahre um – was kommt dann? Schafft er wirklich noch eine Resozialisierung?
Seit 2013 nur ein Häftling „wirklich entflohen“
Seit 2013 sei in ganz Hamburg nur ein einziger Häftling wirklich geflohen, betont der Senat. Die anderen acht Fälle beziehen sich – wie hier – auf Nichtrückkehrer aus einer Lockerung. Zuletzt war am 31. März dieses Jahres einem Fuhlsbütteler Häftling eine „Ausführung“ genehmigt worden, um Familienangehörige in fußläufiger Entfernung zur Anstalt zu treffen. Der 48-Jährige nutzte einen Gang zur Toilette, um sich von den beiden beaufsichtigenden Bediensteten abzusetzen. Bis heute ist der Mann (verurteilt wegen schweren Bandendiebstahls, gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, gewerbsmäßiger Urkundenfälschung und Hehlerei) spurlos verschwunden. Dabei sollte er eigentlich fünf Jahre und vier Monate absitzen.
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Aber gibt es nun wirklich strukturelle Mängel in den Gefängnissen? Vielleicht einen Personalnotstand? Nein, solche Defizite würden nicht vorliegen – andernfalls „unverzüglich behoben“, heißt es in der Senatsantwort. Wohl aber sei es immer hilfreich, alle Abläufe und die Sicherheitstechnik zu optimieren, die Gebäude zu modernisieren und alle Bedienstete gut zu schulen.
Im Fall des Bergedorfer Rückkehrers gibt es nicht nur ein Disziplinarverfahren gegen ihn, sondern auch gegen den verantwortlichen Bediensteten, der bei seiner Kontrolle den Häftling unter der Dusche wähnte. In weiteren Gesprächen soll die Fehlerquelle analysiert werden und nicht zuletzt die Frage: Wo war der Häftling überhaupt?