Bergedorf. 84 Prozent der Kinder an fünf Grundschulen im Bezirk Bergedorf haben den „Radführerschein“ bestanden. Warum es nicht mehr sind.

Der Mann ist seit sechs Jahren Polizeiverkehrslehrer. Mit Leib und Seele. Das ist auch bei seinem Vortrag zur „Radfahrfähigkeit von Grundschülern“ im Rathaussaal zu spüren. Dabei berichtet Frank Rieper im Ausschuss für Sport und Bildung nicht nur von einer guten „Erfolgsquote“ des Verkehrsunterrichts in allen Bergedorfer Grundschulen und weiteren Kindertagesstätten. Der Mann benennt auch Faktoren, die die kindliche Sozialisation auf dem Fahrrad erschweren.

Rieper ist einer von fünf Polizeiverkehrslehrern in Bergedorf. 51 davon gebe es in ganz Hamburg. Es sei für Bergedorf im Vergleich zu anderen Stadtteilen ein Glücksfall, dass im Bereich des PK 43 alle Planstellen (vier Frauen, ein Mann) besetzt seien. In anderen Bezirken fehle es beispielsweise an durch in Rente gegangene Verkehrslehrer derzeit noch an der Nachbesetzung – und somit zuweilen auch an Qualität und Quantität der Schulungstermine.

84 Prozent der Kinder haben den „Radführerschein“ bestanden

Bei den von Frank Rieper betreuten fünf Grundschulen mit insgesamt 299 Schülern haben 253 die „Prüfung im öffentlichen Verkehrsraum“ bestanden. 22 Kinder scheiterten aufgrund von motorischen Mängeln, 24 weitere fallen unter die Kategorie sonstige Mängel – wie zum Beispiel das schlichte Nichterscheinen zur Prüfung. Macht somit eine Quote von 84 Prozent von Kindern, die den „Radführerschein“ bestanden.

Rieper versuchtem den Zusammenhang zwischen erfolgreichen Radprüfungen und Sozialindex der Lehranstalten darzustellen, also der Zusammensetzung der Schüler unter sozioökonomischen Gesichtspunkten bewertet von 1 bis 6. Bei „5“, einer Schule aus dem Landgebiet mit Kindern aus eher privilegierten Verhältnissen, gebe es kaum Durchfaller. 100 von 105 Schülern bestanden, nur vier Kinder erschienen zum Prüfungstermin ohne eigenes Rad.

Sozial schwierige Schule: Erzieher hängt sich rein und fährt mit Kindern Rad

Fast ein Wunder geschah bei einer Schule mit Sozialindexwert 3. „Diese Kinder werden es zum Prüfungstermin nicht schaffen, weil sie nur Quatsch im Kopf haben“, formulierte Verkehrslehrer Rieper seine Anfangsbeobachtungen. Doch dank eines „sehr engagierten Lehrers“ gab es ein ganz anderes Resultat. Der Pädagoge habe vier bis fünf Fahrräder organisiert und mit den Kindern verkehrsgerechtes Radfahren auf dem Schulhof geübt. Mit dem überragenden Ergebnis, dass von 57 Schülern 51 bestanden: „Ich war total platt“, freute sich Frank Rieper im Nachhinein.

Dabei ist die Grundmaxime des Beamten, die Kinder prüfungstechnisch durchzuwinken, „wenn sie einigermaßen sicher und bedacht am Straßenverkehr“ teilnehmen könnten. „Die können natürlich noch nicht alles richtig“, konkretisiert Verkehrslehrer Rieper. Er rate ohnehin davon ab, Kinder vor Klassenstufe 4 allein auf dem Rad in die Schule zu schicken. Der Verkehrsunterricht beginne erst in Klasse 3 und 4, vorher seien die Kids im Straßenverkehr einfach nur „überfordert“.

Viele Kinder werden ab der ersten Klasse zur Schule gefahren

Ohnehin bleiben Verkehrsunfälle mit Kindern in Hamburg bis einschließlich 14 Jahren auf konstantem Niveau. Im Jahr 2022 verzeichnete die Polizei davon 613 mit 407 verunglückten Kindern. In Erinnerung blieb im Bezirk Bergedorf dabei der 6. September, als ein 14-jähriger Radfahrer am Binnenfeldredder mit einem Ford zusammenstieß und zwischenzeitlich in Lebensgefahr schwebte.

Einen Faktor betont Frank Rieper immer wieder: „Die Spielregeln, wie fit radfahrende Kinder in den Straßenverkehr gehen, bestimmen die Eltern, indem sie den Nachwuchs dafür auch vorbereiten.“ Vielfach sei feststellbar, dass heutige Grundschulkinder deutlich mehr Probleme kognitiver und motorischer Art hätten als Generationen vor ihnen. Insofern sei der vielzitierte Ausspruch bei Schulanfängern „Du gehst ja bald zur Schule“ fast paradox: „Viele Kinder werden ab der ersten Klasse zur Schule gefahren“, konstatiert Frank Rieper und nennt das wohl größte Problem auf dem Weg zum verkehrstechnischen Selbstbewusstsein der Kleinen: Elterntaxis.

Was das Problem mit der Aktion Verkehrsfuchs ist

Wie dem entgegengewirkt werden könne, dazu hat die Bergedorfer Verkehrspolizei einige Ideen. Zum Beispiel läuft weiterhin die Aktion Verkehrsfuchs in den Sommerferien – allerdings ist der Rücklauf bei 1500 Flyern mit nur 50 Anmeldungen bisher mau. „Und die Hälfte, die sich anmeldet, fährt schon gut“, berichtet Frank Rieper. Auch die Preise für ein vernünftiges Fahrrad (ab 350 Euro) bewegen sich für manche Eltern in nicht erschwinglichen Sphären.