Bergedorf. 1912 wird auf dem Gojenberg die modernste Sternwarte der Welt eröffnet. Am Ende sind auch die Kosten astronomisch.
Der eigentliche Geburtsort der Sternwarte, die 1912 auf dem Bergedorfer Gojenberg eingeweiht wurde, liegt im fernen Algerien: Dort traf Direktor Prof. Dr. Richard Schorr bei der großen Expedition zur totalen Sonnenfinsternis im August 1905 seinen Kollegen Prof. Karl Schwarzschild aus Göttingen, den Vater der Astrophysik. Und der sollte mit seiner damals jungen Wissenschaft die entscheidenden Argumente liefern, um den zögerlichen Hamburger Senat vom Umzug seines maroden, 60 Jahre alten Observatoriums vom Millerntor nach Bergedorf endgültig zu überzeugen.
Hamburg gab schließlich grünes Licht für den Bau der größten Sternwarte Europas mit den leistungsfähigsten Instrumenten der Welt. Sie wurde von 1906 bis 1912 am äußersten Rand des Hamburger Staatsgebiets direkt am 40 Meter hohen Geesthang in Bergedorf errichtet. Mit ihr wurde die Sternenforschung der Hansestadt vom wissenschaftlich unbedeutenden, allein auf die astronomische Zeit- und Positionsbestimmung fokussierten, zudem über 60 Jahre alten Vorgänger am Millerntor direkt in die technologische Weltspitze katapultiert.
Geburtsstunde der Astrophysik in Bergedorf fällt in die Zeit von Röntgen und Einstein
Nun konnte von Bergedorf aus nicht nur die Lage von Sternen und Planeten lokalisiert werden, sondern es ließ sich auch ihre Beschaffenheit analysieren. Diese Geburtsstunde der Astrophysik fällt in die Zeit der allgemeinen Begeisterung über die großen Entdeckungen der Wissenschaft, insbesondere der Physik: Unter anderem machte Konrad Röntgen 1895 die nach ihm benannten hochenergetischen Strahlen für die Medizin nutzbar, Henry Becquerel entdeckte ein Jahr später die Radioaktivität, und 1905 schließlich veröffentlichte Albert Einstein seine Arbeiten zur speziellen Relativitätstheorie, also der Struktur von Raum und Zeit.
In Hamburg beendete die Aussicht auf ein solches astrophysikalisches Institut die jahrelange Diskussion über den Sinn einer Verlagerung der 1833 am Millerntor gegründeten Sternwarte. Sie lag dort, wo heute das Museum für Hamburgische Geschichte steht, und war 1900 von Lärm, Licht, Qualm und Erschütterungen der wachsenden Stadt eingeholt worden. Einzige Alternative zum Umzug wäre ihre Schließung gewesen.
„Riesige Instrumente mit großartiger, sinnreicher Mechanik“
Für die Bergedorfer wird die Sternwarte von ihrem ersten Tag an zu einem beeindruckenden neuen Nachbarn, wie die Bergedorfer Zeitung nach dem Rundgang von 200 teilweise geladenen Gästen zur Eröffnung am 6. Juli 1912 berichtet: „Die zum Teil riesigen Instrumente, ihre großartige, sinnreiche Mechanik und die interessanten Vorrichtungen an den umschließenden Bauten erregten allgemeine Bewunderung.“
In dem Bericht wird betont, „dass maßgebend für die Gestaltung der Sternwarte war, dass die Bauten und die instrumentelle Ausstattung so beschaffen sein sollten, dass sie den modernen Anforderungen entsprachen und alles Unnötige bei der ganzen Anlage des Instituts vermieden wurde“.
Ungewöhnliche Bauweise, damit die Sterne besser beobachtet werden können
Damit ist die für damalige Sternwarten ungewöhnliche Bauweise gemeint. Auch für Bergedorf war zunächst ein herkömmlicher kompakter Bau vorgesehen, der auf stattlichen 80 Metern Länge alle Instrumente, Verwaltungs-und auch Wohnräume aufnehmen sollte. Diese Pläne wurden 1903 verworfen, um bessere Beobachtungsmöglichkeiten zu schaffen: „Für jedes Instrument wurde ein besonderes Gebäude errichtet, ferner das Hauptdienstgebäude mit Bibliothek, Vorleseraum, Arbeitszimmern und Laboratorium sowie drei Wohnhäuser.“
Tatsächlich arbeiten die Wissenschaftler um Direktor Richard Schorr da schon seit drei Jahren auf dem Gelände, wie die Bergedorfer Zeitung zum Zeitpunkt der Einweihung schreibt: „Im Februar 1906 wurden die Mittel von der Hamburgischen Bürgerschaft bewilligt und es konnte mit dem Bau begonnen werden, der in rund drei Jahren vollendet war. 1909 erfolgte die Übersiedelung nach dem neuen Institute. Es fehlten noch die Kuppeln und die Instrumente, die nach und nach ausgebaut wurden. Diese Arbeiten wurden 1911 vollendet und jetzt kann das Werk als fertig bezeichnet werden.“
Bergedorf ist stolz auf die hochmoderne Technik
Stolz ist man in Bergedorf auch auf die hochmoderne Technik: „Vier wertvolle Instrumente erhielt die Sternwarte, darunter den Großen Refraktor, der der zweitgrößte in Deutschland (nach Potsdam) ist, einen neuen Meridiankreis, der mit zu den besten Instrumenten gehört, ferner zwei astrophysikalische Instrumente, darunter ein Spiegelteleskop, das lichtstärkste in ganz Deutschland.“ Vergleichsweise wenig stammt aus dem Vorgänger: „Von der alten Sternwarte wurde das alte Fernrohr mitgenommen. Auch das älteste Instrument vom Jahre 1829 wurde wieder aufgestellt und noch sechs andere brauchbare Instrumente.“
Auch die endgültigen Kosten werden von der Bergedorfer Zeitung genannt – sie liegen um mehr als das Doppelte über den „maximal 500.000 Mark“, die Schorr lange gegenüber Senat und Bürgerschaft genannt hatte: „Für die Gebäude der Sternwarte wurden im Ganzen 683.175 Mark ausgegeben, für Instrumente, Möbel und die elektrische Kraftstation 380.000 Mark und für den Grunderwerb 78.000 Mark. Mit diesen Mitteln ist erreicht worden, was zu erreichen war. Der äußere Schmuck, die gärtnerischen Anlagen, wurden erst in jüngster Zeit ausgeführt.“
Auch Eppendorf, Winterhude und Fuhlsbüttel waren als Standorte im Gespräch
Die Diskussionen um die Verlegung der Sternwarte aus dem Hamburger Zentrum reichen zurück bis ins Jahr 1899, als neben Bergedorf auch Standorte in Harvestehude, Eppendorf, Winterhude und sogar Fuhlsbüttel in Gespräch waren. Wie Jochen Schramm für sein Buch „Sterne über Hamburg“ recherchiert hat, fällte der Senat über Fuhlsbüttel allerdings gleich zu Anfang ein vernichtendes Urteil: „Man wird kaum ernstlich daran denken können, ein Institut wie eine Sternwarte in diese abgelegene Gegend zwischen Zentralgefängnis und Kirchhof zu verlegen, von wo die Stadt selbst mit der elektrischen Bahn erst in einer Stunde zu erreichen ist.“
Tatsächlich machte man sich auch über Bergedorf kritische Gedanken, was „vielleicht zu abgelegen ist, um einen tüchtigen Sternwarten-Direktor zu finden“, wie die Bergedorfer Zeitung sogar im Mai 1901 noch befürchtet. Dennoch machte Bergedorf das Rennen, wo der eigens von der Bürgerschaft gegründete Sternwarten-Ausschuss zunächst das Areal des heutigen Luisen-Gymnasiums favorisiert hatte. Ende 1900 wurde dann aber ein erster Teil des heutigen Sternwartengeländes gekauft, wie unsere Zeitung am 30. November berichtet: „Die Finanzdeputation hat, vorbehaltlich der Genehmigung seitens der Bürgerschaft, auf dem Gojenberg ein Terrain von etwa 20.000 Quadratmeter angekauft zum Preis von durchschnittlich etwas mehr als 1 Mark für den Quadratmeter.“
Zwischen Gelände-Kauf und Baubeginn vergehen sechs lange Jahre
Dennoch sollte es weitere sechs Jahre dauern, bis die Bürgerschaft endlich auch die Mittel für den Bau bewilligte. Eine lange Zeit, die von der Bergedorfer Zeitung mit Blick auf die schwankende Finanzkraft der Hansestadt sorgenvoll begleitet wird. Immer wieder berichtet das Blatt über Besuche des Sternwarten-Ausschusses, von Treffen des Bergedorfer Magistrats mit Senator Werner von Melle von der zuständigen Oberschulbehörde oder von Plänen des mittlerweile zum Sternwartendirektor ernannten Richard Schorr, den Bau kurzfristig zu beginnen.
Im Dezember 1902 lässt eine Nachricht aus Cuxhaven die angespannte Stimmung dann überkochen: Der Bürgerverein Alt-Cuxhaven hat sich schriftlich an den Senat gewandt, um Bergedorf aus dem Rennen zu werfen. Seine Argumentation, wie die Bergedorfer Zeitung am 4. Dezember 1902 unter Bezugnahme auf das Cuxhavener Tageblatt berichtet: In Bergedorf sei „die Luft gerade so dick und mit den aus industriellen Betrieben entstammenden Staubmassen angefüllt wie in Hamburg.“ Zudem verfüge Hamburg in Cuxhaven über eigene Grundstücke, was die Kosten bei einer Ansiedlung dort deutlich drücken würde.
1902 wollen die Cuxhavener wollen Bergedorf die Sternwarte abjagen
Damit ist der Krieg der Worte eröffnet: Die Bergedorfer Zeitung wirft den Cuxhavenern „die vollständige Unkenntnis der hiesigen Verhältnisse“ vor. Der Gojenberg sei „vollständig frei von aus Fabriken kommenden Staubmassen“. Und dann wird klargestellt: „Bergedorf erfreut sich als Kurort einer von Jahr zu Jahr steigenden Frequenz. Scharen von Touristen kommen im Sommer hierher, um auf den waldigen Höhen der hiesigen Umgegend der staubgeschwängerten Großstadtluft entrückt zu sein. Die wenigen hiesigen Fabriken befinden sich mehrere Kilometer vom Gojenberg entfernt und liegen in der Niederung.“
- Bergedorfs Traum geht in Erfüllung: Die eigene Bahnlinie
- Streik im Hafen: Bergedorfer sind schockiert
Auf Hamburgs Entscheidung soll das Cuxhavener Störfeuer keinen Einfluss haben, auch wenn die entscheidende Sitzung der Bürgerschaft bis zum 21. Februar 1906 auf sich warten lässt. Dann endlich steht der Bauantrag des Senats für die neue Hamburger Sternwarte in Bergedorf auf der Tagesordnung – ein Thema, das bis dahin immer für lange und kontroverse Diskussionen gesorgt hat. Nur dieses Mal nicht, wie das Protokoll aus Sicht des Vorsitzenden zu diesem Tagesordnungspunkt festhielt: „Ich eröffne die Beratung. – Es wünscht niemand das Wort. – Ich schließe die Beratung und ersuche die Herren, die den Senatsantrag annehmen wollen, sich zu erheben. (Alle stehen auf.) – Der Senatsantrag ist endgültig angenommen.“