Hamburg. Bergedorfer fotografiert Autofahrer, die entgegen der Fahrtrichtung in eine Einbahnstraße fahren – und macht entscheidende Fehler.
- Ein Mann aus Bergedorf sieht es gar nicht gerne, wenn in die Einbahnstraße, in der er lebt, falsch hineinfahren
- Deswegen hat er bereits 1200 Autofahrer angezeigt
- Doch die Reaktion der Behörden fällt komplett anders als erwartet aus
Es ist nicht so, dass Marlon D. (Name geändert) in den vergangenen drei Jahren immer zu Hause war, um Verkehrssünder zu fotografieren. Zwischendurch war der 48-jährige im Büro, mit der Familie im Urlaub, einkaufen und so weiter. Trotzdem hat der Mann seit Frühjahr 2020 mehr als 1200 Autofahrer angezeigt. Es sind solche, die entgegen der Fahrtrichtung in die Einbahnstraße einbiegen, an der er wohnt. Es ist die Wohnstraße Fiddigshagen. D. sieht darin eine riesengroße Unfallgefahr in der verkehrsberuhigten Straße mit der Grundschule Nettelnburg.
Doch bei der Bergedorfer Verkehrspolizei beziehungsweise der Bußgeldstelle ist der Nettelnburger nicht wohlgelitten. An beide Stellen hat D. seine Anzeigensammlung geschickt – in der Hoffnung, dass die Falschfahrer zur Rechenschaft gezogen werden. So wird es aber nicht kommen. Die Behörden sind einfach nur genervt von ihm.
Falschfahrer-Irrsinn im Fiddigshagen: Privatanzeigen reichen nicht aus
Eine Antwort hat D. aus der Sachgebietsleitung Verkehrssicherheit und -überwachung der Innenbehörde erhalten: Der Leiter teilt Marlon D. per E-Mail mit, dass „die Sicherstellung der öffentlichen Ordnung eine hoheitliche und damit staatliche Aufgabe“ sei. Da die Bußgeldstelle gegenüber den betroffenen Verkehrsteilnehmern stets in der Beweispflicht sei, gelten eindeutige Kriterien – und die erfüllten die vielen Anzeigen von Marlon D. nicht. Tag, Zeit, Tatort, amtliches Kennzeichen, konkreter Tatvorwurf, vollständiger Name und Anschrift des Beklagten sowie eindeutige Beweisfotos, aus denen Kennzeichen und Tatvorwurf „klar erkennbar“ sind, müssten vorliegen.
Aber diese Eindeutigkeit fehle in der Anzeigenflut. Bergedorfs Chef der Verkehrspolizei, Björn Schramm: „Die Fahrer sind auf den Fotos von Herrn D. nicht klar erkennbar.“
Marlon D. wurde sogar „tätlich angegangen“ von Fotografierten
Marlon D. wird von der Behörde weiterhin gebeten, „von der Übersendung weiterer Anzeigen abzusehen“. Die Bußgeldstelle werde diese nicht bearbeiten. Das entsetzt den Nettelnburger, der sich als Querulant dargestellt sieht: „Mir als Bürger eine Anzeige de facto unmöglich zu machen empfinde ich als höchst undemokratisch.“
Und sein Entsetzen geht noch weiter: „Meine Familie ist persönlich betroffen. Sämtliche Anzeigen betreffen die Straße, an der wir wohnen und in der ich mehrfach sowohl Zeuge als auch Opfer von Beinaheunfällen wurde.“ Außerdem sei er auch beim Dokumentieren „tätlich angegangen“ worden. Ganz gewiss sei er kein „Sachwalter öffentlicher Interessen“, wie er ebenfalls in der E-Mail zu lesen bekam.
Seit 2017 hat sich kleine Anwohnerstraße verkehrlich verändert
Ein Punkt ist für den Anwohner entscheidend: Das Problem sei gewiss nicht er als Anzeigender. „Es ist die in die Tausende gehende Zahl der Delikte“. Und weiter: „Meine Anzeigen sind lediglich der verzweifelte Versuch, die Dimension des Problems greifbar zu machen.“
Zunächst wurde im Jahr 2017 wegen des Erweiterungsbaus an der Grundschule eine Einbahnstraßenregelung im Fiddigshagen eingeführt und im darauffolgenden Jahr von der Randersweide zum Katendeich verstetigt. Die Polizei bestätigt, dass diese Regelung seit Einführung von Autofahrern durchaus missachtet worden sei. Auf der anderen Seite seien die straßenverkehrsbehördlichen und baulichen Möglichkeiten in der Folge ausgereizt worden.
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„Da die Problematik erkannt wurde, wurde zur besseren Erkennbarkeit Mitte 2019 zunächst die Einmündung zum Katendeich durch eine kleine Verkehrsinsel reduziert und zusätzlich beschildert“, heißt es aus der Sachgebietsleitung. Erst zum Jahresende 2022 wurde weitere Schilder im Bereich des Grundschule angebracht.
Mehr Blumenkübel. mehr Tempomessungen, mehr Sicherheit
Das reicht D. nicht: Er fordert auch vor allem zur Sicherheit der Grundschulkinder weitere Maßnahmen, die insbesondere das Fahren entgegen der Fahrtrichtung unattraktiv machen wie etwa Verkehrsinseln oder Bodenwellen. D. spricht sich ferner für das Aufstellen eines Blumenkübels an der Einmündung Randersweide aus. Das würde zwar das Falschfahren an sich nicht beheben, „wohl aber die Gefährdung, die davon ausgeht“, meint der 48-Jährige. Davon abgesehen wünschte er sich auch eine Ausweitung der Geschwindigkeitsmessungen in der Tempo-30-Straße.
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Doch hier spielen Polizei und Behörden nicht mit. Die Unfalllage sei „sehr unauffällig“, die Verkehrssituation dort generell „sicher“, wie Bergedorfs oberster Verkehrshüter unterstreicht. „Wir haben in Bergedorf andere Unfallschwerpunkte, viel gefährlichere Stellen wie zum Beispiel jeden Knoten“, nennt Björn Schramm beispielhaft die Einmündung der Straße Lehfeld in den Curslacker Neuen Deich.
Familienvater klagt: „Soll die Unfalllage erst auffällig werden?“
„Unglaublich zynisch“ findet Marlon D. diese Argumentation: „Als Vater zweier Kinder im Grundschulalter möchte ich mir nicht vorstellen, wie es aussieht, wenn die Unfalllage auffällig wird.“ Zumal die Geisterfahrer-Situation zurzeit durch die Bauarbeiten am Nettelnburger Kreisel und auch zukünftig durch weitere Großprojekte wie den Schilfpark eher schlimmer werden dürfte.
D. trat zuletzt in der Fragestunde des Hauptausschusses auf, wandte sich an die Lokalpolitik. Der Fiddigshagen wurde schon mehrfach im Verkehrsausschuss besprochen. Das könnte erneut geschehen – jedoch gibt es auch Alternativideen: Die Linke kann sich noch mehr Tempokontrollen oder die Einrichtung des Fiddigshagen als reine Anliegerstraße vorstellen. Jörg Froh (CDU) wiederum schlägt einen Ortstermin vor, bei dem die Verkehrsexperten der Parteien sowie das Tiefbauamt die Lage sondieren sollten.