Hamburg. Nicht allen Schwerkranken gelingt der Weg zurück in ihr altes Leben. So hilft ihnen der Atmungstherapeut Sören Tiedemann.
Jeder Mensch macht es ständig, ohne darauf zu achten, quasi ganz nebenbei. Wenn die Atmung aber gestört ist, wird es lebensbedrohlich. Sören Tiedemann betreut im BG Klinikum Hamburg täglich Patienten, die ohne Geräte nicht überleben würden. Er ist als Atmungstherapeut im Querschnittgelähmten-Zentrum des BGKlinikums Hamburg tätig und betreut Menschen, die aus ganz Norddeutschland und darüber hinaus eingeliefert werden.
Der gelernte Krankenpfleger hat eine Fachweiterbildung zum Atmungstherapeut und kümmert sich primär um beatmete Patienten. „Wir haben Patientinnen und Patienten, die wirklich schwere Schicksale hinter sich haben“, sagt er im Podcast „Hamburger Klinikhelden“. „Die Menschen haben häufig einen Luftröhrenschnitt. Der Unterschied zum Beispiel zu einer Intensivstation ist, dass die Leute wirklich wach sind, die kriegen alles mit.“
Krankenhaus Hamburg – Lähmung kann zu Ausfall der Atmung führen
Bei einer Querschnittslähmung komme es auf die Lähmungshöhe drauf an. „Klassisch denkt man ja, das ist jemand, der sitzt im Rollstuhl und kann halt nicht mehr laufen. Natürlich gibt es da viel mehr Sachen, die nicht mehr funktionieren, also je höher die Lähmung, desto mehr Muskulatur fällt aus. Und das kann dazu führen, dass auch die Atmung ausfällt“, sagt der 52-Jährige.
Das passiere beispielsweise, wenn ein Dachdecker vom Dach stürzt oder bei Motorrad- oder Autounfällen. Aber auch Tumoren könnten dazu führen, dass das Rückenmark beeinträchtigt wird. Und viele ältere Menschen hätten eine versteifte Wirbelsäule, „wenn die in der Badewanne ausrutschen, bricht man sich das Genick, wie es umgangssprachlich heißt“.
Ziel der Behandlung: dass die Menschen in ihr altes Leben zurück können
Das Ziel der Behandelnden sei immer, dass die Menschen in ihr altes Leben, in ihr Zuhause zurückkönnen. „Wir haben ganz viele Patienten, die wieder zurück in den Beruf kommen, die wirklich wieder ihr normales Leben führen können – im Rollstuhl, ohne Beatmung.“
Von den 140 Betten des Querschnittgelähmten-Zentrums gebe es 18 Betten, bei denen die Patienten überwacht und beatmet werden können. Dort werde auch versucht, die Menschen von den Maschinen abzutrainieren. „Aber es gibt einen Anteil an Patienten, der beatmet bleiben muss.“ Wenn sich nach einem halben oder nach einem Jahr keine Besserung einstellt, gebe es nicht mehr viel Hoffnung auf Besserung.
Es hängt von vielen Faktoren ab, ob ein Patient wieder eigenständig atmen kann
Ob ein Patient es wieder schafft, eigenständig atmen kann, hänge von etlichen Faktoren ab, sagt der Atmungstherapeut. „Wenn das Zwerchfell wirklich komplett gelähmt ist, dann gibt es keine Chance, wegzukommen vom Gerät. Das Abtrainieren vom Beatmungsgerät ist ein Prozess, der Wochen bis Monate dauert, je nachdem, wie viel Muskulatur einsetzbar ist.“
Bei einem Menschen Anfang 20 funktioniere das Abtrainieren relativ gut. „Aber wenn ich jemanden habe, der 70 oder älter ist mit Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder COPD, ist das schwierig. Das sind Leute, die man dann teilweise nur für Stunden oder vielleicht tagsüber entwöhnen kann und nachts beatmet lässt, einfach damit sie sich auch erholen können. Wenn sie nachts auch noch Energie verbrennen, um zu atmen, dann sind sie tagsüber völlig kaputt.“
Was der Unterschied zwischen Sauerstoff-Langzeittherapie und Beatmung ist
Eine Sauerstoff-Langzeittherapie, bei der Menschen eine Nasenbrille tragen, sei etwas anderes als Beatmung, stellt Tiedemann klar. „Bei den Patienten, die ich primär betreue, ist wirklich die Atemmuskulatur, die Pumpfunktion ausgefallen. Wir saugen die Luft ein, weil unsere Muskulatur die Lunge auseinanderzieht. Aber eine andere Störung der Atmung ist, wenn das Lungengewebe an sich kaputt ist, also wenn der Gasaustausch gestört ist, wenn der Sauerstoff nicht mehr reinkommt.“
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Ein ganz wichtiges Ziel sei, dass invasiv beatmete Patienten trotzdem sprechen können. „Invasiv heißt ja immer, dass etwas von außen in den Körper oder das Gewebe eingebracht wird. Das ist eine sehr sichere Form der Beatmung, wo ich alles eigentlich unter Kontrolle habe, aber es schwierig ist, zu sprechen.
Und das ist bei uns ein sehr hohes Reha-Ziel, dass die Leute, wenn sie sich nicht mehr bewegen können, nicht mal mehr die Hand zum Schreiben, zum Tippen nutzen können, dass sie unter invasiver Beatmung sprechen können.“
Manche Patienten können mit ihrem Beatmungsgerät sogar Festivals besuchen
Und noch vieles mehr sei möglich. „Wir waren mit Patienten bei Konzerten, wir waren bei Fußballspielen, um denen zu zeigen, was noch möglich ist. Heute ist das schwieriger realisierbar, weil es einfach personell in jeder Klinik, unabhängig vom Träger, personell eng ist.“ Sogar auf Festivals seien beatmete Patienten schon gewesen. „Es gibt Leute, die sind bei Wacken voll beatmet.“
Bei solchen Gelegenheiten seien kleine Geräte im Einsatz, etwa in der Größe eines DIN A4-Blatts. „Es sind auf jeden Fall Geräte, die sind auf Mobilität ausgelegt, die kann man an den Rollstuhl hängen. Und diese Geräte sind sehr leise.“
Der Hamburger Klinikheld arbeitet gern mit der Technik der Beatmungsgeräte
Wer schließlich dauerhaft beatmet in der eigenen Wohnung lebt, habe in der Regel ein Pflegeteam, das rund um die Uhr da ist. Übergangsweise gebe es Intensivpflege-Wohngemeinschaften, um so ein Pflegeteam aufzubauen.
Tiedemann sagt, er höre zur Ablenkung von den vielen schweren Schicksalen gern Musik, und er spielt Gitarre. „Musik bedeutet mir sehr viel. Da kann ich wirklich abschalten.“ Nach dem Abitur hatte er seinen Zivildienst im Krankenhaus absolviert und dann angefangen, Biologie zu studieren.
„Ich wolle aber kein Taxifahrer mit Diplom werden“, scherzt Tiedemann, „und hab dann die Krankenpflegeausbildung gemacht. Ich hatte überlegt, ob ich noch Medizin studiere. Aber da hatte ich Angst, dass das vielleicht das nächste Studium wäre, das ich nicht beende.“
Ihn habe auch immer der Einsatz von Technik besonders interessiert, sagt Tiedemann und kam so zu seinem heutigen Beruf. „Dann kam die Fachweiterbildung zum Atmungstherapeuten in Deutschland. Da saß ich im zweiten Kurs bundesweit, weil mich das einfach fasziniert hat.“