Hamburg. Zum dritten Mal versammelt sich die Straßengemeinschaft unter der Rotbuche. Warum jeder so gern in der Straße in Bergedorf wohnt.
So ruhig. Und doch richtig nah dran am Bergedorfer Zentrum, kurz hinter der Mühle gelegen. Am charakteristischsten ist gewiss aber ein offizielles Naturdenkmal in jener verwinkelten Gasse, welche den Grasredder mit der Daniel-Hinsche-Straße verbindet. An dem scharfen Rechtsknick in der Straße steht eine gewaltige Rotbuche, eine Fagus Sylvatica mit einer 30-Meter-Krone, 5,60 Meter misst der Stamm-Durchmesser, bereits seit 1804 steht sie an dem Platz. Diese Buche ist am heutigen Sonnabend, 10. September, auch das Epizentrum des 3. Straßenfestes im Heinrich-Heine-Weg.
52, vielleicht auch 53 Häuser werden es auf einer kumulierten Länge von etwas mehr als 200 Metern inklusive zweier Stichstraßen sein. Anwohnerin Ulla Feist hat sich für das Ereignis die Mühe gemacht, alles komplett abzulaufen und wirklich jeden Anlieger schriftlich einzuladen. „Wir rechnen schon mit 100 Leuten“, sagt Ulla Feist, die mit Ehemann David und zwei Kindern seit dem Jahr 2013 hier lebt – und nie mehr weg möchte.
Straßenfest Heinrich-Heine-Weg: Jeder wohnt hier gern
Das können andere, die schon länger da sind, vollends nachvollziehen. Helga Döcke schwärmt von dem dörflichen Charakter der Straße und auch dem unkomplizierten Miteinander: „Jeder wird geduzt, egal ob er will oder nicht.“ Ältere wie Jüngere, keine Ausnahme. Kommt wie neulich jemand zur Dichtigkeitsprüfung für das Abflusssystem für einen Einzeltermin vorbei, werde in der gesamten Straße über die Whatsapp-Gruppe rumgefragt, wer den Service noch gebrauchen kann. Wie auf dem Dorf eben.
Helgas Mann Klaus zog bereits mit seinen Eltern und zwei Brüdern im Jahre 1948 hierher: „Meine Familie bekam eine Zwei-Zimmer-Wohnung“, entsinnt sich der Mann, der viele Jahre die Geschicke der Tafel Bergedorf lenkte. Drei Autos gab es anno dazumal in der engen Gasse. Da war das Spielen auf der Straße das Größte. Aber bitte nicht auf die legendäre Buche hinaufklettern – das ist an dem Naturdenkmal schon immer verboten gewesen!
Die geparkten Pkw haben sich unterdessen vervielfacht. 1975 kaufte Ehepaar Döcke eine der Doppelhaushälften, direkt neben Klaus Döckes Elternhaus. Sogar Bundeskanzler Helmut Schmidt soll hier mal in einer Staatslimousine vorgefahren sein, den damaligen sozialdemokratischen Landesvorsitzenden Oswald „Ossi“ Paulig, Nachbar der Döckes, besucht haben. „Hallo, Helmut“, soll Sprössling Bastian Döcke zum Staatsmann gesagt. Was kam zurück? „Dach, min Jung.“
Sogar der Alt-Bundeskanzler fuhr in der Limousine vor
Eine weitere bekannte Sozialdemokratin wohnt aktuell im Heinrich-Heine-Weg. Die ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete Peri Arndt nennt seit dem Jahr 2002 den Heinrich-Heine-Weg ihre Heimat und will nie mehr umziehen, „weil es hier so idyllisch ist. Ich könnte hier ewig leben“. Gleiches gilt für die frischen Neuzugänge, die Familie Feist. Weil Freunde und Familie sie um ihren Wohnort regelrecht beneiden. Und zu Besuch kommen sowieso alle gern. Sogar deutsche Filmemacher haben den Ort für sich entdeckt: Der TV-Film „Freistatt“ wurde in Teilen genau hier gedreht.
Jeder Bewohner des Heinrich-Heine-Wegs lebt in seiner mittlerweile nach eigenen Bedürfnissen aus- oder umgebauten Doppelhaushälfte. Die Häuser haben einen ähnlichen Grundriss, die Grundstücke verfügen über große Gärten, die sehr gut zur Selbstversorgung taugen. Ganz tief im üppigen Grundstück besitzt so mancher gar seinen eigenen Hühnerstall am sogenannten „Mistgang“ für Sackkarren und landwirtschaftlichen Betrieb, der parallel zum Asphalt verläuft – Relikte aus der Anfangszeit des Heinrich-Heine-Wegs.
Entstanden ist die Wohngasse aus einem privaten Parkgelände. Die Baugenossenschaft Bergedorf-Bille wollte dort ab 1922 dann eine Arbeitersiedlung etablieren. Anfänglich kam es nicht selten vor, dass sich drei Familien ein Haus und somit auch nur eine Toilette teilen mussten. Im Dritten Reich enteigneten die Nazis das Gebiet, bevor die Bergedorf-Bille nach dem 2. Weltkrieg ihre Häuser wieder zurückbekam.
Es wird nicht jedes Jahr ein Straßenfest gefeiert
Die Straßengemeinschaft hat bereits zweimal intern gefeiert. Im Mai 1989 gab es die Premiere unter dem mächtigen Baum. Dann trafen sich die Anwohner 17 Jahre später erneut, dieses Mal zu Ehren Heinrich Heines, der damals 150. Todestag hatte. Nun feiern sie den 100. Geburtstag ihrer Wohnstraße, wollen aber trotz der besonderen Herzlichkeit des Zusammenlebens daraus kein alljährliches Event machen: „Es soll etwas Besonderes sein“, lautet der Tenor.
Das dritte Straßenfest im Heinrich-Heine-Weg startet am heutigen Sonnabend um 15 Uhr. Zunächst mit Kaffee und Kuchen, später dann soll gegrillt werden. Es wird geklönt und gemeinsam ein wenig in der Straßenhistorie geschmökert, die auch auf Grundlage alter Fotos rekonstruiert worden ist. Die lange Tafel ist in jedem Fall schon hergerichtet. Natürlich unter der imposanten Rotbuche.