Hamburg. Psychische Überlastungen durch Stress sind ein großes Problem in der Pflege. Wie das Bethesda Betroffenen helfen will.
Zuerst leugnen es viele, wollen es nicht wahrhaben: Überfordert und ausgebrannt? Ich? Nicht doch! Doch Hendrik Pagel, Pflegedienstleiter der Intensivstation im Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf, hat Strategien entwickelt, stellt kluge Nachfragen, um Kollegen letztlich doch zu überzeugen, sich ausgiebiger mit ihm zu unterhalten. Das kann helfen: Pagel und seine Kollegin Doreen Benthin haben sich zu Resilienztrainer und -coach (für Gruppen und Einzelpersonen) fortbilden lassen und bieten Resilienz-Traning an.
Burn-out: Resilienz-Training bewahrt die Pflegekräfte vor Überlastung
Benthin (37) und Pagel (45) arbeiten bereits seit 2007 in der Pflege zusammen, seit sieben Jahren auch auf der Intensivstation der Bergedorfer Klinik. Der Moment, als es beiden ganz bewusst wurde, dass sie gemeinsam etwas gegen das mentale Scheitern ihrer Berufskollegen tun können, war vor einigen Jahren beim Bremer Intensivkongress, als es speziell um Achtsamkeit und Überlastungen in der Pflege ging.
„Das hat uns beide bewegt“, erinnert sich Doreen Benthin zurück, „wir Pflegekräfte müssen etwas für uns tun.“ Umso deutlicher wird das in Zeiten der Corona-Pandemie und des akuten Personalmangels. So absolvierten beide ein mehrtägiges Online-Resilienz-Seminar – und wollen und können ihre Kollegen widerstandsfähiger gegen Stress und Co. machen.
Ursachen, die zum Scheitern führen können
Warum Kollegen scheitern können oder auf dem Weg dorthin sind: Da wäre der hohe Stresspegel, teilweise mit überlangen Schichten, immer mit dem Kampf zwischen Leben und Tod der Patienten konfrontiert. Entladen kann sich die Anspannung in unkontrollierten emotionalen Ausbrüchen über Kleinigkeiten. Auch Schlafstörungen und eine gewisse Antriebslosigkeit im Privaten sind Indikatoren.
Dann herrsche laut Benthin und Pagel bei Pflegern auch grundsätzlich das Helfer-Syndrom vor. Eigene Bedürfnisse würden vielfach hinten angestellt werden. Zuerst das Krankenhaus, dann mein Privatleben – kein gesunder Grundsatz. „Es gibt Situationen, die sie nicht mehr lösen können“, beschreibt Hendrik Pagel den Beginn einer echten Lebenskrise, der zum Burn-out führen kann.
Nach Diagnose Burn-out fallen die Betroffenen wochenlang aus
Ist erstmal Burn-out diagnostiziert, muss eine Notbremse gezogen werden. Fatal nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für die Klinik, die mindestens zwölf Wochen auf die Fachkraft verzichten muss. Manche fallen komplett aus. In jedem Fall brauche es auch die Weitervermittlung zu einem Psychotherapeuten.
Pagel und Benthin gelang es kürzlich, zwei Kolleginnen, die auf der Schwelle zum „Ausbrennen“ standen, noch rechtzeitig von der Teilnahme am Resilienz-Training zu überzeugen. Insgesamt arbeiten allein in der Intensivmedizin am Bergedorfer Krankenhaus rund 40 Pfleger. Offenbar funken Benthin und Pagel nicht ins Leere: Die Resonanz auf das Angebot sei schon bei den ersten beiden Terminen recht groß gewesen.
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Duo des Bethesda bietet Seminare für Externe an
Was dann genau in diesen Seminaren geschieht: „Wir erforschen zunächst einmal, was den Stress erzeugt und wie man sich aus der Krise heraus lösen könnte“, sagt Hendrik Pagel. Neben den Gesprächen gehören auch simple Übungen zum Resilienz-Seminar: Zentrierung, Meditation, Klopf-Techniken oder Atemübungen.
Vier Sekunden einatmen, sieben Sekunden ausatmen. Leicht am Arbeitsplatz zu praktizierende Übungen. Wohlgemerkt an jedem Arbeitsplatz: Psychische Widerstandsfähigkeit nützt in jedem Beruf. Deshalb bietet das Resilienz-Duo aus dem Bethesda auch Seminare für Externe an.
Studien belegen, dass die durchschnittliche Verweildauer im Pflegeberuf nur fünf Jahre beträgt, ihre Krankenausfallzeiten sind deutlich höher als die anderer Berufsgruppen. Bei den Krankheiten machen psychische Ursachen rund 20 Prozent aus. „Wir müssen etwas dafür tun, dass Pflegekräfte länger im Beruf bleiben“, sagt Pagel, und Kollegin Benthin hat noch eine Forderung mit Blick auf den Nachwuchs: „Wir brauchen das Thema Resilienz auch schon in der dreijährigen Ausbildung zum Krankenpfleger.“