Hamburg. Gesamtzahl der Fälle sinkt coronabedingt. Die Opferschützer aus Bergedorf hoffen nun auf den Neustart der persönlichen Gespräche.

Sie sind Opfer von Überfällen, Einbruch, Raub oder Vergewaltigung geworden – und können nach der Tat unbürokratisch auf die Hilfe der Opferschutzorganisation Weißer Ring zählen. Etwa 100 Verbrechensopfer betreut allein die Außenstelle Bergedorf-Billstedt in jedem Jahr, stellt Gutscheine für Anwälte und Beratungen aus, führt Gespräche, tröstet und vermittelt. Doch pandemiebedingt sind die Zahlen nun stark zurückgegangen: Nur noch 27 Menschen suchten im ersten Halbjahr die Hilfe der Ehrenamtlichen – sonst waren es fast doppelt so viele. Dramatisch auch: Unter denen, die sich melden, sind nun immer öfter Opfer von Sexualdelikten.

Weißer Ring: Pandemie wurde zum Treiber nicht verarbeiteter Traumata

Elf Fälle waren es allein im ersten Halbjahr 2021, also 41 Prozent aller Vorgänge der Außenstelle. „Das ist das erste Mal, dass dieser Bereich so stark überwiegt“, sagt Werner Springer, Leiter der Außenstelle Bergedorf-Billstedt besorgt. Als „Sexualdelikte“ werden viele verschiedene Fälle geführt – vom Missbrauch in der Kindheit, der erst spät angezeigt wird, bis zur Belästigung durch den Exhibitionisten oder sogar die Vergewaltigung. Die Pandemie wurde hier womöglich zum Treiber nicht verarbeiteter Traumata, vermutet Springer: „Wenn Menschen in der Pandemie Zeit zum Nachdenken und Reflektieren hatten, ploppte wohl auch einiges aus der Vergangenheit hoch.“

Doch die Hilfe gerade bei diesen sensiblen Themen gestaltet sich derzeit schwierig: Bereits seit März 2020 sind keine persönlichen Beratungen beim Weißen Ring möglich – auch im vergleichsweise milden Corona-Sommer 2020 blieb der Verein dieser Linie treu und bot keine Hausbesuche an. „Nur in Ausnahmefällen gab es richtige Gespräche, und die auch nur im Landesbüro und nicht in Bergedorf“, sagt Werner Springer.

Das persönliche Gespräch fehlt den Menschen

Werner Springer ist Leiter der Außenstelle Bergedorf-Billstedt des Weißen Rings.
Werner Springer ist Leiter der Außenstelle Bergedorf-Billstedt des Weißen Rings. © BGZ

Also lief vieles übers Telefon. „Aber das persönliche Gespräch, das fehlt den Menschen einfach“, stellt Springer fest. Auch viele einsame und labile Menschen hätten über die Monate bei der Opferschutzorganisation angerufen – wohl weil sie kein anderes Beratungsangebot fanden oder weil Selbsthilfegruppen allenfalls per Zoom tagten. „Gesprächsgruppen über den Computer funktionieren einfach nicht, viele Menschen sitzen zu Hause und vereinsamen“, sagt der ehemalige Polizist.

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Nun aber soll es wieder losgehen: Werner Springer hofft, im Juli oder August wieder Sprechstunden anbieten zu können. Er rechnet mit großem Bedarf. Denn dass die Fallzahl so gering sei, könne wohl auch der Pandemie zugeschrieben werden: „Es ist ja nicht leicht, Hilfe zu suchen, wenn beispielsweise der Partner immer in der Nähe ist“, sagt er. Vor allem, wenn der Partner vielleicht Teil des Problems ist: „Auch wenn ein Anstieg häuslicher Gewalt, von dem ja oft die Rede ist, bei uns derzeit noch nicht bemerkbar ist.“

Der Weiße Ring hilft finanziell, aber auch mit Beratungsschecks

Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Außenstelle Bergedorf-Billstedt rechnen nun mit Nachholbedarf bei den Beratungen. Denn der Weiße Ring ist Anlaufpunkt in vielen Fragen: Hier finden die Menschen, die Opfer einer Straftat wurden, nicht nur ein offenes Ohr, sondern konkrete Hilfe. Finanzielle etwa, wenn ein Umzug vonnöten ist. Psychologische, durch Beratungsschecks bei Fachärzten. Rechtliche durch die Vermittlung an Anwälte. Und praktische Lebenshilfe, wenn etwa an eine Selbsthilfegruppe verwiesen wird. Gerade im Fall der vermehrt auftretenden Sexualdelikte sieht sich der Weiße Ring „eher als Lotse“, stellt Werner Springer fest. Denn die Opfer solcher Taten brauchen die Hilfe spezialisierter Experten.

Jeder Mensch, der Opfer einer Straftat wurde, kann sich hilfesuchend an den Weißen Ring wenden. Auch ohne dass Anzeige erstattet wurde, sagt Werner Springer. Acht Mitarbeiter sind derzeit in Bergedorf aktiv – damit sei die Außenstelle gut aufgestellt, sagt er. Und weitere Interessenten werden gerade für das Ehrenamt ausgebildet. So sei der Verein noch in einer relativ glücklichen Lage: „Denn wegen Corona sind ja viele Veranstaltungen wie die Freiwilligenbörse ausgefallen.“

Die Außenstelle „IV Süd-Ost“ ist mobil erreichbar unter: 0151/55 16 47 75. Oder per Mail: wr-hamburg.sued-ost@t-online.de.