Hamburg. Science Fiction? Klingt fast so! Fahrerlose Fahrzeuge, die Pendler vom Haus zu Bus oder Bahn bringen. Testphase soll bald starten.
Verkehrsexperten nennen es kurz „die letzte Meile“. Oft sind es in den Randbezirken aber eher etliche Kilometer, die Pendler von der Bushaltestelle oder der Bahnstation bis zur eigenen Haustür brauchen – und die das Auto unverzichtbar machen. Um den Umstieg auf den Öffentlichen Nahverkehr in den Randbezirken attraktiver zu machen und damit die Verkehrswende zu unterstützen, soll nun in Bergedorf ein Pilotprojekt starten, für das die Hamburger Verkehrsbehörde mit dem Berliner Start-up-Unternehmen „Vay“ kooperiert. Deren Gründer konnten laut Agenturberichten bei Investoren bereits 95 Millionen Dollar für ihre Idee eines „Telefahrdienstes“ einsammeln. Und in Bergedorf soll nun aus der Theorie Praxis werden.
Das Prinzip klingt ziemlich nach Science Fiction. Denn es geht um ferngesteuerte Autos, die Menschen an ihrem Wunschort abholen. Und dann am Ziel wieder fahrerlos davonbrausen. Ohne einen Parkplatz zu blockieren oder auch nur zu suchen.
Verkehr Bergedorf: Pilotprojekt soll Umstieg auf Bus oder Bahn attraktiver machen
Die Idee basiert auf dem Grundproblem, dass Carsharing-Dienste in Hamburgs Randbezirken meist bei der besagten „letzten Meile“ wenig hilfreich sind. Denn die Unternehmen sind überwiegend in den Innenstadtbezirken präsent, wo viele Menschen leben und der Umsatz hoch ist.
Und wo andererseits die Kunden auch so nahe beieinander wohnen, dass sich immer ein Leihauto in der Nähe findet. In Randbezirken hingegen müssten die Fahrgäste zum nächsten Leihwagen womöglich erstmal etliche Kilometer überbrücken – und steigen dann doch wieder ins eigene Auto. Hier setzt der Telefahrdienst an.
Bergedorf: Kunde bestellt Fahrzeug per App
Eine neue Technologie ermöglichst es einem „Telefahrer“, der in einer Zentrale sitzt, das Fahrzeug aus der Ferne zu dem Bergedorfer Kunden zu lenken, der es per App bestellt hat.
Vor dessen Haustür übernimmt der Kunde selbst und fährt „normal“ zu seinem Zielort. Dort wiederum muss er keinen Parkplatz suchen, denn nun übernimmt wieder der Telefahrer – und steuert das Auto von der Zentrale aus zum nächsten Fahrgast. Oder auch auf den Betriebshof oder in die Tiefgarage des Unternehmens.
Die Fahrzeugflotte aus „normalen“, aber umgerüsteten Autos ist zudem elektrisch und soll somit auch zum Klimaschutz beitragen.
Autos ohne Fahrer: Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer gewährleistet
Möglich macht das alles laut Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) eine „mit führenden Experten aus der Automobil- und Softwarebranche“ entwickelte Technologie, „die den höchsten und neuesten Sicherheitsstandards der Automobilbranche entspricht“.
Dabei könne das Telefahrsystem „die Sicherheit des Services und anderer Verkehrsteilnehmer zu jedem Zeitpunkt gewährleisten“, da es sich technisch doppelt absichert und beispielsweise mehrere 4G-Mobilfunknetzwerke gleichzeitig nutzt.
Vay testet die eigens entwickelte Telefahr-Technologie bereits seit zwei Jahren auf öffentlichen Straßen in Berlin und Hamburg, heißt es. Derzeit aber noch mit Sicherheitsfahrern hinter dem Steuer.
Bergedorf: Zulassung hat das Fahren ohne Fahrer noch nicht
Auch in Bergedorf soll es schon Anfang 2022 erste Testfahrten geben. Schönheitsfehler: Eine Zulassung hat das Fahren ohne Fahrer noch nicht, einen Starttermin gibt es also noch nicht. Dennoch verspricht sich die Behörde schon viel von dem Projekt.
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Autos, die ferngesteuert zum Kunden fahren, ihn einsteigen und lenken lassen und am Zielort ohne ihn wieder davonfahren: Das Pilotprojekt, das die Verkehrsbehörde mit dem Berliner Start-up „Vay“ in Bergedorf plant, soll einen „großen Beitrag“ zur Mobilitätswende in der äußeren Stadt bringen – und deshalb auch in die HVV „switch“-App integriert werden.
Hamburg: Autos ohne Fahrer für gesamte Stadt geplant
Ganz Hamburg soll irgendwann mit dem Telefahrdienst abgedeckt werden. Dass das Projekt im Bezirk Bergedorf gestartet wird, liegt an seiner Beschaffenheit: Bergedorf hat einerseits große Pendlerströme, andererseits aber eine Randlage, die es manchmal schwierig macht, von der Bushaltestelle oder der Bahnstation ohne Auto nach Hause zu kommen.
Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) setzt große Hoffnungen in das Projekt. Er sieht in „Vay“ nicht nur einen „weltweit einzigartigen Mobilitätsservice“. Sondern auch eine Stärkung des Innovationsstandorts Hamburg. „Hochqualifizierte Arbeitsplätze“ würden geschaffen, meint er.
Bis zum offiziellen Start können Jahre vergehen
Thomas von der Ohe, Gründer von „Vay“, sieht in dem Telefahrdienst eine Möglichkeit, den Hamburger Bürgern „einen Service anzubieten, der sie komfortabel, umweltfreundlich und preiswert zur Arbeit, zur nächsten Bus- oder Bahnhaltestelle oder zum Ziel ihrer Wahl bringt“.
Bis dieses Versprechen in Bergedorf großflächig erfüllt wird, dürften aber wohl Monate oder sogar Jahre ins Land gehen. Denn angeboten wird der Service zunächst nur in einem einzigen Pilotbereich des Bezirks. Dennis Krämer, Sprecher der Verkehrsbehörde: „Welcher das ist, können wir derzeit noch nicht sagen.“