Hamburg. Die Fahrzeuge werden per Fernsteuerung zum Abholort gefahren – und parken nach der Fahrt auch selbst ein.
Viele kleine Jungs lieben sie – die ferngesteuerten Autos, die man wunderbar durchs Kinderzimmer rasen lassen kann, bis sie aus der Kurve fliegen. Fahrzeuge zum Fernsteuern sollen nun bald auf reale Straßen kommen – in Hamburg. Das Start-up Vay hat dazu am Sonntag eine Absichtserklärung mit der Stadt unterzeichnet. Bereits vom kommenden Jahr an sollen dann Autos durch die Hansestadt rollen, die von „Telefahrern“ gelenkt werden, laut Vay eine Weltneuheit im öffentlichen Verkehr. Die Telefahrer sitzen im Büro, vor drei großen Bildschirmen, haben per Mobilfunk und Kameras den Verkehr und die Straßen im Blick und steuern das Auto zum Kunden.
Die Idee hinter diesem Mobilitätsservice, der am Rande der jetzt in Hamburg stattfindenden Mobilitätsmesse ITS vorgestellt wurde: Die Sharing-Fahrzeuge werden nach der Bestellung per Operator, aber ohne Fahrer im Auto zum Kunden gefahren. Nach der Tour des Kunden werden die Wagen wieder per Telefahrer geparkt oder weitergefahren. Damit entfallen sowohl die Fahrzeugsuche in der Umgebung, da das Auto direkt vorfährt, als auch die Parkplatzsuche, da das Mietauto nicht abgestellt werden muss, sondern ferngesteuert abgeholt wird.
Ferngesteuerte Carsharing-Autos ab 2022 in Hamburg
Schon seit zwei Jahren rollen die Vay-Autos mit einem Sicherheitsfahrer an Bord im Testbetrieb und behördlich genehmigt durch Berlin, dem Sitz der Firma. Erstmals an den Start für Kunden gehen soll der Betrieb allerdings in Hamburg, weil die Behörden hier offener für diese Idee waren, heißt es bei Vay, die am Sonntag zur Pressekonferenz auch Senator Anjes Tjarks (Grüne) aus der Verkehrsbehörde mit einem ferngesteuerten Wagen abholten. „Dass wir mit Vay eine Partnerschaft und einen weltweit einzigartigen Mobilitätsservice starten, unterstreicht, dass Hamburg im Verkehrsbereich eine digitale Modellstadt in Europa ist, die innovative Angebote konkret in die Tat umsetzt“, sagte der Grünen-Politiker.
Der Service soll künftig auch via hvv-switch-App mit den Angeboten des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) verzahnt werden und in Randgebieten der Stadt weniger vom ÖPNV erschlossene Gebiete anbinden. Los geht es 2022 zunächst in Bergedorf, mit einer kleinen Anzahl von Wagen. Die Flotte soll dann später ausgebaut werden, verriet das Team von Vay, das sich beim Thema Zahlen am Sonntag aber stark zurückhielt.
Komplett autonomes Fahren ist noch Zukunftsmusik
Das Unternehmen hat mit Investorengeldern von knapp 30 Millionen Euro und mit führenden Experten aus der Automobil- und Softwarebranche eine Technologie für die Fernsteuerung entwickelt, die nach Angaben der Berliner Firma den höchsten Sicherheitsstandards der Autobranche entspricht. So sei das Telefahrsystem durchgehend mit Redundanzen ausgestattet.
Beispiel: Es werden gleichzeitig mehrere 4G-Mobilfunknetzwerke genutzt, sodass die Zuverlässigkeit des Services zu jedem Zeitpunkt gewährleistet ist, versichert Vay. Das komplett autonome Fahren hält Daniel Buchmueller, Technikexperte bei dem Start-up, hingegen noch für Zukunftsmusik: „Das kommt vielleicht in fünf Jahren.“
Probefahrt: Fährt sich wie mit einem Menschen am Steuer
Bei der Probefahrt mit dem Abendblatt, bei der bisher noch zur Sicherheit Fahrer mit an Bord sind, die notfalls eingreifen können, fühlte sich die Tour nicht anders an als mit einem Menschen am Steuer. Ruhiges, angenehmes Anfahren, entspanntes Bremsen an Ampeln, langsames Rollen, wenn Passanten auf die Straße gehen, alle diese Situationen meisterte das Auto souverän.
Die Kameras, Antennen und Sensoren hat Vay in einen Kia eingebaut, der rein elektrisch fährt. „Wir stellen das System zur Steuerung zur Verfügung, das Fahrzeug aber kommt aus der Autoindustrie“, sagte Mitgründer Thomas von der Ohe zur Philosophie bei Vay. Die 2018 gegründete Firma hat in Hamburg ihren Sitz in der Speicherstadt und sucht noch Mitarbeiter, die in Sachen Technologie oder Fahrassistenz das Wachstum des Unternehmens begleiten wollen.
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Vay wagt sich in Hamburg in einen gut erschlossenen Carsharing-Markt
Die Berliner wagen sich in Hamburg in einen gut erschlossenen Markt: Hier ist eine ganze Reihe von Carsharing-Firmen unterwegs, gerade in den Innenstadtbezirken befinden sich die geparkten Autos für alle bereits an jeder Ecke. Bisher auf dem Markt sind etwa Share Now, die aus einem Zusammenschluss der Anbieter DriveNow und car2go hervorgegangen sind, Sixt Share, die VW-Tochter We Share, Cambio, Flinkster und Miles. Auch Ubeeqo Carsharing und Greenwheels gehören zu den Firmen, die ihr Verbreitungsgebiet auf Alster und Elbe ausgeweitet haben. Die meisten dieser Angebote setzen auf ein einfaches Prinzip: Smartphone auspacken, ein Auto in der Nähe finden, buchen, losfahren, am Ziel parken – fertig ist die individuelle Mobilität ohne eigenem Pkw.
Dabei erlaubt Carsharing anders als konventionelle Autovermietungen ein kurzzeitiges, auch minutenweises Anmieten von Fahrzeugen. Die Nutzung wird dabei über einen – die Energiekosten mit einschließenden – Zeit- oder Kilometertarif oder Mischformen solcher Tarife abgerechnet. Wie das Preissystem bei Vay genau aussehen wird, ist noch unklar. Nur so viel: Laut Thomas von der Ohe sollen die Kosten für die Kunden in vergleichbarem Rahmen wie bei den bisherigen Carsharing-Angeboten liegen. „Vielleicht auch darunter, denn wir lasten die Fahrzeuge besser aus.“