Hamburg . Bürger klagen gegen den Bau von Flüchtlingsunterkünften in mehreren Stadtteilen – teils mit Erfolg. Der Senat kündigt Beschwerde an.

Der Protest gegen Großunterkünfte für Flüchtlinge in Hamburg wächst und beschäftigt immer häufiger die Gerichte: Aktuell hat das Verwaltungsgericht Hamburg in zwei Fällen entschieden – dabei geht es um Flüchtlingssiedlungen in Bergedorf und Klein Borstel.

In Klein Borstel haben sich Anwohner erneut erfolgreich gegen das Bauvorhaben "Am Anzuchtgarten" gewehrt. Das Verwaltungsgericht Hamburg hat heute Vormittag dem Eilantrag der Anwohnerinitiative "Lebenswertes Klein Borstel" stattgegeben, der sich gegen die Baugenehmigung für die Errichtung einer Unterkunft für bis zu 700 Asylberechtigte nördlich des Ohlsdorfer Friedhofs richtet. Die Entscheidung ist eine herbe Niederlage für den Senat, der ohnehin große Probleme hat, die Flüchtlinge in der Hansestadt unterzubringen.

Genehmigung für Flüchtlingsunterkunft rechtswidrig

Anfang Dezember hatte die Stadt Hamburg eine zehn Jahre befristete Baugenehmigung für eine Fläche "Am Anzuchtgarten" in Klein Borstel erteilt. Dagegen gingen Anwohner per gerichtlichem Eilantrag vor – mit Erfolg. Das Bauvorhaben werde auf einer Fläche verwirklicht, die nach den Ausweisungen des Bebauungsplans Ohlsdorf 12 für eine gärtnerische und friedhofsbezogene Nutzung, als sogenannter Anzuchtgarten für den angrenzenden Friedhof, vorbehalten sei, heißt es in der Begründung des Verwaltungsgerichts. Aus den Unterlagen zum Bebauungsplan ergebe sich, dass dieser Nutzungszweck auch im Interesse der Anwohner des angrenzenden Wohngebiets im Bebauungsplan ausgewiesen worden sei.

Laut Gericht weiche die erteilte Baugenehmigung von der im Bebauungsplan festgelegten Nutzungsbestimmung ab. Diese Abweichung könne nicht auf die im Oktober 2015 im Rahmen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes geschaffene Vorschrift des Paragrafen 246/Absatz 14 BauGB gestützt werden. In der Begründung heißt es weiter, dass nicht feststellbar sei, "dass hamburgweit auch unter Ausnutzung insbesondere der Ausnahmemöglichkeiten (...) die Möglichkeiten zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden erschöpft" seien.

Die Initiative "Lebenswertes Klein Borstel" begrüßt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts: „Die Entscheidung sollte für den Hamburger Senat ein Weckruf für einen Kurswechsel in der Flüchtlingsunterbringung sein", sagt Olaf Peter, Vorsitzender des Vereins Lebenswertes Klein Borstel. Leider müssten weiterhin Gerichte bemüht werden. "Der Senat hält wider besseres Wissen und entgegen dem erklärten Willen vieler Tausender Hamburger an seinem Konzept, Großunterkünfte zu schaffen, fest. Er ignoriert dabei sogar geltendes Recht und hebelt die Bürgerbeteiligung aus."

Initiative kritisiert die hohen Kosten

Olaf Peter verweist auf die städtebauliche Konzept-Studie, die die Initiative kürzlich vorgelegt hatte. Diese sieht unter anderem eine Flüchtlingsunterkunft für 125 Personen vor. „Wir sehen weiterhin die Not, die nach Hamburg drängenden Flüchtlinge unterzubringen und zu integrieren", sagt Peter. Das könne aber nur gemeinsam mit der Bevölkerung geschehen. Peter kritisiert zudem die hohen Kosten, die der Senat für die geplante Flüchtlingsunterkunft ausgeben will. „Anstelle Menschen für 18 Millionen Euro in Container zu pressen, lässt sich für weniger Steuergeld städtebaulich und handwerklich qualitativ hochwertiger Wohnraum schaffen."

Scholz solle darauf verzichten Ghettos zu schaffen

Die Anwohnerinitiative warnt den Senat zudem, jetzt weiter zu versuchen, "das gescheiterte Bauvorhaben über eine Änderung des Bebauungsplans durchzudrücken". Peter: "Olaf Scholz sollte seinen Worten jetzt Taten folgen lassen und darauf verzichten, Ghettos zu schaffen.“

Die Stadt Hamburg hat bereits am Donnerstag angekündigt, dass sie Beschwerde gegen die Gerichtsentscheidung einlegen wird. "Das Verwaltungsgericht hat die Änderungen des Baugesetzbuches so eng ausgelegt, dass die Regelung (...) quasi ins Leere läuft", heißt es in einer Mitteilung des Senats. "Deshalb sind wir auf eine Klärung durch das Oberverwaltungsgericht angewiesen."

Bauantrag in Neugraben-Fischbek abgelehnt

Auch in Neugraben-Fischbek gibt es Probleme bei der Errichtung einer großen Flüchtlingsunterbringung. Zumindest wird sich das Bauvorhaben dort verzögern. Am Mittwochabend stimmte die Bezirksversammlung in Harburg gegen einen Bauantrag für den ersten Bauabschnitt.

Der Antrag wurde zunächst vertagt. Der NDR zitiert dazu den CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer, der zu viele Befreiungen vom geltenden Baurecht moniert. "Diese bezogen sich auf die Überschreitung von Baugrenzen, zu hohe Häuser, zu viel Wohnungen pro Einheit und Holzfassaden anstelle von Putz", sagte Fischer.

Vor einer Woche war durch einen Protest der Anwohner die geplante Anzahl der Wohnungen für Flüchtlinge halbiert worden. Statt wie geplant für 3000 sollten dort Wohnungen für 1500 Menschen gebaut werden. Für die Reduzierung soll sich auch Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) ausgesprochen haben, die aus Harburg kommt und dort auch ihren Wahlkreis hat. Von den geplanten Baufeldern werden den Angaben zufolge nur zwei bebaut werden.

Die Proteste gegen die Flüchtlingsunterbringung "Am Aschenland" laufen bereits seit Monaten. Bereits nach Bekanntwerden der Pläne hatte sich eine Initiative "Nein zur Politik, Ja zur Hilfe" gegründet.

Antrag auf Baustopp in Bergedorf abgelehnt

In Bergedorf hingegen gibt es grünes Licht für den Bau einer neuen Flüchtlingssiedlung: Das Verwaltungsgericht Hamburg hat entschieden, dass die Vorarbeiten für die geplante Großunterkunft am Gleisdreieck am Mittleren Landweg während des gerichtlichen Eilverfahrens fortgesetzt werden dürfen.

Ende Februar hatte die Stadt Hamburg eine Teilbaugenehmigung erteilt. Diese beinhaltet, dass auf dem Grundstück Vorbereitungen für die Errichtung einer Flüchtlings- und Asylbewerberunterkunft mit etwa 780 Wohnungen für bis zu 3400 Flüchtlingen ausgeführt werden dürfen. Geplant ist, dass die Wohnungen später zu Sozialwohnungen umgewandelt werden.

Bei den Anwohnern des Mittleren Landwegs formierte sich jedoch schnell Protest. Sie wollten mit einem Eilantrag die geplante Großunterkunft für Flüchtlinge stoppen. Anfang März stellte Kerstin Gröhn, die Anwältin zweier Anwohner, den 104 Seiten umfassenden Eilantrag beim Verwaltungsgericht.

Das Verwaltungsgericht hat den sofortigen Baustopp nun jedoch abgelehnt. In der Begründung heißt es, dass es nicht zu befürchten stehe, dass bis zu einer Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag vollendete Tatsachen geschaffen würden und der Rechtsschutz dadurch vereitelt würde. Die genehmigten Boden- und Rammarbeiten würden zudem, anders als befürchtet, die Standsicherheit des Hauses eines Anwohners nicht gefährden. Laut Verwaltungsgericht sei auch nicht zu erwarten, dass sein Grundstück aufgrund der Bauarbeiten in Mitleidenschaft gezogen werde.

Die Anwohner können gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Beschwerde beim Hamburgischen Oberverwaltungsgericht einlegen.

Unterdessen hat die CDU-Bezirksfraktion einen Antrag auf Akteneinsicht in die relevanten Bauunterlagen des Bezirksamts zum Bauvorhaben am Gleisdreieck, Mittlerer Landweg gestellt. "Insbesondere geht es uns um die Frage, wie und wann die Teilbaugenehmigung vorbereitet wurde und wie dieser Ablauf mit den vorher gemachten Aussagen und Informationen des Bezirksamts in Einklang zu bringen ist", heißt es in einer Mitteilung der Christdemokraten.

Erstaufnahme: Bürger wurden nicht beteiligt

Parallel entsteht im Bergedorfer Stadtteil Lohbrügge eine neue Zentrale Erstaufnahme für Flüchtlinge. Die Stadt Hamburg hat am Freitag den Kaufvertrag für das Dima-Sportcenter am Havighorster Weg unterschrieben, wie die Finanzbehörde dem Abendblatt bestätigte. Die Kaufsumme wurde als vertraulich eingestuft. Geplant ist, dass das Gebäude ab Mai als Unterkunft genutzt wird. 700 bis 1000 Flüchtlinge sollen in Zukunft in dem ehemaligen Sportzentrum untergebracht werden.

Die CDU-Bezirksfraktion zeigt sich verwundert über die Planungen und hat nun eine Kleine Anfrage an das Bezirksamt Bergedorf gerichtet. Die Christdemokraten kritisieren, dass Behörde oder Bezirksamt die Anwohner nicht aktiv über das Vorhaben unterrichtet haben. "Es fragt sich, ob die Gesprächsoffensive des Senats schon wieder eingeschlafen ist", heißt es in einer Mitteilung. "Jedenfalls findet hier, was die Einbindung der Bevölkerung angeht, eine Wiederholung der Fehler der Vergangenheit statt."

In ihrer Kleinen Anfrage will die CDU-Bezirksfraktion unter anderem erfahren, ob dem Bezirksamt bekannt ist, wann der Kauf stattgefunden hat und wann die Anlieger über die genauen Pläne unterrichtet werden.